Da ist was faul im Staate Nordkorea, hat Stefan Gödde vor zwei Jahren gemerkt, als er mit seinem "Galileo"-Kamerateam nach langen Verhandlungen in das Land der begrenzten Möglichkeiten einreisen durfte, um dort eine Reportage für sein Publikum zu drehen. Das Ergebnis war nicht perfekt, aber äußerst sehenswert – und weit weg von den dokumentarischen Routinen, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen sonst bedient. Weil auch die Quote bei den jungen Zuschauern gestimmt hat, darf Gödde mit seinen Reisen nun in Serie gehen.

An diesem Montagabend läuft die erste reguläre Folge von "Inside mit Stefan Gödde", eine Art Personality-Doku, die einerseits um (für ProSieben-Verhältnisse) größtmögliche Seriosität bemüht ist, andererseits aber nicht auf Knalleffekte verzichten will. Zum Auftakt meldet sich Gödde aus Russland (oder wie das Land auf der ProSieben-Landkarte heißt: "Putins Reich"), leider mit derselben Arbeitshypothese wie damals. Das führt diesmal aber zu Problemen.

Es ist zwar richtig, dass Russland, besser gesagt: der russischen Führung, derzeit nicht gerade die Sympathien aus Europa zufliegen. Und der undurchsichtige Machtanspruch Wladimir Putins ("Herrscher, Sportler, Actionheld", wie ProSieben zusammenfassend erklärt) macht vielen Europäern vielleicht sogar Angst. Russland ist aber nicht Nordkorea, auch wenn sich "Inside" dem Land mit dieser Prämisse zu nähern scheint. "Verführt Putin mit seiner Propaganda tatsächlich ein ganzes Volk – und falls ja: mit welchen Folgen?", fragt Gödde zu Beginn und verspricht zu ergründen: "Wie leben die Menschen in seinem Reich?" Das gelingt trotz ungeheurer Fleißarbeit aber nur bedingt.

Daran ist das Reporterteam zuallererst selbst schuld, weil die ernst gemeinte Annäherung an die russischen Verhältnisse immer wieder in eine Show der vor die Kamera geholten Wichtigtuer und Sonderlinge kippt.

Am Anfang lässt sich Gödde von einem russischen "Extrempatrioten" mit auf einen unterirdischen Schießstand nehmen und stellt erschöpfend zur Schau, wie der seine angebliche Abgebrühtheit für die Kamera inszeniert. Für die Unterhaltungen mit den kritischen Journalisten bleibt später kaum Zeit, weil die von einem seltsamen Verein zur militärischen Ertüchtigung erzogenen Kinder beim – fürs Fernsehen sicher extra akkurat ausgeführten – Marschieren und Salutieren im Flecktarn natürlich die besseren Bilder liefern. (Schnappschuss mit Reporter gefällig?)

Inside mit Stefan Gödde - Russland© ProSieben

Zur Verallgemeinerung taugt das aber alles – nichts. Und von der ganz normalen Mittelstandsfamilie im Wohnblock, bei der Gödde zum Abendessen eingeladen ist, verabschiedet sich die Reportage in Blitzgeschwindgkeit. Weil hinten und vorne die Zeit fehlt.

Der Redaktion gebührt durchaus Respekt dafür, zu wievielen unterschiedlichen Drehorten sie Gödde Zugang verschaffen konnte und wieviele außergewöhnliche Gesprächspartner sie vor die Kamera bekommen hat. Im Rocker-Hauptquartier kriegt Gödde beispielsweise den Rudelführer der "Nachtwölfe" zu sprechen. Aber die Kamera ist viel zu besoffen von der faszinierenden Festival-Atmosphäre außenrum, um mehr als zwei Fragen aus dem Gespräch zu zeigen. Und beim Trip ins Grenzgebiet Donezk muss Gödde immer wieder aus dem Off relativieren, was er im On alles zeigt, um Einseitigkeit zu Gunsten der mit dem Fernsehen kooperierenden Separatisten zu vermeiden.

Deshalb ist auch das hastige Fazit der Expedition so enttäuschend: "Scheinbar hat Putin ganz Russland im Griff", sagt Gödde zum Schluss. Anstatt einfach ehrlich zu erklären, wie schwierig sich das Erlebte auf einen simplen Nenner bringen lässt.

Das macht es nun all den Russlandverstehern leicht, in Kommentarspalten hinein zu explodieren und "Propaganda!" zu brüllen. Bloß weil Göddes "Inside"-Team noch nicht das richtige Maß zwischen Knalleffekt und Seriosität gefunden hat.

Sicher, die Dreiviertelstunde aus Russland ist vor allem bildgetrieben; aber sie demonstriert eben auch, welche Möglichkeiten ein Sender wie ProSieben hat, sich Themen zu nähern, die im Programm sonst allenfalls in den Kurznachrichten zwischen "taff" und den "Simpsons" aufblitzen. "Inside" ist ein richtiger Ansatz, jungen Zuschauern, die sonst in maximaler Entfernung zum "Weltspiegel" fernsehen, die Gegenwart zu erklären. Das soll und darf lauter und poppiger sein als bei ARD und ZDF, und Gödde ist genau der Richtige dafür. Aber am besten mit weniger Atemlosigkeit und mehr Coolness. "Ich komm mir grad vor wie in 'nem Agententhriller", sagt Gödde in einer Situation. Und das liegt halt auch daran, dass sich "Inside" größte Mühe gibt, genauso auszusehen.

Einen deutlich entspannteren Ansatz hat im Anschluss "Follow us! Das ProSieben-Reportermagazin", für das sich vier junge Reporter im Zielgruppenalter raus in die Welt fliegen lassen, um ihren Zuschauern Phänomene zu erklären, die die sonst nur aus dem Netz kennen (Produktion: Labo M, Berlin).

Follow us! Das ProSieben-Reportermagazin© ProSieben

In Südkorea verdienen Teenager Geld damit, dass sie vor der Webcam für tausende Zuschauer live ihr Abendessen verdrücken? ProSieben-Reporter Fabian fährt hin und futtert mit. Auf Island gibt's haufenweise Leute, die der stärkste Mann der Welt werden wollen? ProSieben-Reporter Baris geht mit ihnen einkaufen und erklärt: "50-Kilo-Jungs wie mich essen die hier zum Frühstück." (Machen sie dann aber netterweise doch nicht.)

Manche Situationen wirken zwar arg kalkuliert. Bei ihrem Besuch auf einer texanischen Ranch, die Wildtiere aufzeiht, um sie gegen Kohle zur Jagd freizugeben, weiß Reporterin Nicola ihre eigene Emotionalität im Gespräch mit den Jägern zumindest äußerst praktisch für die Kamera zu inszenieren. Und Pulitzerpreise für Tiefgründigkeit werden die Mini-Reportagen nicht gewinnen. Aber "Follow us!" ist eine ideale Ergänzung fürs ProSieben-Abendprogramm und in seiner Gutlaunigkeit vor allem zu Beginn ganz schön ansteckend.

Nach der Vorlage mit "Uncovered mit Thilo Mischke" (hier geht's zur TV-Kritik) scheint ProSieben in diesem Sommer am Montagabend ein Genre neu zu entdecken, das ruhig wieder eine größere Rolle im Programm spielen dürfte. Es muss ja nicht jedes Mal gleich eine riesige Propaganda-Verschwörung aufgedeckt werden.

ProSieben zeigt "Inside mit Stefan Gödde" und "Follow us!" montags ab 22:10 Uhr.