Der Anfang ist vielversprechend gruselig. Eine Achtjährige schleicht nachts durchs Einfamilienhaus, füttert ihr Kaninchen im Keller und muss dann erschrocken mitansehen, wie jemand durch die Haustür kommt und in den ersten Stock steigt. Am Morgen danach sieht man die Kölner Kommissare Ballauf und Schenk bei der Arbeit im Haus. Die Mutter des Mädchens ist tot, ihr kleiner Bruder auch. Von der Achtjährigen fehlt jede Spur, bis sie Ballauf in einem Kellerversteck entdeckt. Sie hat viel gesehen, aber sie spricht nicht.

Es ist ein feiner Einstieg, der da gelungen ist. Die Schnitte sind überraschend, die Dunkelheit bedrückend, und obwohl man von den Taten nichts sieht, reichen die von der Kamera gelieferten Hinweise als Antrieb für düstere Phantasien. Leider nehmen danach Ballauf und Schenk die Arbeit auf, was bedeutet, dass sich da zwei Ermittler mal wieder gegenseitig die Frage-Antwort-Bälle zuwerfen.

Immerhin haben es Drehbuchautor Norbert Ehry und Regisseurin Dagmar Seume so angelegt, dass die „Tatort“-Urgesteine diesmal nicht allzu dröge fragen. Vielmehr haben sie einen Konflikt in das Feld zwischen den Kommissaren implantiert, damit es mal wieder ein bisschen brizzelt. Hier der kinderlose Ballauf, der das verstörte Mädchen partout zu einer Aussage zwingen will, dort der mit Kindern und Enkelkindern gesegnete Schenk. „Jetzt leg doch mal den gütigen Opa ab“, explodiert Ballauf irgendwann, als ihm das endlose Verständnis seines Kompagnons zu viel wird.

Der Zuschauer weiß zu diesem Zeitpunkt schon mehr als die Kommissare. Er hat mitansehen müssen, wie der Täter oder die Täterin durch die Haustüre kam. Die Kommissare gehen dagegen lange von einem Einbruch aus, weil die Terrassentüre aufgehebelt wurde.

Doch das zusätzliche Wissen nützt dem Zuschauer wenig. Er ist über lange Strecken genauso verloren wie die Ermittler. Im Prinzip hinkt er dem Geschehen sogar noch hinterher, weil die Dinge zunehmend verwirrender werden. Da ist der Vater, der sich als Steuerfahnder vielseitig unbeliebt gemacht hat und auch ansonsten nicht reagiert wie ein ordentlich trauernder Vater reagieren sollte. Das fällt den als Volksgewissen agierenden Kommissaren natürlich auf. Sie unterstellen einfach, wie man zu trauern hat, und wer nicht trauert wie vorgeschrieben, ist verdächtig.

Das zeigt einmal mehr sehr schön, wie der „Tatort“ auch gesellschaftliche Standards setzt, wie er schleichend eine Norm definiert, die dann dank dauernder Penetration so langsam aber sicher öffentliche und private Verhaltensmuster zementiert. Wenn es schon für Olympiasieger einen Verhaltenskodex gibt, darf man sich nicht wundern, wenn es bald auch Verhaltensvorschriften für Trauernde gibt. Man darf solch ein auf Masse getrimmtes Fernsehformat in dieser Hinsicht nicht unterschätzen. Irgendwas bleibt auf Dauer schon hängen.

Durchgedreht© WDR/Martin Valentin Menke

Gottseidank sind da noch andere Verdächtige. Ein arroganter Journalist etwa, der sehr luxuriös lebt, obwohl er vom Steuerfahnder nachhaltig getriezt wurde. Dann hat noch ein Unternehmer Stress mit der Steuerprüfung. Auch ihm wird ein Motiv unterstellt. Außerdem stellt sich die Frage, welche Rolle der Bruder des Vaters spielt. Und die Schwester der toten Mutter. Und deren Mann.

Im Prinzip werden hier am laufenden Band Verdächtige präsentiert. Es werden Motive abgefragt, Konstellationen durchgespielt und Antworten gewogen, ohne dass der Zuschauer die Chance hätte, seinen Informationsvorsprung vom Anfang auszuspielen.

So viel er auch mitraten mag, er wird zu keiner Lösung kommen, weil das eigentliche Mordmotiv erst sehr spät und sehr unvermittelt präsentiert wird. Das mündet dann in einen Showdown, dem man den Willen anmerkt, dass es nun aber mal spannend werden soll. Leider wird es dann aber doch nur bemüht.

Immerhin heben sich die Kommissare von ihrer üblichen Form ab. Zwar gibt es zwischendrin mal wieder eine völlig überflüssige Wurstbudenszene am Deutzer Rheinufer, aber immerhin sind die volksaufklärerischen Belehrungsszenen, in denen der Zuschauer über Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft aufgeklärt wird, in der Minderzahl. Nur kurz gibt es mal einen kleinen Ausflug in Fragen ungerechter Besteuerung des Mittelstandes. Glücklicherweise aber bleibt das nur eine Episode.

Es ist insgesamt gesehen kein wirklich schlechter „Tatort“. Für Kölner Verhältnisse ist es sogar ein recht ansehnlicher, selbst wenn schon bald deutlich wird, dass er das in den Eingangsszenen unterbreitete Qualitätsversprechen nicht einhalten kann. Guter Durchschnitt also. Trotzdem will das Gefühl nicht weichen, dass man sich nach der überlangen Sommerpause einen etwas fulminanteren Einstieg in die neue „Tatort“-Saison gewünscht hätte. Andererseits hat solch ein Soft-Opening ja auch einen Vorteil. Die Chancen, dass es an den nächsten „Tatort“-Sonntagen besser wird, stehen nach einem solch mittelmäßigen Start nun mal automatisch besser.