Der Familien-Van rast waghalsig durch die Stadt. Mutter Maya (gespielt von Minnie Driver) hat zu einfach lange nach dem Frühstücks-Coupon im Schnellrestaurant gesucht und in „in drei Minuten wird aus dem 50% Off-Gutschein ein 0% Off-Gutschein“. Vollgas also. Mit quietschenden Reifen parkt der Van gleich vor dem Eingang des Restaurants - auf dem Behinderten-Parkplatz. Für eine ältere Dame, die sich über den belegten Parkplatz beschwert, hat Maya nur einen bissigen Kommentar übrig während ihr Sohn J.J. (gespielt von Micah Fowler) mit einem Aufzug aus dem Heck des Vans gehoben wird. Er hat infantile Zerebralparese, sitzt im Rollstuhl und kommuniziert nur mit Laser-Pointer und Sprachtableau. Zwei Kinder auf dem Parkplatz machen sich lustig über ihn. Er zeigt seine flache Hand. Mutter Maya: „That’s the finger! Work in progress“.

Mag man es kurz und plakativ, dann ist „Speechless“ die Sitcom mit dem behinderten Sohn. Das reduziert eine hervorragende Serie ungemein aber dürfte sie wohl angesichts der Vielzahl der Neustarts am einfachsten unterscheiden. Glücklicherweise ist es jedoch nicht allein dieses Gimmick, das die Serie sehenswert macht - sondern die Qualität der Story, der Charaktere und das starke Schauspiel von Minnie Driver. Es ärgert beinahe, dass die Serie mit dem Titel unter Wert verkauft wird, denn dahinter steckt eine herzliche Familienserie mit bitterbösem Humor. Auf der Suche nach den idealen Bedingungen für J.J. zieht die Familie einmal mehr um - und alle müssen sich mit dem neuen Umfeld arrangieren.

Neben Familienvater Jimmy (gespielt von John Ross Bowie), Bruder Ray (Mason Cook) und Schwester Dylan (Kyla Kenedy) gehört auch Cedric Yarbrough zum Hauptcast. Er spielt Kenneth, die „Stimme“ von J.J. - und liest vor, was J.J. mit Laser-Pointer und Sprach-Tableau ausdrücken will. „Speechless“ gelingt dabei zum Auftakt das erfolgreiche Wandeln auf einem sehr schmaler Grat zwischen Respekt und Respektlosigkeit. Mal wird mit J.J. gelacht, mal geht der Witz auf Kosten des behinderten Sohns. Es klingt anstrengend und limitierend, eine witzige Sitcom zu schreiben ohne anzuecken und sich Ärger einzuhandeln. Doch der Serie aus der Feder von Scott Silveri gelingt dies ohne sichtbare Mühe.

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Sie ist so politisch korrekt wie nötig, aber so unkorrekt wie möglich - was eine besondere Leistung ist, auch vor dem Hintergrund, dass ABC anders als ein Kabelsender, Netflix oder Amazon mehr als nur in der Nische reüssieren muss. Silveri ist ein Comedy-Veteran der seit den 90er Jahren an diversen US-Sitcoms mitgewirkt hat. Allem voran acht Jahre lang bei „Friends“, zuletzt als Executive Producer. Seine drei eigenen Sitcom-Schöpfungen „Joey“, „Perfect Couples“ und „Go On“, die darauf folgten, zündeten allerdings nicht. Bei „Speechless“ ist ihm mehr Erfolg zu wünschen. Unverhandelbar war für ihn die Tatsache, dass die Rolle von J.J. auch von einem Jungen mit infantiler Zerebralparese gespielt wird.

Micah Fowler und sein Spiel geben der Serie viel Witz, echten Witz eben und nimmt ihr gleichzeitig auch etwas - einen faden Beigeschmack. Beim Dreh sei es hilfreich gewesen, nicht mit Beratern am Set zu arbeiten, die über die Authentizität von Bewegungen und Äußerungen fachsimpeln, erzählte Scott Silveri vor dem Start der Serie. Im Jahr 2016 sei es keine Frage mehr gewesen, hier anders zu verfahren. Doch zurück zur Story. Ohne über die weiteren neuen Sitcoms aus den USA an dieser Stelle schon zu viel zu verraten, lässt sich bei „Speechless“ darüber hinaus festhalten: Manch andere Comedy lässt eher schmunzeln. Hier ist der Witz aber mehrfach so überraschend gut auf den Punkt, dass man laut lachen muss. Der Kern stimmt also, die Geschichte und ihre Charaktere auch. Dass da dann noch reichlich Gesellschaftkritik dazu kommt, ist mehr willkommener Bonus als tragendes Element der Serie.

Ein herrlicher Bonus um genau zu sein. Wenn die neue Schule sich um J.J. bemüht, aber doch so ziemlich alles falsch macht, was man (vielleicht sogar unabsichtlich) falsch machen kann, dann läuft Minnie Driver als furioses Familienoberhaupt zu Höchstform auf. Es ist so schön, sie nach der leider viel zu kurzen FX-Serie „The Riches“ hier wieder glänzen zu sehen. Heimlicher Star neben ihr und Micah Fowler ist Mason Cook, der Bruder. „Speechless“ ist am Ende eine moderne Familien-Sitcom mit dem Finger in der Wunde derer, die im Umgang mit Menschen mit Behinderung noch immer zwischen Sorglosigkeit und übertriebener Sorge um Korrektheit in Schockstarre verfallen. Eine also in jeder Hinsicht lohnenswerte und begrüßenswerte Serie, die ihren etwas plakativen Titel gar nicht nötig hätte.

"Speechless" läuft seit dem 21. September beim US-Network ABC und ist in Deutschland im englischen Original bei iTunes zu erwerben.