Lorelai und Rory Gilmore sind nach fast zehn Jahren zurück. Und es fühlt sich an, als sei "Gilmore Girls" nie weggewesen. Der dramaturgische Kniff gleich zu Beginn der Fortsetzung "Gilmore Girls: A Year In The Life" ist zwar denkbar simpel: Die erste Szene spielt auf dem Dorfplatz im altbekannten Örtchen Stars Hollow, wo Lorelai Gilmore, Ende vierzig, auf ihre Tochter Rory, Anfang 30, wartet, die seit langer Zeit mal wieder zu Besuch ist. Doch der Einstieg erfüllt voll und ganz seinen Zweck - genau wie Rory kommt der "Gilmore Girls"-kundige Zuschauer an und wird von Lorelai in einer Mini-Stadtführung auf den neusten Stand gebracht. Und das im herrlichsten Lorelai-Ambiente: verschneite Straßen, Bäume und Häuser, dazu eine dezente Weihnachtsdeko. Als hätte man Fans aufgerufen, ein Lieblingseinstiegsszenario zu schreiben.

Und die Folge geht wie ein Fan-Fest weiter. Statt Zeit auf Handlung zu verwenden, wird in den ersten zehn Minuten das "Gilmore Girls"-Gefühl gefestigt: geliebte Nebenfiguren dürfen auftreten, es gibt witzige Szenen, und Lorelai darf tatsächlich "I smell snow!" sagen. Selbst als die Handlung Fahrt aufnimmt, werden die Erwartungen der Fans nicht vergessen, in sehr vielen Szenen sind Anspielungen auf frühere Ereignisse aus der Serie versteckt, lose Enden von den sieben Staffel davor werden aufgenommen, einige der Nebenfiguren bekommen, wie man es von früher gewohnt ist, eigene - teils absurde - Handlungsstränge. Und natürlich gibt es ein Dinner bei Lorelais Eltern - beziehungsweise bei ihrer Mutter, da der Vater in der Zwischenzeit gestorben ist. 

Doch Serien-Erfinderin Amy Sherman-Palladino und ihr Mann Daniel haben in der Fortsetzung mehr zu bieten als nur Nostalgie für Fans. Die Geschichten von Lorelai (Lauren Graham), Rory (Alexis Bledel) und Lorelais Mutter Emily (Kelly Bishop), der dritten Gilmore-Frau im Bunde, werden tatsächlich weiterentwickelt. Nur ein kleines Beispiel: Der Tod von Lorelais Vater Richard (Schauspieler Edward Herrmann ist 2014 gestorben) nimmt sehr viel Raum ein, verändert die Figur Emily und lässt es zu, dass sich im Verhältnis zwischen Lorelai und ihrer Mutter etwas verändert. Detaillierter kann und möchte ich hier nicht werden, weil das zu viel vorwegnehmen würde - das gilt übrigens auch für fast alle anderen Handlungsstränge und natürlich ebenso für die Logan-Jess-Dean-Frage, die seit Jahren unter den Fans diskutiert wird.

Die vier neuen Episoden, die Netflix am Freitag veröffentlicht hat, sind mit jeweils 90 Minuten doppelt so lang wie die früheren Folgen. Doch das schadet überhaupt nicht. Während wir in den sieben Staffeln vorher ein Gilmore-Jahr in 22 Folgen erzählt bekommen haben, wird in der Fortsetzung das Jahr nun in vier Folgen präsentiert: Winter, Frühling, Sommer und Herbst. Und das fühlt sich wie selbstverständlich an. In Zeiten, in denen das Bingen von Serien Normalität geworden ist, hätte man vermutlich ohnehin mindestens zwei Folgen am Stück geschaut. 

In den fast zehn Jahren zwischen letzter Staffel und Fortsetzung ist in der Serien-Industrie viel passiert. Neue Player sind am Markt, in neuen Erzählformaten werden die Möglichkeiten der Serie ausgelotet. Eine Mutter-Tochter-Geschichte wie die der Gilmore-Familie würde man heute vermutlich ganz anders erzählen, zumal wenn es sich um eine Auftragsproduktion für den Markt-Durcheinander-Wirbler Netflix handelt. Und doch ist es gut, dass hier niemand der Versuchung erlegen ist, "Gilmore Girls" umzukrempeln und daraus eine modernere Serie zu machen. Denn Millionen Fans weltweit freuen sich auf das Wiedersehen mit ihren guten Freunden und alten Bekannten aus Stars Hollow - inklusive dem besonderen "Gilmore Girls"-Gefühl, dass alles gut wird.

Offenlegung: Diese Kritik basiert auf den Folgen 1 und 2, die von Netflix vorab zur Verfügung gestellt wurden.  

Alle vier Folgen von "Gilmore Girls: A Year In The Life" ist seit Freitag bei Netflix verfügbar.

Drei Tipps für alle, die schnell noch eine kleine Auffrischung zu dem brauchen, was in den sieben bisherigen Staffeln geschehen ist:

In 7 Minuten: 
Die sieben Staffeln in je einer Minute knackig von der Nebenfigur Kirk erzählt: "Gilmore Girls / Season 1 - 7 Recaps / Netflix" 

In 58 Minuten:
"Gilmore Girls" im DWDL.de-Podcast "Seriendialoge": Journalistin Eva Schulz und ich reden über die Faszination, die von Lorelai und Rory Gilmore ausgeht.

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Auf 100 Seiten: 
Die "Gilmore Girls" haben es tatsächlich in den Reclam-Verlag geschafft. Das ist ein Ritterschlag. Und bei Karla Paul war die Serie da in den allerbesten Händen. "Gilmore Girls. 100 Seiten" ist ein kleines, feines Buch geworden, das das besondere "Gilmore Girls"-Gefühl transportiert, erklärt und in dem sogar eingefleischte Fans noch Dinge erfahren können, die für sie neu sind. 

Buch: © Ulrike Klode