O.J. Simpson wird im Fall des Doppelmordes an seiner Ex-Ehefrau Nicole Brown Simpson und ihrem Bekannten Ronald Goldman freigesprochen. Das ist kein Spoiler, das ist ein Fakt, der bereits seit 1995 reeller Bestandteil der amerikanischen Rechtsgeschichte ist. Für "American Crime Story: The People v. O.J. Simpson" gab es also eine immense Aufgabe zu bewältigen: Wie erzeugt man Spannung, steigert die Dramatik und schafft eine packende Erzählung, bei der man bereits weiß, wie sie ausgeht? Für das Team von "American Crime Story" lag die Antwort darin, den Fokus auf die Charaktere zu legen und nicht auf das Verbrechen an sich. Kein unkluger Schachzug, gab es mit all den Rechtsanwälten, Richtern, Geschworenen, der schlagzeilengeilen Presse, den Freunden, Bekannten und Familien der Involvierten wirklich genug Möglichkeiten, um eine interessante Personenkonstellation auf die Beine zu stellen.

 

Ganz zu Beginn der Anthologieserie bekommt der Zuschauer jedoch etwas zu sehen, das im ersten Augenblick gar nicht mit dem Fall von O.J. Simpson in Verbindung zu stehen scheint. Es ist das Video über die Gewaltattacken von Polizisten gegen den Afroamerikaner Rodney King, das 1991 entstand. Er wird brutal mit Stockschlägen und Fußtritten attackiert, während er zusammengekauert auf dem Boden liegt. Eben jene Polizisten wurden einst freigesprochen, große Teile der Nation waren erschüttert. Nur wenige Jahre nach diesem Ereignis stehen die Gesetzeshüter weiter in dem Licht, schwarzhäutige Menschen respektloser zu behandeln als weiße – und dann kommt O.J.s Fall. Ein berühmter schwarzer Sportler soll zwei Menschen brutal erstochen haben und die Beweise sprechen klar dafür. Sein Anwälte sind sich sicher: Wenn sie diesen Kampf im Gerichtssaal gewinnen können, dann nur dadurch, dass sie den Riss zwischen den Rassen ausnutzen. Und so wurde die Schlacht zwischen O.J. Simpson und dem Gericht keine kurze, sondern ein nervenzerreißendes Ereignis mit offenem Ende.

Ob die Hautfarbe eine Rolle spielt oder nicht, ist ein Thema, das auch heute noch nicht ganz vom Tisch ist. Deswegen ist es höchst spannend zu sehen, wie die Serien-Macher Anthony Hemingway ("Shameless") und John Singleton ("2 Fast 2 Furious"), beide selbst dunkelhäutig, diesen Fall 20 Jahre später aufbereiten. Ryan Murphy ("American Horror Story") ist Produzent und will vor allem eines: Nicht werten. So ist "American Crime Story" alleine deswegen gänsehauterregend, weil kaum etwas von dieser allgemeinen Haltung, wonach O.J. ganz klar schuldig ist, zu spüren ist. Die Versuchung, auf diesen Zug mit aufzuspringen, muss verlockend gewesen sein, doch so entstand letztlich eine Serie, die bis ins Mark fasziniert. Ist er wirklich schuldig? Könnten all diese Beweise, wie etwa Spuren der DNA, doch abgekatert gewesen sein? Oder hat Marcia Clark, die Hauptanklägerin gegen O.J., Recht und er ist ein Mörder? Eine Antwort bleibt über das Ende hinaus verwehrt, die Zuschauer müssen dem Gerichtsbeschluss vertrauen oder sich ihre eigene Meinung bilden. 

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Marcia Clark, die im echten Prozess stets damit zu kämpfen hatte, als Frau nicht vollwertig geschätzt zu werden, wird hier von Sarah Paulson ("American Horror Story") verkörpert. Und wie! Paulson liefert eine Performance, die ihres Gleichen sucht und erhielt dafür vollkommen verdient den Emmy verliehen. Applaus gab es dafür auch von der richtigen Mrs. Clark, von der Paulson sogar Parfüm und Rauchen übernahm, um komplett in den Charakter einzutauchen. Auf diesem herausragenden Niveau stehen außerdem John Travolta und Courtney B. Vance als Robert Shapiro und Johnnie Cochran, das "Dream-Team" um Simpson. Sie spielen trotz oder vielleicht auch gerade wegen ihres Alters derzeit vielleicht so gut wie nie. Etwas fehlinterpretiert wurde hingegen die Figur, um die sich alles dreht: Cuba Gooding Jr. ist zwar ein überragender Schauspieler, der auch hier eine Leistung ablegt, die absolut denkwürdig ist. Doch spielt er nicht den O.J. Simpson, den man aus dem vermeintlich echten Leben kennt.

"Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass Simpson es getan hat" oder "Er ist so charmant" sind Aussagen, die in der Vergangenheit nicht selten fielen, wenn über Simpson gesprochen wurde. In der Serie kommt Simpson jedoch oftmals als der Psychopath daher, der er vielleicht wirklich gewesen ist, jedoch nicht als der, der sich aus solch einem Strafprozess hätte herauskämpfen können. Das Thema wurde hier einfach verfehlt, von seiner Coolness und seinem Charisma ist nichts zu spüren. Ein Dwayne Johnson wäre da möglicherweise die bessere Wahl gewesen. Etwas davon ablenken kann David Schwimmer ("Friends") als Robert Kardashian. Der Comedian versucht händeringend eine glaubwürdige Rolle abzugeben, wirkt dabei jedoch oft wie der sterbende Schwan. Und ja, der Name Kardashian wird gerne und oft ausgesprochen.

Doch trotz einiger weniger Ungereimtheiten merkt man der Produktion an, wie sehr das Team für "The People v. O.J. Simpson" brannte - und dass sie dem Publikum unbedingt zeigen wollen: "Schau dir das an, das ist wirklich gut!" Und das ist es. Berühmte Szenen wie die Verfolgungsjagd, die mit ihrer Live-Übertragung eine mediale Revolution auslöste, wurden exzellent inszeniert und trotz des fehlenden Juckens im Hinterkopf, das normalerweise durch die Frage "Was passiert bloß als nächstes?" ausgelöst wird, entwickelt sich "American Crime Story" zu einem immer spannender werdenden Gerichtskrieg. Das gelingt Murphy und Co., weil sie die Motive der einzelnen Personen auf verständlichste Weise präsentieren und ein Bild malen, bei dem es kein Schwarz oder Weiß, kein Gut oder Böse gibt. "American Crime Story: The People v. O.J. Simpson" ist die beste Verfilmung dieses Strafprozesses, die es gibt. Kaum vorstellbar, dass man das noch besser machen kann.

"The People v. O.J. Simpson" läuft ab sofort freitags um 21:00 Uhr auf Sky Atlantic HD.