Ein paar Wochen ist es her, dass Tagebuchaufzeichnungen Albert Einsteins auftauchten, in denen der bekannte Physiker sich auf einer Asienreise in den Zwanzigerjahren – sagen wir: eher unfreundlich über die Chinesen äußerte. Und damit sein Image des aufgeklärten Menschenfreunds ins Wanken brachte.

Aber da hat Max Giermann wahrscheinlich gerade schon zwölf Stunden in der Maske gesessen, um sich zum Relativitätstheorieentdecker modellieren zu lassen, und die Kulisse für seine erste eigene RTL-Show war auch schon aufgebaut, also gab es kein Zurück mehr.

Deshalb lief an diesem Samstagabend die erste Ausgabe des „großen Turniers der cleversten Kids Deutschlands“ unter dem Titel „Einstein Junior“ – eine RTL-Version von „1, 2 oder 3“, die sich ideal mit der ganzen Familie anschauen ließ. Und in der drei Kinder-Teams auswendig gelernte Zugverbindungen und Kartendecks aufsagten; irre schnell „Wirsingeintopf“, „Gänsefüßchen“ und „Portemonnaie“ rückwärts buchstabierten; und beim Endloskopfrechnen die mitgebrachten Erziehungsberechtigten im Saalpublikum derart ins Schwitzen brachten, dass die gestützt werden mussten.



„Ihr gehört zu den Klügsten bei RTL“, lobte Giermann zwischendurch – und, wahrlich, wer würde das anzweifeln wollen?

Unterm Strich darf RTL „Einstein Junior“ gleich aus mehreren Gründen als gelungene Abendunterhaltung verbuchen. Zum einen, weil die jungen Teilnehmer ziemlich gut gecastet waren und mit großer Schlagfertigkeit Dauergutelaune verbreiteten: Die achtjährige Emma hüpfte wie ein Flummi durch die Raterunden, Mathegenie Marcello erzählte, dass er später mal eine künstliche Schwerkraftmaschine bauen will („Wenn die Menschen irgendwann mal zu viele sind, müssen sie auch woanders leben!“) und Leonardo erinnerte sich, wie er mal seinem Vorbild Dirk Nowitzki die Hand schütteln durfte.

Einstein Junior© MG RTL D / Stefan Gregorowius

Gelungen war „Einstein Junior“ aber auch, weil sich Giermann bei seinem ersten Ausflug ins Moderative grundsätzlich ganz gut schlug und gleichzeitig so herzlich und zackig durch die Sendung führte, dass Daniel Hartwich beim Zuschauen daheim der kalte Schweiß ausgebrochen sein muss.

Wobei Giermann freilich den Vorteil hatte, zwischendurch einfach in diverse andere Rollen schlüpfen zu können, wie man das halt gewöhnt ist, wenn man „vielseitiger als der Thermomix“ auftritt (wie der Sender aus dem Off loben ließ). Gewinnspielpausen sagte Giermann einfach im Stefan-Raab-Duktus und mit Hugo-Egon-Balder-Stimme an, kommentierte die Spiele als Karl Lagerfeld, Markus Lanz und Jogi Löw (mit aktuellen WM-Gags!) – und gründete als Albert Einstein kurzerhand eine WG mit RTL-Juror Jorge González, den er so täuschend echt imitieren kann, dass der richtige in der nächsten „Let’s Dance“-Staffel problemlos ein paar Wochen frei nehmen könnte, ohne dass es jemandem auffiele.

Welchen tieferen Sinn die zusammengewürfelte Einstein-Gonzalez-WG haben sollte, erschloss sich freilich nicht. Aber mit tieferen Sinnen hat’s RTL samstagabends ohnehin nicht so dicke.

Ansonsten fragte Giermann bei seinen jungen Kandidaten tadellos Informationen aus den Vorgesprächen ab (die zuhause gebliebene Katze heißt auch Einstein!) und übertrieb es ein bisschen mit der Kandidatenmotivierung bei gleichzeitiger Selbstschmälerung: „Ihr wart nicht gut, ihr wart großartig!“, „Ich weiß das nur, weil das hier auf dem Zettel steht!“, „Ich hätte schon bei der dritten Stufe krass verkackt – oh, Entschuldigung, jetzt hab ich krass gesagt.“

Das alles hätte schön bis zum Ende so munter weitergehen können – wäre den „cleversten Kids Deutschlands“ nicht urplötzlich der Ehrgeiz dazwischen gekommen. Als eines der Teams in der vorletzten Runde lernen musste,  wie das ist, in einem Fernsehstudio unter Scheinwerfern und Kamerabeobachtung dem kollektiven Blackout zu erliegen, ging für drei der Einsteinjuniore ein bisschen die Welt unter. Kopfschüttelnd, mit verschränkten Armen und den Händen vorm Gesicht mussten die drei ertragen, wie ihre Mitbewerber im „Memory Meister“ an ihnen vorbei ins Finale zogen.

Und mit einem Mal schien Giermann sichtlich überfordert damit, dem nicht zu ahnenden Ausmaß der Enttäuschung angemessen zu begegnen, während gleichzeitig die jubelnden Sieger gefeiert werden wollten.

Einstein Junior© MG RTL D / Stefan Gregorowius


Als das Dreier-Team darauf bestand, noch mal antreten zu dürfen, um doch noch zu zeigen, wie gut man auswendig gelernt hatte, fand Giermann das „sportlich“. Aber eigentlich war’s eher gruselig, mitanzusehen, wie sehr sich 10- bis 12-Jährige in einer Fernsehshow unter Druck setzen, um abzuliefern, wenn vorher schon der eigene IQ in der Bauchbinde eingeblendet wurde. Dass Giermann fürs Finale eine Jackpot-Summer von über 30.000 Euro in Aussicht stellte, die in Show Nummer 4 gegen die anderen Sieger-Teams nochmal verdoppelt werden kann, half da gewiss nicht.

Warum das Fernsehen Kinder überhaupt um Summen spielen lässt, die ihren Taschengeldhorizont so massiv übersteigen, ist ohnehin unklar – zumal die Anspannung der jungen Kandidaten, die sowieso schon übermotiviert zeigen wollen, was sie drauf haben, dadurch ins Absurde gesteigert wird.

Als sich zum Ende ein weiteres Team geschlagen geben musste und mit langen Gesichtern gerade noch dazu durchringen konnte, den Kontrahenten zu gratulieren, klopfte Giermann den Jungs auf die Schulter und meinte: „Die haben so gut vorgelegt. Das war kaum zu schaffen.“ Ja, danke fürs Gespräch.

Aus Zuschauersicht braucht’s womöglich ein bisschen Ausdauer, in den kommenden zwei Wochen nochmal einzuschalten, um zuzusehen, wie sich der exakte Spielaufbau mit neuen Ratefüchsen wiederholt, bis schließlich final Finale ist. Aber Wiederholungen sind treue RTL-Zuschauer ja gewöhnt. Und Max Giermann hat bis dahin noch ausreichend Gelegenheit, für seine größtenteils überaus herzliche Familienshow ein bisschen Tröstnachhilfe zu nehmen.