Netflix scheint so etwas wie das gelobte Land für so manches Genre geworden zu sein. "Stranger Things" und "The Get Down" bewiesen par exellence, dass der Retro-Hype lebt, "Love" und "Master of None" haben eine neue Ära der romantischen Comedys eingeleitet und "Élite" und "Tote Mädchen lügen nicht" zeigten, dass Teenie-Serien mehr als Fremdscham bieten können. Man könnte noch so manches Beispiel nennen, doch an einem Genre beißt sich der Streaminganbieter bislang regelmäßig die Zähne aus: Klassischer Horror. Sowohl "Ghoul" als auch "Hemlock Grove" haben zwar mit Grusel geworben, aber eher angeekelt und mit Fake-Blut um sich gespritzt - das ist allerdings kein klassischer Horror. Mit "Spuk in Hill House", im englischen schöner als "The Haunting of Hill House" betitelt, betritt Netflix nun aber ein Gebiet, das in der Filmwelt einst von "Poltergeist" erschlossen wurde.

 

"Poltergeist" zeigte 1982, mit welchen meist simplen Effekten tiefergehende Narben beim Zuschauer verursacht werden können. Mancher, der Clowns nicht sowieso schon skeptisch betrachtete, hat sie nach diesem Film nicht so schnell wieder in seine Nähe kommen lassen. Gleiches gilt für Bäume: Wenn einer vor meinem Zimmerfenster gestanden hätte, hätten ihn meine Eltern fällen müssen. Filme wie diese sind zeitlos und schaffen es selbst heute noch, beim Zuschauer Unbehagen auszulösen. Diese Tatsache ist wichtig, da sich der "Spuk in Hill House" weniger an seine 1959 erschienene Romanvorlage von Shirley Jackson hält, als an das Konglomerat an Geisterfilmen der letzten Jahre.

Die Geschichte hat bis auf ein paar übernommene Namen und Plot-Details fast gar nichts mit dem Buchklassiker gemein. Aus dem wissenschaftlichen Experiment aus dem Original wird vordergründig ein Familiendrama. Der Titel wird also, ähnlich wie bei der "Lost in Space"-Adaption, eher für Werbezwecke genutzt. Blöd ist das, wenn der Zuschauer angesichts enttäuschter Erwartungen wieder ausschaltet und sich ärgert, hinters Licht geführt worden zu sein. Bei "Spuk in Hill House" kommt aber schnell ein gänzlich anderes Gefühl auf.

Die zehnteilige von Mike Flanagan ("Before I Wake") inszenierte Horrorfahrt macht nicht wütend, sondern ängstlich. Ängstlich, wie es "Poltergeist" einst beim ersten Ansehen schaffte. Das liegt zum einen am bekannten Setting: Die fünf Crane-Geschwister leben mit ihren Eltern in einem Haus, das schon optisch nach Ärger aussieht und diesen dann auch innerhalb der eigenen Mauern bereithält. Geisterhäuser sind sicherlich kein neues Thema. Der erste aufregende Twist erfolgt jedoch direkt in der ersten Folge: Die Familie flieht aus dem Haus und überlebt. Erst Jahre später, nachdem die Kinder erwachsen geworden sind, scheint sich die Vergangenheit zurückzumelden.

Empfohlener externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Youtube, der den Artikel ergänzt. Sie können sich den Inhalt anzeigen lassen. Dabei können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

 

Von da an wird der Pingpong-Ball hin- und her gespielt. In der einen Szene wird in einer Rückblende eindrucksvoller Nostalgiehorror eingefangen, während in der Nächsten Gegenwarts-Psychosen dargestellt werden, die den Zuschauer an allem zweifeln lassen. Hatte die Crane-Familie wirklich mit übernatürlichen Besuchern zu tun, oder hängt alles damit zusammen, dass dem Verstand Streiche gespielt werden? Mike Flanagan, der bislang eher durchschnittliche Horror-Streifen ins Kino brachte, befördert sich mit der Hilfe von Netflix und der wunderbaren Hauptdarstellerin Carla Gugino, mit der er bereits in "Gerald's Game" zusammenarbeite, von der zweiten Liga in die Champions League und bietet Schauerstoff, den es so bislang in kaum einer Serie zu spüren gab.

Eine der vielen Krankheiten, die aktuelle Horrorstreifen derzeit plagt, ist der Knall-Effekt. Selbst Szenen, die eigentlich gar nicht gruselig sind, werden mit so lauten Sound-Schnipseln eingeführt, dass jeder Mensch mit einem funktionierendem Gehör zusammenzuckt. "Spuk in Hill House" bewegt sich erfrischenderweise weg von diesem Trend und inszeniert beispielsweise eine schwarzhaarige Frau, die in der Luft über einem schlafenden Kind hängt, stimmungsvoller: Langsam dreht sich die Kamera, während im Hintergrund ein bedrohlicher Ton aufgebaut wird. So lässt sich Spannung aufbauen, die mit dem Knall-Effekt nie aufkommen würde. Öfters, wie im weiteren Verlauf der Serie zu sehen ist, werden auch Situationen eingestreut, bei denen so mancher Zuschauer gar ganz wegschauen wird. Flanagan spielt mit Urängsten, die den Hartgesottensten zum Bibbern bringen. 

Kaum Spaß wird "Spuk in Hill House" denjenigen bieten, die erwähnte Sound-Einlagen lieb gewonnen haben und gerne kompakten Horror sehen. Ähnlich wie bei "Shining" kommt der Schrecken hier schleichend und baut sich von Folge zu Folge immer weiter auf. Wie der schwarze Mann, der sich erst einmal in der Dunkelheit vor dem Bett auftürmt, ehe er um die Fußgelenke greift und das Opfer unter's Bett zieht. Mit dieser Warnung sei gesagt: "Spuk in Hill House" fängt schaurig an und kippt in der zweiten Hälfte zum kompletten Grauen. Wer bislang nicht an Geister glaubte, wird nun anfangen, sich zu hinterfragen.

"Spuk in Hill House", oder auch "The Haunting of Hill House" steht ab sofort bei Netflix zum Streaming zur Verfügung.