Superhelden. Ein Begriff, der selbst unter hart gesottenen Serien-Fans inzwischen fast schon zu einem Unwort verkommen ist. In regelmäßigen Abständen wird ein neuer "Avengers" veröffentlicht, dazwischen gibt es zig Filme über Ant-Man, Iron Man, Thor, Hulk und wie sie nicht alle heißen. Wer in diesem Genre-Universum wirklich den Durchblick behalten möchte, hat sich eine Lebensaufgabe geschaffen. Doch die Produktionen sind hochwertig und vollbringen es, genug Menschen von dieser Aufgabe zu überzeugen. Als Superhelden-Sugar-Daddy kann sich der Disney-Konzern bezeichnen, der seit der Übernahme von Marvel so gut wie jeden übernatürlichen Lebensretter unter seiner Flagge sammelt. Zumindest die Coolen. Für Netflix stellt das nun ein echtes Problem dar. Denn spätestens seit sich Disney dazu entschieden hat, einen eigenen Streamingdienst zu starten, werden die Verträge der Kooperationen nach und nach aufgelöst.

Netflix stellte bereits "Luke Cage" ein, ebenso wie "Daredevil" und "Iron Fist". Auch die Zukunft der verbliebenen Marvel-Marken "The Punisher" und "Jessica Jones" wackelt. Obwohl der Streaming-Riese keine Zahlen zu den Serien veröffentlichte, dürften die Produktionen eine recht große Fanbase erreicht haben. Dass das Superhelden-Loch jedoch gestopft werden kann, beweist Netflix nun mit der Veröffentlichung von "The Umbrella Academy" – eine Vereinigung von Misfits, die kein Marvel- oder DC-Branding braucht, um frische Superhelden-Stimmung zu machen.

Auf den ersten Blick scheint die Umbrella Academy jedoch gar nicht so frisch. Sie besteht nämlich aus sieben übernatürlich begabten Kindern, die von einem schräg dreinblickenden Opa unter seine Fittiche genommen werden, um für den Kampf gegen das Böse ausgebildet zu werden. Auf diesem Konzept basiert quasi das gesamte "X-Men"-Franchise, welches auch in literarischer Form weit länger existiert, als die Erstveröffentlichung der Umbrella Academy im Jahr 2007 durch den Autoren Gerard Way und den Dark Horse Comics Verlag.

Doch lediglich das Fundament beider Häuser ähnelt sich, die Innenarchitektur sieht gänzlich anders aus. In "The Umbrella Academy" dreht sich die Geschichte um sieben Adoptivgeschwister, die durch wahrlich verblüffende Weise zueinander gefunden haben: Sie alle wurden von jeweils einer Frau geboren, die eigentlich gar nicht schwanger war. Wie durch ein Wunder gebären sie plötzlich von einen Moment auf den anderen ein gesundes Baby. Der exzentrische Milliardär Sir Reginald Hargreeves (Colm Feore, "House of Cards") verfolgt dieses Ereignis, das weltweit ganze 43 Mal von statten ging, und beschließt, den besagten Wunder-Müttern jeweils ein großzügiges Gebot für die Kinder zu machen, um sie selbst aufzuziehen. Immerhin sieben Mal mit Erfolg.

Fortan werden sie lieblos darin trainiert, ihre Kräfte zu kontrollieren. Während eines der Kinder durch Zeit und Raum springen kann, ist ein anderes wie ein Jedi dazu in der Lage, die Gedanken von Mitmenschen zu manipulieren. Nicht einmal Namen haben #1 bis #7 von ihrem "Vater" bekommen, die unter anderem vom ehemaligen "Misfits"-Star Robert Sheehan und Ellen Page ("Inception") verkörpert werden. Lediglich ihre Android-Mutter, die der Milliardär zu seiner Frau macht, erbarmt sich und gibt dem Nachwuchs doch noch einen Namen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Großfamilie nicht sonderlich darüber bestürzt ist, als sie Jahre später die Nachricht übermittelt bekommt, dass ihr Vater verstorben ist.

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Ganz koscher wirkt der Tod natürlich nicht, auch wenn er anfangs noch als solch einer verkauft werden möchte. Auch dass der Geschwister-Verbund wenig später die bevorstehende Apokalypse entdeckt, scheint kein Zufall zu sein. Doch all dies sind nur die Eckpunkte der Superheldengeschichte rund um die "Umbrella Academy". Hätte es Showrunner Jeremy Slater ("The Exorcis") dabei belassen, wäre nur ein weiteres, generisches Genre-Produkt herausgekommen.

Die Faszination entsteht in Kombination mit der ausführlichen Erzählung des dysfunktionalen Familienkonstrukts. Hat es Netflix bereits in "The Haunting of Hill House" geschafft, bekannten Horror mit High-Class-Drama zu verbinden, gelingt es dem SVoD-Dienst auch hier, das beste aus zwei Welten zu vereinen. Deswegen ist "The Umbrella Academy" paradoxerweise die perfekte Serie für jede Person, die bislang nichts mit dem Superhelden-Hype anfangen konnte.

Der Zuschauer wird nicht mit komischen Pseudonymen erschlagen, auch nicht mit übertriebenen Kostümen oder pathetischer Inszenierung. #1 bis #7 wirken wie echte Menschen, die hier und da ein bisschen mehr können. Doch auch sie kämpfen, neben der kommenden Apokalypse, mit alltäglichen Problemen wie nervige Familienmitglieder. Zu melodramatisch wird es aber zu keiner Sekunde, was daran erkannt werden kann, dass das Autorenteam rundum Steve Blackman ("Fargo") in jeder Szene auch eine gewisse Komik sucht. Das ist für all diejenigen schade, die sich ein konsequentes Drama wünschen, aber erfreulich für alle anderen, die genug haben von all den "Downer"-Serien á la "Sharp Objects".

Erfreulicherweise wird die breit erzählte Familiendynamik nicht dafür genutzt, um an den Effekten zu sparen. Sicher, "The Umbrella Academy" ist kein pompöser Marvel-Streifen – jedoch auch nicht all zu weit davon entfernt. Denn sobald es zur Sache geht und die CGI-Kiste aufgemacht wird, geschieht dies in den schönsten Variationen. Die Bilder wirken smooth und so detailliert inszeniert, dass es beinahe schade ist, sie nicht auf der großen Leinwand sehen zu können. Aber umso entspannter können die ingesamt zehn Episoden der ersten Staffel auf der heimischen Couch gebinged werden.

"The Umbrella Academy" steht ab sofort bei Netflix zum Streamen bereit.