Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist es ebenso schade wie neugierig machend. Der deutsche Krimi-Roman "Die Sünderin" musste erst in die Vereinigten Staaten geschickt werden, um eine spannende Adaption verpasst zu bekommen. Es wäre interessant gewesen zu sehen, wie das Genre hierzulande mit einer solchen frischen Herangehensweise zurecht gekommen wäre, wie es des Publikum aufgenommen hätte. Mit Jessica Biel in der Hauptrolle wird nämlich eine Geschichte erzählt, die bereits zu Beginn Täter und Tat offenbart. "The Sinner" schert sich nicht um das altbackene "Wer hat es getan?", sondern geht direkt dem eigentlich faszinierenden Part auf die Schliche: "Warum wurde es getan?". Eine Frage, die in der von Petra Hammesfahr entworfenen Erzählung so dringend gelöst werden möchte – von Zuschauer und Ermittlern gleichermaßen.

Die von Jessica Biel ("The Illusionist") grandios verkörperte Figur namens Cora Tannetti ist nicht der typische Killertyp. Doch irgendetwas muss diese verheiratete Mutter dazu verleitet haben, an einem warmen Sommertag einen ihr scheinbar fremden Mann zu erstechen. Eben noch saß sie mit Mann und Kind auf ihrer Stranddecke und schälte Obst, kurz darauf sticht sie mit einem Messer mehrmals in den Körper eines Mannes, der mit seiner Freundin herumtollt.

"Warum haben Sie ihn getötet?", wird Cora von einem zuständigen Ermittler gefragt. "Weil sie diese Musik hörten und sie immer lauter machten", kommt prompt die Antwort. Eine absurde Antwort, bei der bereits klar wird, dass Cora nicht einfach so zum Messer griff. Hier steckt etwas noch viel tiefer im Argen. Von den Ermittlern muss gegraben werden, um zu verstehen, wie es zu dieser Tat kam und ob Cora möglicherweise verrückt wurde. Und wenn ja, warum.

Harry Ambrose (Bill Pullman, "Independence Day") ist Teil des Ermittlerteams und jemand, der genug eigene Baustellen zu flicken hat. Nach seiner gescheiterten Ehe stopft er das klaffende Loch in seinem Herzen unter anderem damit, dass er regelmäßig bei einer Domina vorbeischaut – alleine sie schafft es, ihm so etwas wie Emotionen zu entlocken. Bei den Zuschauern sorgen diese gezeigten Besuche dafür, dass sie jeglichen Respekt vor dem leitenden Detektiv verlieren. Diesen Respekt scheint er vor sich selbst schon lange nicht mehr zu haben.

Bill Pullman performt diese komplizierte Rolle überragend und sorgt mit seiner Arbeit ideal dafür, dass nachvollzogen werden kann, warum ausgerechnet Harry Ambrose derjenige ist, der Cora verstehen kann. Denn auch Cora offenbart immer mehr seelische Narben und Schicksalsschläge, die sie am Ende eben keine normale Mutter mehr haben sein lassen. Die Inszenierung von Showrunner Derek Simmons ("When We Rise") fügt sich von Folge zu Folge wie ein Puzzle zusammen, dessen Bild wirklich erst ganz am Ende vollkommen erkannt werden kann. Noch wichtiger: Es macht Sinn. Ob einer Mörderin Verständnis oder gar Sympathien überbracht werden können, muss jeder für sich selbst entscheiden. Doch "The Sinner" zeigt in einem Paradebeispiel, wie kompliziert und tiefgehend die Gründe für solch eine Tat veranlagt sein können.

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Es ist ein psychologisches Tennis-Spiel zwischen der verwirrten Cora und einer rätselnden Judikative – eines, welches nicht aus reinen Unterhaltungsgründen geschaut werden sollte. Denn wer den Anspruch hat, einer Feel-Good-Story zu folgen, in der immer klarer wird, dass alles gut ausgeht, ist bei "The Sinner" an der allerfalschesten Adresse. Direkt zu Anfang wird gezeigt, wie unfreiwilliger Sex in der Ehe aussieht und von da an wird es nur noch düsterer. Ähnlich wie bei der Drama-Serie "Sharp Objects" sind die Lichtblick rar gesät. Das sorgt für eine unglaublich dichte Atmosphäre, die jedoch alles andere als leicht verdaulich ist.

Ob es die Deutschen auch so gut hinbekommen hätten? Egal. Diese erfolgreiche Adaption, die ihren Ursprung in Kerpen im Rhein-Erft-Kreis findet, sei dem leidenschaftlichen US-amerikanischen Team von USA Network gegönnt.

Die erste Staffel von "The Sinner" ist ab sofort jeden Freitag bei RTL Crime um 20:15 Uhr zu sehen. Abrufbar ist sie außerdem bei Netflix, ebenso wie die zweite Staffel.