Die politische Dimension der Recherchen von Thilo Mischke wurde schon vor der Ausstrahlung diskutiert, führte bei der AfD zur fristlosen Kündigung des früheren Fraktionssprechers Christian Lüth und wirkt auch nach der erfolgreichen Ausstrahlung am Montagabend nach. Selten erlangte eine Reportage in den vergangenen Jahren eine derartige Aufmerksamkeit, insbesondere beim jungen Publikum. Daraus lassen sich für die Fernsehbranche Lehren ziehen, die Ernüchterung und Chance gleichermaßen darstellen.

Die enorme Aufmerksamkeit für die ProSieben-Produktion sorgte vereinzelt für reflexartige Reaktionen aus dem öffentlich-rechtlichen Lager. Lob und Anerkennung für den Coup von ProSieben mischten sich mit dem sachlich korrekten, aber gleichzeitig verschnupft klingenden Hinweis, dass ARD und ZDF sich dem Thema schon viel früher, regelmäßiger und noch erschöpfender gewidmet haben und widmen. Nun ist die Begeisterung über die ProSieben-Reportage sicher auch einer gewissen Fallhöhe geschuldet: Bei entsprechend geringer Erwartungshaltung ist der positive Überraschungseffekt ungleich größer.

Womit wir bei der ersten Lehre aus dem Erfolg von "Rechts. Deutsch. Radikal" wären: Reportagen und Dokumentationen können auch um 20:15 Uhr ein großer Publikumserfolg sein. Einmal mehr führt ein Privatsender diesen Beweis vor, wie schon 2014 RTL mit seinen ersten "Team Wallraff"-Filmen. Trotz der enormen Vielzahl von Reportagen und Dokumentationen tun sich ARD und ZDF schwer, dem Genre zur besten Sendezeit zu vertrauen. Da nützt auch kein Verweis darauf, dass die Öffentlich-Rechtlichen in dem Genre quantitativ allen voraus sind. Doch es fängt nicht erst beim Sendeplatz an. Schon in der Beauftragung wird falsch gedacht.

Das Problem steckt in der veralteten Sendeplatz-Denkweise. Die ARD-Anstalten wie auch das ZDF haben in einer linearen Wettbewerbswelt Marken im Programm geschaffen, die von individuellen Reportagen oder Dokumentationen gefüllt werden. Im alten Wettbewerb war man stolz auf diese Orientierungspunkte. Sie waren gut gedacht und sollten Einzelstücken durch einen gemeinsamen Absender aufwerten. Doch im heutigen Wettbewerb um Aufmerksamkeit bewirken diese Marken zumindest bei Unter 50-Jährigen das Gegenteil - auch im Privatfernsehen übrigens, wo die gehaltlose Wiederbelebung der Markenhülle "Akte" bei Sat.1 die vielleicht größte Schnapsidee des Senders im letzten Jahr war.

Während die BBC schon länger auch im Dokumentarischen in Leuchtturm-Produktionen denkt, die als Event unter eigenem Namen programmiert werden und entsprechende Aufmerksamkeit generieren, werden bei ARD und ZDF in der Regel weiter bestehende Marken und Magazine befüllt, die auch noch oft am Programmrand liegen. Völlig unterschiedliche Werke werden damit behandelt, als wären sie bloß eine weitere Folge einer etablierten Marke, werden zu beliebigen Episoden. Einzelwerke unter eigenem Titel finden selten den Weg ins Programm. Damit bleiben hervorragende Filme oft gut versteckt und unentdeckt, weil nicht ihr Thema in den Mittelpunkt gerückt wird.

Dabei geht es ja durchaus anders: In der Fiction sind ARD und ZDF inzwischen vom neuen Wettbewerb wachgeküsst und trauen sich gelegentlich Event-Programmierungen. Was dort gelernt und umgesetzt wurde, muss bei Informationsprogrammen noch folgen. Themenwochen, wie sie die ARD mit riesigem Aufwand und Vorlauf institutionalisiert hat, sind ein zarter Versuch in diese Richtung - aber erliegen auch der alten linearen Denke, dass das Publikum eine Woche lang seine Aufmerksamkeit widmen wird. Das versuchen auch Privatsender immer wieder mal, landen aber eher kleine Achtungserfolge und können sich im Geschäftsbericht mit Corporate Responsibility schmücken.

Es ist natürlich auch anstrengend, viel PR-Aufwand für ein Einzelwerk zu betreiben. Und klar: Eine Aufmerksamkeit wie sie "Rechts. Deutsch. Radikal" erhalten hat, lässt sich nicht mit jedem Thema generieren. Nicht immer müssen Informationsprogramme aber auch so brisant sein und damit eine Steilvorlage liefern. Aber das Sondieren und Fokussieren auf wenige Werke lässt in jedem Fall eine andere Art der PR zu. Das Gießkannenprinzip, verbunden mit der Veröffentlichung von Sendeabläufen zum Abdruck in Programmzeitschriften, folgt noch einer veralteten Erwartungshaltung, in der sich das Publikum schon gefälligst interessieren werde für das, was man ihm anbiete.

Aktive PR sieht anders aus. Sie ist aber nötig im ungleich härteren Kampf um die Aufmerksamkeit von Zuschauerinnen und Zuschauern. Auch deshalb, weil die Bedeutung von Programmzeitschriften, die Woche für Woche (oder alle 14 Tage) zusammen noch immer millionenfach verkauft werden, nachweisbar geschrumpft ist: Seit anderthalb Jahren beweisen Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf dies bereits regelmäßig mit ihren 15 Minuten am Mittwochabend. Obwohl diese in keiner Programmzeitschrift angekündigt sind, werden die bemerkenswerten Primetime-Experimente des Duos regelmäßig überdurchschnittlich oft eingeschaltet im Vergleich zum eigentlich geplanten Programm.

Für mehr Zumutung zur Primetime

Und auch bei "Rechts. Deutsch. Radikal" wies jede deutsche Programmzeitschrift für Montag 20:15 Uhr bei ProSieben eigentlich den Hollywood-Blockbuster "Django Unchained" von Quentin Tarantino aus. Trotzdem (und nicht nur aufgrund der werbefreien Ausstrahlung) erreichte Thilo Mischkes zweistündige Reportage starke Einschaltquoten, weil das Programm von der jungen Zielgruppe des Senders gefunden wurde - ganz ohne Programmzeitschriften, die den Sendern ohnehin viel zu lange Planungsfesseln umgelegt haben.

Mehr als die Sender selbst verlangten die einst so relevanten Druckerzeugnisse Planbarkeit auf anderthalb Monate im Voraus und die Fernsehmacher aller Sender, egal ob privat oder öffentlich-rechtlich, ließen sich von den Verlagen die Spielregeln diktieren. Diese Dominanz schwindet und kurzfristig ins Programm genommene Publikumserfolge von ProSieben sind damit auch ein Befreiungsschlag für die gesamte Branche: Das Fernsehen kann, muss vielleicht sogar überraschen, um relevant zu bleiben. Neben den inhaltlichen Recherchen von Thilo Mischke ist "Rechts. Deutsch. Radikal" als Reportage also auch ein Lehrstück für die Branche.

Für mehr Zumutung zur Primetime, weil das Publikum sie vertragen kann. Für mehr Reportagen und Dokumentationen zu besseren Sendezeiten, weil sie es tragen können. Für ein Neudenken der PR in einer Ära nach den Programmzeitschriften. Für mehr Flexibilität und Spontaneität. Für den Mut zur Fokussierung. Für die Wertschätzung individueller Leistungen statt Stützung von generischen Programmmarken.