Vorab die Antwort auf die Frage, ob es angemessen ist, diesen „Tatort“ nicht am üblichen Platz um 20.15 Uhr zu zeigen, weil so manche Szenen jüngeren Zuschauern nicht zugemutet werden können: Es ist angemessen. Selbst wenn die Darsteller und ein paar Menschen in der ARD das anders sehen. Es ist angemessen, weil die Gewalt, die hier dargestellt wird, nicht in einzelnen Bildern steckt, sondern in der brutalen Konsequenz, mit der sich hier nicht nur sprichwörtlich die Schlinge um den Hals zuzieht.

Die Schlinge ist ein Kabelbinder, und den bekommt Franziska, bekannt als Assistentin der Kölner Kommissare Ballauf und Schenk, schon nach zwölf Minuten um den Hals. Daniel Kehl besorgt das. Eigentlich soll der verurteilte Vergewaltiger und Frauenmörder in ein paar Tagen entlassen werden, aber gerade eben ist in der JVA ein Mord geschehen, und ein Mithäftling belastet Kehl schwer. Der wirkt wie das Opfer eines Komplotts, gerät in Panik und nimmt die ihm als Bewährungshelferin zugeteilte Franziska als Geisel. Während sich das SEK in Stellung bringt, versuchen Ballauf und Schenk den JVA-Mord aufzuklären, denn sie wissen, dass es ihrer Kollegin helfen könnte, wenn sie Entlastendes zu Kehls Verteidigung vorbringen können.

Dror Zaharvi hat diesen brisanten Fall nach einem Buch des beinahe schon als WDR-Hausautor amtierenden Jürgen Werner inszeniert und schafft früh eine ziemlich unerträgliche Spannung, die kaum je nachlässt, sich vielmehr von Minute zu Minute verdichtet. Geschickt verknüpft er die zwei Handlungsebenen, hier das Kammerspiel zwischen Geisel und Geiselnehmer, dort die Kommissare, die von Zelle zu Zelle wandern und nach jeder Station ausführlich den Ermittlungsstand rekapitulieren.

Das hat ein paar kleine Hänger, die den Zuschauer stutzen lassen. So muss er mitansehen, wie das SEK ganz gemütlich in Sichtweite des Geiselnehmers auf den Hof fährt und ablädt. Später stehen auch noch Ballauf und Schenk im Gespräch mit dem Staatsanwalt gut sichtbar im Hof herum. Und dann ist da noch die fast schon parodistisch anmutende Reaktion von Ballauf, als der von der Geiselnahme hört. „Verdammt nochmal, wie konnte so was passieren“, faucht er und führt für einen Moment die ganze Beschränktheit seines Beamtendaseins vor.

Ausgeglichen werden diese kleinen Misslichkeiten indes durch ganz ordentliche Leistungen von Tessa Mittelstaedt und Hinnerk Schönemann. Sie ist die Geisel, er ihr Peiniger. Der eine oben, die andere unten. Aber es dreht sich etwas im Verhältnis der beiden. Mehrfach. Besonders Schönemann schickt seine Figur auf die Schussbahn einer schneidenden Logik. Er gibt diesem Kehl eine große Dynamik. Er lotet aus, was so ein Gefängnisleben mit einem macht, der sich plötzlich seiner Perspektiven beraubt sieht. Er wirkt eine Spur zu lieb, aber gerade aus seiner Niedlichkeit heraus holt er das ganz Bitterböse, selbst wenn er von seiner ganz großen Form („Mörder auf Amrum“) einige Schritte entfernt bleibt. Mittelstaedt spielt derweil die taffe Kriminalistin, die so leicht nicht unter zu kriegen ist. Sie erledigt das mit einer beinahe legeren Beiläufigkeit. Ihre Franziska weiß sehr genau, dass sie aus der Situation nur herauskommt, wenn sie trotz immer enger werdender Schlinge einen klaren Kopf behält. Oder wie es Kommissar Schenk ausdrückt: „Die erträgt uns jeden Tag. Die schafft das schon.“

Dies ist kein normaler Kölner „Tatort“, dies ist mit Sicherheit ein sehr besonderer in der Geschichte von Ballauf und Schenk. Und dass er erst um 22 Uhr beginnt, ist nicht nur verkraftbar, es weist der Geschichte vielmehr einen sehr besonderen Platz zu und setzt damit ein kräftiges Ausrufezeichen hinter einen trotz aller Lässlichkeiten immer noch sehenswerten Krimi, der nichts ist für schwache Nerven und empfindliche Gemüter.

Hans Hoffs Kritik zum Frankfurter "Tatort"