Schon wieder der Hessische Rundfunk. Schon wieder diese Anstalt, die im Normalbetrieb für belangloses Einerlei der schlimmsten Art steht. Und dann fertigen sie zwischendrin sowas. Nach Ulrich Tukurs „Im Schmerz geboren“ folgt nun schon der zweite hessische „Tatort“-Hammer in kurzer Distanz. „Das Haus am Ende der Straße“, der letzte Fall des von Joachim Król gespielten Kommissars Frank Steier, ist ein Hammer. Ausrufezeichen. Ein Hammer!

Die Notärzte der Republik sollten sich am Sonntag gegen 21:45 Uhr auf vermehrte Einsätze einstellen, weil sie wohl vielfach ausrücken müssen, um Zuschauer wiederzubeleben, denen dieser grandiose Film den Atem verschlagen hat. Weil er wieder mal aus der Spur gerät, weil er so besonders verschachtelt und trotzdem unglaublich spannend angelegt ist.

Es ist Joachim Króls letzter Fall. Nina Kunzendorf hat ihn als Ko-Ermittlerin schon vor einer Weile verlassen, und nun läuft der Job auch für Król aus. Aber der Job läuft nicht aus, er explodiert förmlich und sprengt dabei alle möglichen „Tatort“-Klischees mit weg. Es gibt also keine sich ständig den Ermittlungsstand mitteilenden Schnarchnasen, es gibt keine öden „Wo waren sie gestern zwischen…“-Fragen, es gibt einen Krimi, der sich nach biederem Vorspiel zum Thriller wandelt, der den Zuschauer hineinzieht in eine beklemmende Enge, in Räume, die keinen Ausgang dafür aber umso mehr Abgrund bieten.

Zu Beginn wird Steier vor Gericht demontiert. Bei einem seiner Einsätze ist die Lage eskaliert. Der Gewaltverbrecher Nico nahm Steier die Waffe ab und erschoss durch eine Wand hindurch ein kleines Mädchen, das eben noch mit Steier gealbert hatte. Weil Steier aber in der Nacht zuvor ordentlich gepichelt hatte und dementsprechend mit reichlich Restalkohol gesegnet war, glaubt ihm das Gericht nicht und spricht Nico frei. Das ist ein veritabler Skandal, der für Steier die Beurlaubung und eine Entziehungskur nach sich zieht.

Steier verweigert sich den Zwangsmaßnahmen und kündigt. In seinen letzten Stunden als Polizist stellt er dem freigesprochenen Nico nach. Er will ihn selbst richten, erhebt die Waffe hinter dem Ahnungslosen, schafft es aber nicht, abzudrücken. Stattdessen bekommt er mit, wie Nico, sein Bruder und dessen Junkie-Freundin in eine Villa einbrechen und den überraschend heimkehrenden Bewohner erschlagen. Danach eilen sie in ein benachbartes Haus, um den dort wohnenden Typen auch gleich kalt zu machen. Er hat zu viel gesehen. Doch der Typ ist cleverer als alle denken. Er, der als ehemaliger Polizist und gescheiterter Vater vor sich hinvegetiert, setzt die Bande und Steier im Keller fest. Er wittert die Chance, jene Gerechtigkeit herzustellen, die ihm das Leben so oft verweigert hat.

Von da an wird der Film zum Psychodrama, in dem es um kaputte Existenzen geht, um die Frage, wofür ein zerstörtes Leben noch taugt, was man tun kann oder muss, wenn man eh nichts mehr zu verlieren hat.

Erol Yesilkaya und Michael Proehl haben das Buch zu diesem Film geschrieben, und Sebastian Marka hat es inszeniert. So dicht, dass es manchmal beinahe weh tut. Vor allem aber hat Marka die Geschichte gegen gängige Abläufe programmiert. Nichts kommt so wie man denkt.

Beispiel Armin Rohde. Wenn man den normalerweise in der Besetzungsliste sieht, fürchtet man rasch den polternden Ruhrgebietsproll, blitzt sein nackter Arsch bei „Wetten, dass…?“ auf, nervt das Grimassieren schon vorab. Und dann taucht er hier auf und zeigt, wozu er fähig ist, wenn sich ein Regisseur nicht von seinem vordergründigen Aktionismus verführen lässt, wenn er ihm Zurückhaltung auferlegt. Da ist Rohde dann plötzlich überaus dienlich, wenn es um die Frage geht, wem man vertrauen kann, wer wen richten darf und wohin das alles führt, wenn man immer wieder vor eine Mauer rennt.

Niemand ist Held in diesem Film, vor allem nicht, wenn sich plötzlich alles auf engstem Raum abspielt, wenn es Kammerspiel wird, wenn sich das Böse mit dem Guten verbündet, wenn Schwarz auch Weiß sein kann.

Wollte man unbedingt auch ein bisschen Wermut in den Wein der Begeisterung kippen, dann würde man vielleicht erwähnen, dass das penetrante Einblenden einer Milchwerbung mit der Anweisung, man solle doch bitteschön der Held in seinem eigenen Film sein, ein wenig nervt. Aber nur ein wenig. Schnell ist dieser Wink mit dem Zaunpfahl vergessen, weil die Handlung weitergeht, weil ihre diabolische Logik, dass sich die Lebenslinien aller Versager an einem bestimmten Punkt zum Showdown treffen, alles andere aus dem Rennen um die Aufmerksamkeit des Zuschauers wirft.

Diesen Film muss man schauen, wenn man Thriller mag. Diesen Film sollte man schauen, wenn man glauben möchte, dass „Tatort“ nicht zwangsläufig für Schnarchnasen-TV aus Leipzig oder Köln steht. Diesen Film darf man schauen, wenn man ein bisschen Hoffnung möchte.

Demnächst kommt nämlich ein neues Ermittler-Duo nach Frankfurt. Und dann sind die Autoren und der Regisseur dieses Films wieder beteiligt. Das lässt annehmen, dass die drei unter extremem Druck stehen, denn mit dieser Episode haben sie die Latte sehr hochgelegt.