Bisher konnte man die Struktur der meisten Charlotte-Lindholm-Krimis prima voraussagen. Da passierte ein Mord, und dann stapfte eine superpatente Frau, die demonstrativ ihr Maria-Furtwängler-Gesicht spazieren trug, über den Bildschirm, erwies sich gegenüber ihrem Sprössling als Rabenmutter, war dafür aber bei den Bösewichtern eher unbeliebt, weil sie am Ende meist den richtigen dingfest machte.

Rabenmutter ist Charlotte Lindholm auch in diesem „Spielverderber“ genannten Fall. Sie vernachlässigt ihr Kind, weil sich die Mörder im Erwachsenenleben eben nicht richten nach den Zeiten, da man die Brut von irgendeiner Verwahreinrichtung abholen muss.

Ansonsten ist vieles anders. Die früher so patente Charlotte mit dem ebenmäßigen Gesicht, kriegt plötzlich Falten. Nicht unbedingt im Wortsinne, eher im seelischen Zusammenhang. Auf einmal ist diese Frau gar nicht mehr so unerträglich patent, auf einmal zeigt sie menschliche Züge. Sie wirkt fahrig, agiert unkorrekt und steht mehrfach am Rande eines Heulanfalls.

Auslöser des Dramas ist der Mord an einer Frau, die man im Vorspann noch mit ihrem Liebhaber säfteln sah. Als ihr Gatte am nächsten Tag nach ihr sucht, fällt sie ihm von der Speichertreppe blutig-tot vor die Füße, und der Liebhaber ist über alle Berge. Weil der Gatte auf einer Fliegerbasis der Bundeswehr arbeitet, muss Lindholm auch dorthin. Man sieht sie vor der Kulisse von riesigen Transport-Maschinen. Das wirkt imposant, atmet zeitweise einen Hauch von „Top Gun“, steigert aber nicht unbedingt die Freude der Soldaten, die Frau Kommissarin lieber wieder an ihrem Schreibtisch sähen.

Hartmut Schoen hat diesen Film als Autor konstruiert und auch inszeniert. Er setzt auf eine ausgiebige Ouvertüre, die gut sieben Minuten andauert. Erst danach ist klar, worum es geht, erst danach darf La Lindholm die Szenerie betreten.

Von Anfang an hat sie Schwierigkeiten mit dem eher biederen Staatsanwalt, der sie zwar gerufen hat, der ihr aber nun lieber Steine in den Weg legt anstatt ihr zu helfen. Sie muss kämpfen, die tapfere Charlotte, und Regisseur Schoen erspart ihr nichts. Er zeichnet seine Heldin als beinah Gebrochene, als eine, die mehr zweifelt als ihr gut tut.

Ergänzt wird diese formidable Vorstellung besonders von zwei Schauspielern, die aus dem Ensemble herausragen. Gerdy Zint spielt den Gatten der Toten mit der Intensität eines so gerade eben noch verschlossenen Vulkans. Seine Figur steht ständig unter Spannung, weshalb er natürlich rasch in die Riege der Verdächtigen aufgenommen wird. Zudem spielt Jasmin Gerat als Lademeisterin der Transall eine nicht ganz durchsichtige Rolle und zeigt dabei Gespür für eine Frau, die nicht wirklich wahrhaben will, was um sie herum passiert.

Das vierte Highlight in diesem Film liefert Kameramann Andreas Doub, der wunderbar komponierte Bilder anbietet und große optische Wucht in die Szenen legt. Das wird besonders deutlich, wenn der Film zwischendrin mal eben amerikanische Roadmovies zitiert und der Widersacher plötzlich im Rückspiegel auftaucht. Das atmet sehr viel Wollen und glücklicherweise auch jede Menge Gelingen.

So ist ein Hannover-„Tatort“ entstanden, der sich wohltuend abhebt von seinen Vorgängern, die vor allem aufs vornehme Furtwängler-Näschen setzten. Dieser Film will mehr und ist mehr. Da fällt dann auch nicht mehr besonders ins Gewicht, dass die Szenen, in denen Lindholm mit ihrem Kind agieren muss, wirken wie geschnitzt. In keiner Sekunde glaubt man den Figuren, dass sie miteinander verwandt sind, dass sie mehr als nur den Aufenthaltsort miteinander gemein haben.

Der Rest stimmt nämlich, wirkt schlüssig begründet, und so ein spektakuläres Ende hat man im „Tatort“ auch noch nicht oft gesehen. Gelungen.