Die ländliche Idylle war gestern. Vorbei die Zeiten, da Kommissarin Olga Lenski mit ihrem klapprigen Transporter allein durch die Uckermark knatterte und im Dienst auf die Unterstützung des wackeren Hauptwachtmeisters Horst Krause vertrauen durfte. Der knatterte immer dann mit seinem Beiwagenmotorrad herbei, wenn es etwas menscheln musste. Doch das ist Geschichte. Krause ist im Ruhestand, und Olga Lenski hat sich versetzen lassen an die deutsch-polnische Grenze. Dort ist sie nun Teil eines Zweinationenteams, das hüben wie drüben ermittelt.

Dass es etwas zu ermitteln gibt, lernt Lenski schon auf einer ihrer ersten Fahrten durch Polen. Auf einmal wird sie von zwei Autos überholt. Das eine flieht, das andere, ein Polizeiwagen, verfolgt. Als der Fahrer des ersten Wagens zu Fuß weiter flüchtet und die Beamten ihm folgen, findet Lenski im Auto eine stark blutende Person. Sie reagiert intuitiv, setzt sich auf die blutverschmierten Sitze und sucht in der nächsten Stadt nach einem Krankenhaus. Trotzdem stirbt der Mann.

Als Zuschauer erlebt man die Einführung in ein neues Genre nicht allzu oft. Natürlich kennt man grenzüberschreitende Krimis schon aus dem Bodensee-„Tatort“. Aber dort geht es meist gesittet und geordnet zu. Beim „Polizeiruf 110“ haben sie sich aber nun entschlossen, auf diese Ordnung zu spucken. Die Autoren Claudia Boysen, Uwe Wilhelm und Jakob Ziemnicki haben sich sehr offensichtlich vorgenommen, das Chaos abzubilden, das entsteht, wenn man es mit unklaren Grenzziehungen zu tun bekommt, wenn man zu den normalen Grenzgängern Asylbewerber aus Tschetschenien packt und dann noch die Nöte von Polizisten thematisiert, die sich in der fremdländischen Umgebung eher schwertun.

Regisseur Jakob Ziemnicki hat das Vorhaben nach Kräften unterstützt. Er setzt den Ideen eine harte Bildsprache entgegen. Scharfe Schnitte, grobkörnige Wackelkamerabilder und ein Übermaß an Protagonisten zeichnen diesen Film aus.

Der Zuschauer muss höllisch aufpassen, Schritt mit den Entwicklungen zu halten. Wer ist wer, und wer tut was warum? Diese Fragen ziehen sich durch den Film, und erst ganz am Schluss wird deutlich, was die einzelnen Protagonisten wirklich miteinander zu tun haben, der dubiose Übersetzer, der Boxklubbesitzer, der Anwalt.

Ein bisschen hilft der Neue an Lenskis Seite. Weil sie so gut wie kein Polnisch spricht, soll ihr der alerte Kollege Adam Raczek helfen. Der neue Kommissar wird gespielt von Lucas Gregorowicz, der seine Figur als Hansdampf in vielen Gassen anlegt. Er folgt dem gängigen Krimimuster: Lieber mal reingehen und nicht auf Hilfe warten.

Natürlich bekommt er dabei auf die Nuss, aber eine Antwort auf die Frage, wer das Opfer im Fluchtauto blutig geschlagen hat, bleibt trotzdem aus. Vieles ist verwirrend in diesem Film, und wenn es die Absicht war, die Unordnung zu zeigen, die aus der Kollision mehrerer Systeme entsteht, dann kann man diese Angelegenheit gelungen nennen.

Begleitet wird das Ganze leider von einer ziemlich nervenden Filmmusik, die immer wieder mal tönt, als habe da jemand überlegt, mit welcher Gabel er nun die Kreidetafel oder Porzellanteller malträtieren kann, auf dass der Zuschauer nur ja nicht den Hauch von Wohlgefühl entwickeln möge. Kurz gesagt: Der Soundtrack ist nahe dran, ein Fall für amnesty international zu sein.

Ein bisschen wirkt es, als habe da jemand den östlichsten „Polizeiruf 110“ mit einem Schneebesen durchgewirbelt. Nun schweben alle Teilchen herum, ohne Orientierung und ohne Halt. Es wird etwas brauchen, bis sich das alles setzt, bis die neuen Strukturen erkennbar werden und vertraut wirken können. Aber das ist allemal besser als die Land-Schnarcherei, die vorher herrschte. Unordnung kann auch Hoffnung machen.