Herr Morris, bevor wir über den Stand der Dinge im Bereich OTT sprechen, vielleicht eine kurze Erklärung: Was verstehen wir unter OTT?

Beginnen wir mit dem Begriff OTT selbst: OTT ist eine Abkürzung und steht für „Over-the-Top”. Dies bedeutet, dass Videoinhalte über neue Kanäle über das Internet übermittelt werden – im Gegensatz zu herkömmlichen Beziehungswegen wie beispielsweise über einen Kabel- oder Satelliten-TV-Anbieter. Die OTT-Technologie unterstützt On-Demand- und  Catch-Up-Dienste, die es Nutzern erlauben, die Inhalte zu sehen, die sie möchten und wann immer sie möchten – unabhängig vom Endgerät und auch von unterwegs. Obwohl die Inhalte über das Netzwerk eines Internetdienstanbieters laufen, werden die Inhalte selbst oftmals von Drittanbietern wie Netflix, Amazon Instant Video oder Watchever verwaltet und gesteuert.

Schon seit Jahren wird viel über OTT geredet. Der Siegeszug ist bislanga aber ein schleppender, hat erst in letzter Zeit an Fahrt aufgenommen.

Während viele Menschen heute den Zugang zu einem schnellen Breitbandanschluss als selbstverständlich betrachten, ist es noch nicht so lange her, dass die langsame Wählverbindung zuhause noch die Norm war. Und für OTT benötigt man wirklich ein Hochleistungs-Netzwerk, das ein verzögerungsfreies Zuschauererlebnis garantiert. Hinzu kommt, dass die Zeitverzögerung bei OTT-Inhalten dazu geführt hat, dass diese Technologie bis jetzt nur selten für Live-Veranstaltungen zum Einsatz kam. Der Grund ist, dass bei der herkömmlichen Übertragung von OTT-Inhalten eine Zeitverzögerung von mehreren Minuten zwischen der Live-TV-Übertragung und dem Online-Feed eines Formel 1-Rennens, das man zum Beispiel auf dem Tablet oder Smartphone verfolgt, besteht.

Die zeitliche Verzögerung zwischen klassischem, sogar analogem TV-Signal und der digitalen Verbreitung ist besonders bei Sportevents in der Tat immer wieder ein manchmal amüsantes Thema. Wer darf zuerst jubeln über ein Tor oder ein gewonnenes Rennen.

Richtig, somit ist keine wirkliche Social Media-Interaktion in Echtzeit zwischen den Zuschauern möglich. Beispielsweise verfolgt eine Person das Rennen am Fernseher, sieht ein entscheidendes Überholmanöver und twittert darüber – und ruiniert damit vielleicht das Zuschauererlebnis für diejenigen, die das Rennen auf dem Tablet verfolgen. Heute sind die zwei entscheidendsten Elemente – eine leistungsstarke Verbindung und die technische Fähigkeit, Live-OTT-Inhalte ohne Verzögerung zu übermitteln – beide verfügbar, was das Wachstum von OTT-Diensten weiter beschleunigen wird.

Können Sie Beispiele nennen, die Tata Communication in dem Bereich bereits realisiert hat?

Wir kooperieren bereits mit Net Insight, einem Spezialisten für die Übertragung von interaktivem Live- und On-Demand-Inhalten. Die Kombination des Media Ecosystems von Tata Communications mit der ersten Branchenlösung für OTT von Net Insight ermöglicht Unternehmen, Video-Feeds von überall auf der Welt und auf jedem Endgerät zu verwalten und auszustrahlen – und dies ohne Zeitverzögerungen. Wir haben diese Technologie letztes Jahr bei einem Grand Prix-Trainingslauf der Formel 1 in Singapur getestet. Dabei wurde ein Live-Feed von der Rennstrecke zum technischen Hauptquartier des Formel 1-Managements in Biggin Hill in Großbritannien übertragen – und dies ohne Zeitverzögerung zwischen der Live-Ausstrahlung und dem Feed, das man über die App abrufen konnte. Das Live-OTT-Video wurde über unser globales Glasfasernetzwerk und unser Media Ecosystem übertragen. Dabei wurde der Feed in verschiedene Bit-Raten konvertiert, während eine gleichbleibend hohe Qualität erhalten blieb – unabhängig von der Internetbandbreite oder des Endgerätes. Wir freuen uns darauf, auf der diesjährigen NAB neue OTT-Kunden bekanntgeben zu können.

Tata Communications stellt also bei der NAB Show OTT in den Mittelpunkt?

Wir sehen ein rasantes Wachstum des OTT-Marktes. Dies wird maßgeblich durch die hohe Nachfrage der Verbraucher nach Verfügbarkeit ihrer beliebtesten Sendungen und Inhalte – zu jeder Zeit und auf jedem Gerät – vorangetrieben. Dies gibt den Zuschauern eine große Flexibilität und ermöglicht ihnen, selbst zu entscheiden, was sie sehen und wann – ganz nach persönlichem Geschmack und Gewohnheiten. Aber es geht nicht nur um die Personalisierung. Es geht auch darum, dass sich das Zuschauererlebnis vom reinen „Zuschauen“ zu „Mitfiebern“ und „Interagieren“ verändert. So können Zuschauer die Möglichkeiten von Social Media-Plattformen voll ausschöpfen, während sie ihre Lieblingssendungen über OTT ansehen und dabei Kommentare mit anderen austauschen.

Und aus Sendersicht?

Für Sender öffnen neue Technologien zur Bereitstellung von Live-OTT-Inhalten andererseits die Tür zur möglicherweise größten Chance, um neue Umsätze zu generieren, die die Industrie seit vielen Jahren erlebt hat. Live-Sport-Veranstaltungen oder Musikkonzerte können nun zu einem wahrhaft sozialen TV-Erlebnis in Echtzeit werden, welches völlig neue Umsatzmöglichkeiten eröffnen.

Wie schätzen Sie die Stimmung bei der NAB Show in diesem Jahr ein? Was wird die Branche beschäftigen?

Bei der Revolution im Bereich Broadcasting geht es darum, den Wettbewerbern immer einen Schritt voraus zu sein, während man den Zuschauern die Plattformen und Dienste bereitstellt, um ihnen mehr Kontrolle zu geben. Die Übertragung von Inhalten in noch höherer Auflösung und über das Internet treibt den Wettbewerb sogar zwischen Ökosystemen voran, während herkömmliche Anbieter in Innovationen investieren, um mit den flexiblen und disruptiven OTT-Newcomern mitzuhalten. Während der Druck also steigt, geht es darum, jedwede Möglichkeit zu erkunden, die Zuschauer zur Interaktion zu motivieren und gleichzeitig attraktiv für Werbetreibende zu sein, um neue Umsatzströme generieren zu können. OTT spielt für all diese Aspekte eine große Rolle, deshalb erwarte ich, dass es auch eines der am heißesten diskutierten Themen auf der diesjährigen NAB sein wird.

Herr Morris, herzlichen Dank für das Gespräch.