Eigentlich ist es guter Brauch von ARD und ZDF, in der Woche vor einer Landtags- oder Bundestagswahl keine Wahlforschungs-Formate mit frischen Umfrage-Ergebnissen mehr ins Programm zu nehmen, um die Wähler nicht zu beeinflussen. Doch beim ZDF denkt man nun darüber nach, im Vorfeld der Bundestagswahl im September davon abzuweichen. "Wir überlegen ob wir am Freitag vor der Wahl mit einem Politbarometer herauskommen", sagte "Politbarometer"-Moderator Theo Koll gegenüber "Cicero". So hätten die Erfahrungen mit Niedersachen gezeigt, dass es problematisch sei, die Zahlen nicht zu veröffentlichen.

"Bei einem Politbarometer unmittelbar vor der Wahl muss allerdings sorgfältig abgewogen werden, ob und inwieweit der Wähler dadurch beeinflusst werden könnte - und wenn ja, ob dies einer möglichen Manipulation durch 'alte' Daten nicht vorzuziehen ist", so Koll weiter. Es geht hierbei wohl in erster Linie um die zahlreichen taktischen Wähler. Ob das Ergebnis in Niedersachsen so deutlich zugunsten der FDP ausgefallen wäre, wenn im Vorfeld bekannt gewesen wäre, dass die Partie die Hürde von fünf Prozent längst überschritten hatte? Doch solche Probleme gab es in der Vergangenheit bereits desöfteren.

"Wir haben schon gesehen, dass die Piraten in Berlin Richtung acht oder neun Prozent spazieren", so Richard Hilmer vom Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap, das der ARD die Daten liefert. "Das haben wir unserem Kunden auch mitgeteilt." Die Zuschauer der ARD erfuhren das im Vorfeld der Berliner Wahl allerdings nicht. Dennoch will die ARD auch weiterhin nichts an ihrem Standpunkt ändern. "Weitere veröffentlichte Umfragen vor dem Wahltag könnten einen Kreislauf zwischen taktischen Wahlentscheidungen und neuer Entscheidungsgrundlage durch Umfragen in Gang setzen, der aus meiner Sicht dem demokratischen System nicht förderlich ist", betonte WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn in "Cicero".

Die bisherige Vereinbarung mit dem ZDF, eine Woche vor Wahlen keine Umfrageergebnisse mehr zu veröffentlichen, sei zwar "guter Brauch" gewesen, so Schönenborn, aber "ohne vertragliche Bindung erfolgt". Sein ZDF-Kollege Theo Koll sagte: "Wir denken eigenständig." Und so deutet also vieles darauf hin, dass sich das ZDF im September erstmals zwei Tage vor der Bundestagswahl mit letzten Zahlen noch einmal melden wird. Vor völligen Fehleinschätzungen wie im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 wird aber auch das nicht schützen können. "Daran", so sagt Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen, "knabbern wir heute immer noch."