Letztlich brachte also das Bekanntwerden der Mail an die Lufthansa das Fass zum Überlaufen. Mit Blick auf die darin getätigten Aussagen über van Beverens Rolle ließ Anwalt Frank Cannon WDR-Chefredakteurin Mikich Ende Juni schließlich mitteilen, alle ein Jahr zuvor gemachten Einwilligungen zurückzuziehen. Betroffen war somit ein wesentlicher Teil der Dokumentation, nämlich alle Szenen, in denen über den verstorbenen Piloten Richard Westgate berichtet wurde, aber auch die Interviews mit Mitgliedern des Untersuchungs-Teams. Auf eine einstweilige Verfügung habe man jedoch verzichtet, da man den WDR "ausführlich und nachweislich" auf die "Rechtsverstöße" hingewiesen habe. Dem WDR war das aber offensichtlich egal - er zeigte die strittigen Passagen trotzdem.

Dass der Sender die Doku überhaupt am 7. Juli ausstrahlen wollte, verwundert aber auch aus einem anderen Grund. Laut der Vereinbarung aus dem Vorjahr war es dem Sender untersagt, über die brisanten Ergebnisse der Westgate-Untersuchung zu berichten, solange der wissenschaftliche Bericht des Untersuchungs-Teams nicht veröffentlicht ist, argumentiert Anwalt Cannon. Schon im Juni sei absehbar gewesen, dass dies nicht vor dem geplanten Ausstrahlungstermin der Fall sein würde. Erst Ende Juli, also nur wenige Wochen später, wurden die Ergebnisse öffentlich gemacht. Hätte man so lange mit der Ausstrahlung gewartet, wäre es möglich gewesen, den Zuschauern vom inzwischen bestätigten Zusammenhang zwischen der Aufnahme von kontaminierter Kabinenluft und der Erkrankung des Piloten zu berichten. Das tat dafür Ende Juli Tim van Beveren zusammen mit einem Kollegen - in einem Artikel für die "Welt".

Für die ARD eine vertane Chance. Aus welchem Grund sich die Redaktion nicht mehr an eine nur noch dreiwöchige Sperrfrist halten wollt, um die - ihr bereits bekannten - brisanten Ergebnisse des Westgate-Recherche-Teams im Film erwähnen zu können, ließ der WDR auf DWDL.de-Nachfrage, man ahnt es bereits, offen. Vom exklusiven Einblick in die Untersuchungen blieb letztlich also nur wenig übrig. Stattdessen tobt nun ein Streit an gleich mehreren Fronten. Frank Cannons Mandanten sind ebenso verärgert über das Vorgehen des WDR wie Tim van Beveren, der viel Herzblut, jahrelange Informantenpflege und Recherchen in eine Dokumentation steckte, die am Ende trotz monatelanger Arbeit und weltweiter Dreharbeiten längst nicht so kritisch und umfangreich daherkam wie es möglich gewesen wäre. "Über das Vorgehen des WDR kann ich mich nur wundern", resigniert van Beveren. "Ich habe das in den über 25 Jahren, die ich für diesen Sender tätig gewesen bin, noch nie erlebt."

Dass es seit der Chefredakteurs-Abnahme Anfang Juni keiner der Verantwortlichen für nötig befunden habe, ein persönliches Gespräch mit ihm zu führen, empfinde er als "extrem befremdlich", sagt der Journalist und fügt hinzu: "Dies bezieht sich ausdrücklich auch auf inhaltliche und journalistische Belange." Und er geht noch weiter: "Bedenklich finde ich ein solches Vorgehen gerade für den Bereich der 'investigativen Berichterstattung', in dem sich Autoren ohnehin nicht überall 'Freunde' machen, besonders nicht bei betroffenen Unternehmen und Institutionen, die möglicherweise Gegenstand einer kritischen Berichterstattung sind." Der WDR weist dagegen darauf hin, "dass Herr van Beveren in einer schriftlichen Erklärung gegenüber der Redaktion seine Autorentätigkeit beendete und zu einem späteren Zeitpunkt auch von sich aus seine Namensnennung im Zusammenhang mit dem Film zurückzog". Die Redaktion bedauere dies.

Van Beveren lässt diese Aussage so nicht stehen. So sei seine Autorentätigkeit durch den verantwortlichen WDR-Redakteur Joachim Angerer beendet worden, seine Autorenschaft sei davon jedoch jedoch gänzlich unberührt. Gegenüber DWDL.de spricht der Journalist gar von einer "hoch bedenklichen Drei-Klassen-Gesellschaft" beim WDR. "Feste Redakteure, solche auf befristeten Zeitverträgen und die freien Kolleginnen und Kollegen. Das schwächste Glied in der Kette sind wir Freie und offenbar gibt es auch nur noch eine sehr geringe Hemmschwelle, diese über die Klinge springen zu lassen, wenn sie ihre Rechte einfordern oder unter Beschuss geraten."

Streit um die Autorenschaft, Streit um die Ausstrahlung von Interview-Passagen im Zusammenhang mit der Westgate-Untersuchung. Die Situation könnte vertrackter kaum sein. Doch verärgert sind auch weitere Protagonisten, die ursprünglich in dem Film eine Rolle hätten spielen sollen und sogar solche, die darin vorgekommen sind. Von sieben Protagonisten, die für das Doku-Projekt interviewt wurden, haben sich sechs beim WDR über den Umgang mit ihnen und nicht eingehaltene Zusagen beschwert, sagt Tim van Beveren. So auch eine erkrankte Stewardess der Lufthansa sowie eine weitere ehamlige, bereits vor Jahren ausgeschiedene Kollegin, die die Airline sogar wegen eines Vorfalls als Passagierin verklagt hatte.

Dass all diese Fakten in der gezeigten Dokumentation letztlich keine Rolle spielten, verwundert dann doch. An diesem Montag sollte der Film im WDR Fernsehen übrigens noch einmal wiederholt werden. Kurz vorher entschied sich der Sender jedoch um. "Aus aktuellen Gründen" habe man das Programm geändert, erklärt der WDR auf Nachfrage des Medienmagazins DWDL.de lapidar und verspricht, den Film "zu einem späteren Zeitpunkt" wiederholen zu wollen. Bleibt die Frage, wer als Autor genannt wird - und welche Experten zu Wort kommen werden. Eine Antwort darauf steht - erwartungsgemäß - aus.

Update 17:25 Uhr: Nachdem der WDR uns gegenüber in vielen wichtigen Punkten zunächst keine Stellung nehmen wollte, hat der Sender nun eine ausführliche Erklärung veröffentlicht, in der die Vorwürfe als "haltlos" bezeichnet werden. Zur Darstellung des WDR