Drei Tage lang herrschte das große Schweigen bei Sat.1 und der Produktionsfirma Talpa. Dabei existierten nach dem nächtlichen "Newtopia"-Meeting der inzwischen von ihren Aufgaben entbundenen Executive Producerin mit den so genannten "Pionieren" der Realityshow gleich mehrere offene Fragen. Die meisten von ihnen bleiben auch nach dem Interview unbeantwortet, das "Newtopia"-Erfinder John de Mol nun der "Bild"-Zeitung gegeben hat. "Das ist eine außerordentliche Entscheidung, weil ich persönlich davon nichts wusste", betont de Mol gegenüber dem Blatt, das wie Talpa zum Springer-Universum gehört. Auf die unmissverständliche Frage, ob die Zuschauer verarscht werden, antwortet der Produzent ebenso deutlich: "Nein!"

"Warum genau unsere Executive Producerin dieses Gespräch führen wollte, weiß ich noch nicht. Ich werde sie am Freitag treffen. Mehr kann ich dazu nicht sagen." Auch John de Mol spricht nun von "menschlichem Versagen", nimmt die Fachfrau aber in Schutz. "Sie hat einen Anruf bekommen, dass die Atmosphäre drohen würde, zu aggressiv zu werden. Sie hat sich sofort ins Auto gesetzt und selbst entschieden, reinzugehen. Diese Entscheidung, die impulsiv getroffen wurde, war falsch. Sie wollte vermutlich die Situation retten." Letztlich sei die Executive Producerin vom ersten Tag an "extrem zuverlässig, sehr loyal und total motiviert" gewesen. In der nächtlichen Scheunen-Runde machte sie allerdings vielmehr einen frustrierten Eindruck.

Und doch stärkt John de Mol ihr gewissermaßen den Rücken. "Es muss schon etwas Schlimmeres passiert sein als das, was wir heute wissen, um sie zu entlassen. Dafür ist sie zu lange da und ihre Fehler nicht groß genug", gibt er sich verständnisvoll. Zugleich betont er gegenüber "Bild", er selbst könne nicht 24 Stunden aufpassen - was freilich nicht erklärt, wo all die anderen Mitarbeiter waren, die den Zwischenfall hätten verhindern können. Allzu viel Neues kann daher auch de Mol nicht beitragen. Er erklärt stattdessen, sich bislang nicht in alle Details habe vertiefen können, weil er in Holland gerade ständig im Studio sei. Angesichts der Größe des Sat.1-Projekt, von dessen Erfolg der 500 Millionen Euro schwere Talpa-Deal mit ITV Studios nicht unwesentlich abhängig war, mutet diese Aussage zumindest ein Stück weit kurios an, zumal inzwischen immerhin drei Tage verstrichen sind.

"Was ich weiß, ist, dass in dieser Nacht die Atmosphäre durch alkoholische Getränke aggressiv geworden war", sagt er im "Bild"-Interview und versucht, den folgenschweren nächtlichen Eingriff herunterzuspielen. "Auch das gehört zu 'Newtopia'. Ich habe das auch Sat.1 erklärt: Man kann nichts erreichen ohne heiße Konfrontation und Streit. Aber offensichtlich machte man sich darüber Sorgen. In Holland läuft es seit 14 Monaten - mit Zoff und sehr erfolgreich. Das gehört dazu - und ist auch Teil eines Erfolges." Von allen Reality-Projekten sei "Newtopia" seiner Ansicht nach "mit Sicherheit am wenigsten beeinflusst". Die Sendung sei real, stellt der niederländische Produzent noch einmal klar, räumt dann aber doch regelmäßigen Kontakt zwischen den Kandidaten und dem Team der Show ein.

"Jeden Tag müssen einmal die Batterien für die Mikrofone ausgetauscht werden. Dies passiert in einem Technikraum, wo selbstverständlich geredet wird. Es kann passieren, dass dort Tipps gegeben werden oder Hinweise. Die Pioniere werden auf ihre Vorbildfunktion hingewiesen, darauf, dass sie tatsächlich etwas tun müssen, um zu reüssieren: 'Vergesst nicht, mit welchen Zielen wir dieses Projekt angefangen haben. Macht etwas draus - nutzt eure Chance‘!" Dass vier Kandidaten einige Stunden vor dem nächtlichen Treffen in der Scheune für mehr als eine Stunde im Technikraum verschwanden, will zu dieser Aussage allerdings nicht so recht passen. Ein Drehbuch existiere aber "natürlich nicht", sagt de Mol. "Wir haben den Pionieren allerdings den Tipp gegeben, sie könnten versuchen, ein Restaurant zu eröffnen, um Geld zu verdienen." Niemals habe er "gedacht, dass dieser Vorfall ein solches Erdbeben auslösen würde", gibt der Niederländer zu Protokoll und sagt, er habe am Montag "fast noch gelacht". Der deutschen Presse unterstellt er in diesem Zusammenhang, "sehr streng" zu sein.

Bleibt noch die Frage nach der Zukunft von "Newtopia". Das Ende der Show sieht John de Mol nach dem Vorfall nicht gekommen. "'Newtopia' ist ein langfristiges Projekt. Ein Fußballspiel dauert zweimal 45 Minuten. Wir haben bei 'Newtopia' erst fünf Minuten gespielt", so de Mol, der zugleich betont, dass das Verhältnis zwischen Talpa und Sat.1 "ungetrübt" sei. "Wir haben täglich Kontakt." Derzeit überlege man, den Zuschauern mehr Mitspracherecht einzuräumen. Kurzfristige Hilfe erhoffen sich Sender und Produktionsfirma nun aber erst mal von Rapperin Lady Bitch Ray, die inzwischen nach "Newtopia" gezogen ist. Antworten auf die nach wie vor offenen Fragen wären jedoch ganz sicher hilfreicher.

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