Die Flüchtlingskrise ist für Europa in den vergangenen Monaten immer stärker zur äußerst schwierigen Herausforderung geworden, deren Lösung noch immer nicht in Griffweite scheint. In dieser Zeit sind die Regierungschefs der Länder besonders gefragt und suchen auch die Öffentlichkeit. Erst vor zwei Wochen kehrte Bundeskanzlerin Angela Merkel zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit bei Anne Will ein – zum Einzelinterview im Talk nach dem "Tatort".

Ähnlich wird es am Sonntagabend auch bei ORF2 laufen. Auch hier läuft zur besten Sendezeit wieder ein "Tatort". Auch hier startet direkt im Anschluss ein Polittalk, der bei unseren südlichen Nachbarn auf den Namen "Im Zentrum" hört und von Ingrid Thurnher moderiert wird. Auch hier ist am Sonntagabend ein Einzelinterview mit dem Chef der Regierung, Bundeskanzler Werner Faymann von der SPÖ, zu sehen. In Österreich sorgt dies allerdings, anders als beim viel beachteten Merkel-Interview der ARD, für heftige, teils absurde Kritik, die immer kuriosere Höhen erreichen.

Der ORF wird dabei vor allem von den übrigen Parteien kritisiert. Für die ÖVP, ebenfalls an der Regierung beteiligt, ist das Einzelinterview "nicht nur politisch fragwürdig, sondern auch besonders ungeschickt", meinte Mediensprecher Peter McDonald zu Wochenbeginn und forderte vom ORF, größere Sensibilität bei der Gästeauswahl an den Tag zu legen, und zog eine Verbindung zur anstehenden Wahl des Generaldirektors im Sommer zieht. Für McDonald setze der derzeitige Generaldirektor Alexander Wrabetz durch derartige Signale, die laut McDonald in Richtung politischer Intervention interpretiert werden könnten, Glaubwürdigkeit und Objektivität des ORF aufs Spiel.

Bei der FPÖ derweil von einem "medienpolitischen Skandal der Sonderklasse" die Rede. Generalsekretär Herbert Kickl sprach am Montag von einem "vorsorglichen Kniefall der ORF-Führung angesichts der bevorstehenden Generaldirektorswahlen" und bemängelte, dass die, nach seiner Meinung, parteipolitische Einseitigkeit des ORF allgemein bekannt sei, sich der Sender aber so offen nur selten als Rotfunk deklariert habe. Die Grünen kritisieren, dass Faymann Diskussionen mit der politischen Konkurrenz scheue und der Elefantenrunde zur Nationalratswahl fern blieb. "Jetzt bekommt er mit 'Werner allein im Wohnzimmer' ein eigenes Sendungsformat", ließ Mediensprecher Dieter Bosz mitteilen. "Es ist einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk unwürdig, im Vorfeld der anstehenden ORF-Neuwahl vor dem roten Parteichef zu buckeln".

Auch der ehemalige Informationsdirektor des ORF, Elmar Oberhauser, kritisiert die Entscheidung stark und fällt damit seinem früheren Arbeitgeber in den Rücken. Gegenüber der Nachrichtenagentur APA bezeichnete er das Vorgehen der Redaktion als beispiellosen Skandal und einen "dreisten Angriff" auf die Unabhängigkeit des ORF und sieht einen Beweis dafür, dass Generaldirektor Wrabetz sich als Handlanger von Kanzler Faymann sehe. Dem ORF müsse zwar grundsätzlich unbenommen sein, einen Bundeskanzler eine Stunde lang zu interviewen, laut Oberhauser gebe es aber passendere Formate als den Talk am Sonntagabend. Der ORF hatte die Einladung am Donnerstag noch einmal verteidigt. "Einladungen können angenommen oder abgelehnt werden, was ja öfter einmal vorkommt. Sie können aber auf keinen Fall von der Politik eingefordert werden", rechtfertige sich der ORF-Fernsehchefredakteur Fritz Dittlbacher.

Ein Ende wurde damit allerdings noch lange nicht erreicht. Am Freitag sendeten mehrere Stiftungsräte schriftliche Anfragen an ORF-Generaldirektor Wrabetz, berichtet "Der Standard". Der Stiftungsrat ist u.a. für die Aufsicht des ORF und die Wahl des Generaldirektors zuständig und weitestgehend den Parteien zuzuordnen. Die entsprechenden Stiftungsräte, darunter laut "Standard" der ÖVP-Freundeskreis und Stiftungsräte der FPÖ, Grünen, Neos und Team Stronach, wollen demnach von Wrabetz wissen, von wem die Initiative zum Einzelinterview ausging und warum man sich für ein Einzelinterview anstelle einer Diskussionsrunde entschied. Ferner wollen sie wissen, weshalb das Interview nicht ausführlich nach dem Abschluss des EU-Gipfels geführt wurde – und in welcher Form die Abbildung der Meinungsvielfalt hinsichtlich der Ergebnisse des EU-Gipfels gewährleistet wurden.

Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Protestwelle am Samstagvormittag. Die ÖVP, immerhin auch an der Regierung beteiligt, greift in einer Presseaussendung Aussagen der drei Oppositionsparteien auf und schreckt dabei auch nicht davor zurück, eine Aussage des FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache aufzugreifen, in dem er die Sendung mit Faymann als einen "bestellten volkssozialistischen Alleininterview-Auftritt von SPÖ-Faymann – à la Nordkorea – im ORF-Zentrum" beschreibt. Auch den Vergleich mit einer Diktatur, den Robert Lugar vom Team Stronach brachte, hält man beim ÖVP-Parlamentsklub in der Presseaussendung offenbar für zitierwürdig.

"Der ORF als Bestellfernsehen, wo Bundeskanzler Werner Faymann bestellt und ORF-Chef Wrabetz liefert, muss gestoppt werden", erklärt ÖVP-Klubobmann Dr. Reinhold Lopatka in der Aussendung und will nun sogar den Programmauftrag des ORF diskutieren. "Aus diesem Grund habe ich die Parlamentsparteien für Mittwoch am Rande der Plenarsitzung eingeladen, das Thema ORF und seinen öffentlich-rechtlichen Programmauftrag zu beraten", so Lopatka, der darauf verweist, dass der Programmauftrag beschreibt, dass die Information "umfassend, unabhängig, unparteilich und objektiv" zu gestalten sei. "Mit dem von Josef Cap bereits im Jahr 1983 ausgebildeten SPÖ-Wahlkampfhelfer Alexander Wrabetz ist dies zunehmend nicht gewährleistet. Der 'rote Sonntag' zeigt das deutlich", so Lopatka.

Dass nun auch die übrigen Parteien und dabei allen voran die mitregierende ÖVP dem ORF in die Sache einreden wollen und damit selbst auch von der Unabhängigkeit des Rundfunks abrücken, scheint den Politikern bei unseren südlichen Nachbarn allerdings nicht aufzufallen. Oder, um es mit ORF-Anchorman Armin Wolf zu sagen:

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