Längere Texte sollen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern im Netz künftig nicht mehr zu finden sein: Die am Mittwoch von den Ministerpräsidenten der Länder einstimmig beschlossene Änderung des Telemedienauftrag sieht vor, dass die Anstalten in ihren Online-Angeboten das von den Zeitungsverlagen geforderte Verbot der Presseähnlichkeit akzeptieren und „ihren Schwerpunkt in Bewegtbild und Ton haben, um sich von den Angeboten der Presseverlagen zu unterscheiden“. So heißt es in den Eckpunkten zum 22. Rundfunkänderungsstaatvertrag.

Kommt es doch zum Streitfall, soll eine paritätisch besetzte Schlichtungsstelle mit unabhängigem Vorsitz dafür zuständig sein, den Konflikt aufzulösen und eine entsprechende Handlungsempfehlung ausstellen.

Im Gegenzug erhalten die Sender mehr Freiheiten und sollen ihre Angebote besser vernetzen. Gesetzlich geregelte Verweilfristen für Mediatheken – bekannt als „7-Tage-Regel“ – fallen weg, Sendungen sind also länger abrufbar. Dazu wird es künftig möglich sein, auch Kaufproduktionen (z.B. europäische Filme und Serien) in die Mediatheken einzustellen und dort für 30 Tage abrufbar zu halten (einzige Einschränkung: „die Abrufmöglichkeit [ist] grundsätzlich auf Deutschland zu beschränken“).

Darüber hinaus regelt der Staatsvertragsentwurf, dass im Netz „eigenständige audiovisuelle Angebote“ möglich sind, die nicht an die lineare Ausstrahlung im Fernsehen gebunden sind. Erstmals ausdrücklich beauftragt wird zudem die interaktive Kommunikation und Social-Media-Nutzung der Anstalten. Auch die barrierefreie Gestaltung der Online-Angebote soll sich verbessern.

„Nach langem Ringen sitzen heute nur Gewinner am Tisch“, sagte Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, am Donnerstagmittag in Berlin. „Die Neuregelung ermöglicht den Sendern, eine notwendige und zeitgemäße Weiterentwicklung ihrer Angebote vorzunehmen und wird gleichzeitig den Interessen anderer Marktteilnehmer gerecht.“ Dreyer lobte die „Vielzahl konstruktiver Gespräche“.

Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, erklärte: „Das löste eine Spannungsbogen auf, der das Geschäft auch für uns in der Politik über viele Jahre nicht einfacher gemacht hat.“ Zur Medienpluralität solle nicht nur der öffentlich-rechtliche Bereich beitragen. „Der private Sektor ist für den Qualitätsjournalismus ebenso wichtig, um ein notwendiges Korrektiv zu bilden.“

„Wir haben wichtige Zugeständnisse zur Gestaltung der Angebote gemacht“, räumte der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm ein, erklärte aber auch: „Für uns war klar, dass wir online auf Text nicht vollständig verzichten können; das hätte uns auf einen Schlag von einem beachtlichen Teil unseres Publikums getrennt, das über Suchmaschinen auf unsere Seiten findet.“

Jahrelanger Streit mit Verlagen findet ein Ende

Die Verleger hatten zuvor lange auf einer exakten Festlegung für Textlängen in den Online-Angeboten von ARD und ZDF beharrt. „Wir sind bereit, auf eine konkrete Quantifizierung zu verzichten, weil wir andere Verbindlichkeiten dafür erhalten“, sagte der BDZV-Präsident Mathias Döpfner, der erstmals mit Ministerpräsidenten und Intendanten auf dem Podium der gemeinsamen Pressekonferenz saß. „Wenn es eine klare Unterscheidbarkeit der Angebote gibt, muss keiner Worte zählen.“

Döpfner sagte weiter: „Ich glaube, dass diese Einigung das Potenzial hat, eine Stabilisierung des dualen Systems in Deutschland zu bewirken.“ Alle Seiten „haben das Gefühl: Das kann wirklich was werden.“

ZDF-Intendant Thomas Bellut hob die Möglichkeiten hervor, die die Sender künftig online haben: „Wir können die neue Welt im Netz stärker ergründen. Das ist für unseren Alltag extrem wichtig.“ Auch Stefan Raue, Intendant des Deutschlandradios, lobte: „Zu den großen Vorzügen [der Vereinbarung] gehört es, dass sich beide Seiten gegenseitig die Möglichkeit einräumen, sich im Netz weiterzuentwickeln.“

"Die Angst wuchs, dass uns das gesamte System um die Ohren fliegt."
BDZV-Präsident Mathias Döpfner

Was die Neuregelung für die Tagesschau-App bedeutet, gegen nach wir vor Klagen der Verlage anhängig sind, ist noch nicht klar. Man werde in der Schlichtung „über die Dinge reden und jeden Einzelfall betrachten“, erklärte der ARD-Vorsitzende Wilhelm.

Auf die Frage, was ausschlaggebend für die Einigung gewesen sei, verwies Haseloff auch auf die politischen Umwälzungen der vergangenen Monate: „Wir brauchen eine breite Medienöffentlichkeit, die eine hohe Qualität aufweist.“ Döpfner sagte: „Die Angst wuchs, dass uns das gesamte System um die Ohren fliegt.“

Haseloff ist überzeugt, die jetzige Einigung sei „ein historischer Moment in der Geschichte der BRD“. In jedem Fall ist sie ein Sonderfall, weil es einem Lobbyverband privater Unternehmen gelungen ist, mit Verweis auf die eigenen wirtschaftlichen Interessen wesentlichen Einfluss darauf zu nehmen, wie die öffentlich-rechtlichen Sender ihren Auftrag gegenüber der Allgemeinheit im Netz erfüllen können.

Dass nicht auch Vertreter der privaten Rundfunkanbieter an den Reformverhandlungen beteiligt gewesen seien, begründete Haseloff damit, dass diese „nicht das Problem der Presseähnlichkeit“ hätten und sich die Bedeutung der Frage nach Demokratie und Informationsfreiheit nicht im selben Maße stelle wie bei den Verlegern.

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