Keine Frage: Das lineare Fernsehen hat in den vergangenen Jahren an Reichweite verloren. Wer sich heute die Quotencharts anschaut, der stößt dort auf den oberen Plätzen teils auf Reichweiten, die vor zehn Jahren nur für einen Platz unter "ferner liefen" gereicht hätten. Doch wahr ist eben auch: Die Zahl der tatsächlich erreichten Menschen ist deutlich höher als es die TV-Quote am Morgen danach hergibt.
Das liegt an zwei Aspekten. An dem Einen müsste die TV-Branche selbst etwas ändern, indem sich alle Sender und Anbieter auf die Ausweisung konvergenter Reichweiten einigen. Die lineare TV-Nutzung ist rückläufig, bildet aber nur einen stetig kleiner werdenden Teil der Gesamt-Nutzung ab. Zeitversetzte Nutzung, Livestreams und vor allem natürlich auch der steigende Anteil VOD-Abrufe sind hier nicht enthalten.
Diese Daten liegen naturgemäß nicht am nächsten Morgen vor - es wäre also nötig, sich einmal darauf zu verständigen, dass man nach einem bestimmten, noch festzulegenden Zeitraum noch einmal auf die Daten schaut und all diese Faktoren berücksichtigt. Die Quote am Morgen danach ist und bleibt eine erste Indikation des Publikumserfolgs - aber eben auch nur eine erste Indikation.
Wie entscheidend die zeitversetzte Nutzung bei einzelnen Formaten inzwischen ist, zeigt etwa das Beispiel des "Sommerhaus der Stars": RTL hat kürzlich eine Auswertung veröffentlicht, dass hier mehr als die Hälfte der Nutzung zeitversetzt erfolgte. Damit das auch in der Berichterstattung adäquat abgebildet werden kann, müssen die Sender auch an ihrer Veröffentlichungsstrategie etwas ändern: Die lineare TV-Quote kann am Morgen danach jeder Interessierte nachlesen. Bei den On-Demand-Zahlen bleibt es bislang bei Informationshäppchen in Hitlisten-Form. Dabei misst die AGF die Zahlen längst, sie liegen also vor. Es liegt an den AGF-Gesellschaftern und -Mitgliedern, sich auf deren Veröffentlichung zu verständigen.
© RTL
Lars-Eric Mann
Der unfaire Vergleich mit anderen Medien
Dass das Fernsehen auf den ersten Blick im Vergleich mit anderen Medien kleiner wirkt, als es ist, liegt aber vor allem daran, dass selbst von Leuten, die es besser wissen müssten, weiter munter Äpfel mit Birnen verglichen werden. Dazu muss man wissen: Das Fernsehen hat seit jeher auf die härteste Reichweiten-Währung gesetzt. Das, was seit Jahrzehnten jeden Morgen als TV-Quote bekannt gegeben wird, ist die "durchschnittliche Sehbeteiligung".
Angegeben wird also die Zahl derer, die im rechnerischen Durchschnitt die gesamte Sendung von Anfang bis zum Ende gesehen haben. Wenn also zehn Personen je die Hälfte der Sendung gesehen haben, tauchen sie hier dann nur als fünf Zuschauer auf. Kein anderes Medium legt einen solchen Maßstab an - man stelle sich vor, man würde als Leserin oder Leser einer Zeitschrift nur dann vollständig gezählt, wenn man ausnahmslos alle Seiten durchgelesen hat. Kaum vorstellbar.
Der Vergleich mit Print ist aber natürlich nicht das, was die TV-Anbieter schmerzt - es ist der Vergleich mit anderen Bewegtbildangeboten im Netz - mit YouTube, aber auch mit Plattformen wie TikTok und Instagram. Dort schnellen die Aufrufzahlen schnell in beachtliche Höhen und werden dann nicht hintergragt, sondern 1:1 mit der TV-Quote verglichen. Dabei wird online in der Regel jeder Videostart einzeln gezählt, egal wie lang das Video nun gelaufen ist. Und wer es mehrfach startet, der taucht auch gleich mehrfach auf.
Selbst wenn man auf die strengere Währung der Nettoreichweite anlegt - eine Person also nur einmal zählt, egal wie häufig sie mit einem Inhalt in Kontakt kommt - dann liegen auch beim Fernsehen die erzielten Reichweiten in ganz anderern Höhen als mit Blick auf die durchschnittliche Sehbeteiligung.
Verdeutlichen kann man das an einem konkreten Beispiel wie der ProSieben-Show "The Masked Singer". Die erreichte am vergangenen Samstag zum Staffelauftakt laut vorläufig gewichteter Quoten (also noch ohne Livestreams und zeitversetzter Nutzung) eine durchschnittliche Sehbeteiligung von 1,29 Millionen Personen. Die Nettoreichweite rein im Fernsehen belief sich hingegen auf 3,59 Millionen - also fast das Dreifache. Je länger eine Sendung dauert, desto größer ist naturgemäß die Diskrepanz zwischen diesen beiden Werten, grundsätzlich lässt sie sich aber überall beobachten.
© Visoon
Kai Ladwig
Auch Lennart Harendza, Co-CEO von Seven.One Media, sieht es als zunehmend wichtig an, gattungsübergreifend auf Reichweiten zu blicken und sich dementsprechend auf einheitliche Standards zu einigen. "Der Markt und wir denken mit der Kombination von Joyn und TV bereits ganzheitlich über die Gattungsgrenzen hinaus. Generell scheuen wir den Vergleich mit anderen Marktteilnehmern nicht!"
Das soll kein Plädoyer sein, dass das Fernsehen seine harte Währung grundsätzlich aufweichen soll - und schon gar nicht dafür, wild mit unterschiedlichen Zahlen parallel zu hantieren, wie man es bei manch Sender sieht. Doch um das wahre Kräfteverhältnis der unterschiedlichen Medien beurteilen zu können, wäre es doch hilfreich, wenn sich alle auf die gleiche Messgröße - und eine unabhängige Messung - einlassen würden, damit nicht länger Äpfel mit Birnen verglichen und ein völlig verzerrtes Bild des Marktes gezeichnet wird.
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