Vorurteil der Woche: N24 vermutet intelligentes Leben unter seinen Zuschauern.

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Eine meiner größten Schwächen ist die Neugierde. Sobald etwas geheim oder rätselhaft ist im deutschen Fernsehen, Fragen nicht beantwortet werden und Ungereimtheiten auftauchen, ist meine Neugierde geweckt.

Und damit herzlich willkommen zur ersten und letzten Ausgabe von "DWDL Mystery", in der sich heute alles um ein Phänomen dreht, das Millionen Zuschauer seit Tagen stutzig macht: Der Unsichtbare Mann von N24! "Eine meiner größten Schwächen ist die Neugierde", begrüßte Moderatorin Miriam Pede vor einer Woche das Publikum ihres "neuen Magazins" mit dem Titel "N24 Mystery" und meinte: "Sobald etwas geheim oder rätselhaft ist, Fragen nicht beantwortet werden und Ungereimtheiten auftauchen, ist meine Neugierde geweckt. Typische Eigenschaften einer Frau? Hm. Also bei diesen Phänomenen und Rätseln werden auch Männer wissensdurstig."

In der darauffolgenden Dreiviertelstunde beschäftigte sich die Redaktion damit, ob unser Militär "das Wetter als Superwaffe" einsetzen kann, indem es künstlichen Regen und Tornados produziert; damit, dass Anfang der 90er Jahre in Großbritannien Ufos gesichtet wurden; und mit dem "Philadelphia Experiment", bei dem die Amerikaner ein ganzes Kriegsschiff einfach so weggebeamt haben sollen.

"Gibt es außerirdisches Leben wirklich – oder möchte man zumindest in diesem Fall noch etwas ganz anderes verschleiern?", fragte Pede dazwischen, während sie in einem virtuell um sie herumgerechneten Tempel an einem rauchenden Orakeltopf stand, um den Symbolfiguren der großen Weltreligionen gruppiert waren: eine Marienstatue, eine Sphinx, Buddha und ein Tyrannosaurus Rex (ganze Sendung auf n24.de ansehen).

Miriam Pede neben dem Topforakel von 'N24 Mystery'© N24

Dabei ist die eigentliche Frage natürlich: Was verschleiert N24?

Pede moderiert bei dem Nachrichtensender, der im vergangenen Jahr von Axel Springer aus einem "klaren Bekenntnis zum Journalismus" (N24-Geschäftsführer Torsten Rossmann) gekauft wurde, sonst das Wetter (aha!). Dieses sollte in Zukunft mit Vorsicht genossen werden, wenn sich der böse Verdacht bewahrheitet: Ist N24 selbst Teil einer Verschwörung bislang unbekannten Ausmaßes? Hat N24 ein Werkzeug gefunden, um ganze Existenzen aus der Vergangenheit zu radieren?

Dafür spricht Folgendes: Bei jedem der gezeigten Fälle bat "N24 Mystery" renommierte Experten, in einem schlecht ausgeleuchteten Industriehallenkeller Beweise zu sichten und Theorien zu erklären. Doch sie waren dabei nicht alleine! Jedes Mal stand ein Mann daneben, den das Publikum nicht erkennen durfte. Er nahm Papiere und Originalbelege entgegen, doch sein Gesicht blieb im Verborgenen. Aus Szenen, in denen sich ehemalige Generalstabsoffiziere und hochseriöse Internetwetterseitenbetreiber mit ihm unterhielten ...

Expertengespräch mit schwarzer Wolke in 'N24 Mystery'© N24

... hat der Sender ihn nachträglich entfernen lassen und durch eine mysteriöse schwarze Wolke ersetzt, die Sie aus der amerikanischen Dokureihe "Lost" kennen.

Ein 'N24 Mystery'-Experte sieht schwarz© N24

In anderen Szenen stand er just in dem Moment, als die Kamera zum Schwenk ansetzte, hinter einer Säule. Manchmal war lediglich seine Schulter zu sehen.

Experte spricht mit Schulter bei N24© N24/DWDL [M]

Ständig wurden ein- und dieselben Szenen der Kellerexperten wiederholt, um von ihm abzulenken. Wer ist dieser Mann, den die Zuschauer den Unsichtbaren von N24 nennen?

Hat ihre Fantasie ihnen nur einen Streich gespielt? Sind es bloß Schatten, aus denen Hirne die Existenz eines Fremden konstruieren, weil deren Benutzer zu viele Verschwörungssendungen im Fernsehen durchgestanden haben?

Nein. Der Mann scheint wirklich zu existieren, wie eine Sichtung aus der Auftaktfolge von "N24 Mystery" belegt. In der filmte eine Kamera kurz seinen Rücken. Der Sender verpasste, die Aufnahme im Nachhinein unschädlich zu machen. Die Szene zeigt einen breitschultrigen Typen, der wenig Hals hat und leicht angegraute Koteletten trägt. Dokumente aus dem Jahr 2007, die im Internet aufgetaucht sind, legen den Schluss nahe, dass es sich bei dem Unsichtbaren um den ProSieben-Moderator Aiman Abdallah handeln könnte. Damit wäre aber noch nicht geklärt, warum ihn N24 verschwinden ließ.

War Abdallah Geheimagent des verfeindeten Senders n-tv und wurde enttarnt? Oder wurde Abdallah aus "N24 Mystery" entfernt, weil er in der Vergangenheit für seinen Arbeitgeber durch die Sendung mit dem verdächtig ähnlichen Titel "Galileo Mystery" führte, in der Experten in schlecht ausgeleuchteten Industriekellern Ufo-Sichtungen erst auf- und kurz vor Schluss wieder abbauschen mussten?

Die Realität ist leider, wie immer in Verschwörungssendungen, enttäuschend unspektakulär: "N24 Mystery" ist "Galileo Mystery", nur mit sieben Jahren Verspätung. "DWDL Mystery" hat die N24-Sendersprecherin und Mystery-Expertin Kristina Faßler dazu befragt, die bestätigt: "Ja, wir haben 'Galileo Mystery' neu konfektioniert. Das ist nicht unüblich im deutschen Fernsehen."

Der Unsichtbare von N24 ist also gar nicht – unsichtbar. Sondern bloß immer noch bei ProSieben unter Vertrag. Und der "zentrale Bewegtbildlieferant für alle Marken von Axel Springer" hat aus einer Sendung, die schon vor sieben Jahren Quatsch war, den früheren Moderator herausgeschnitten, um sie noch mal als "neue" Eigenleistung auszugeben. Womöglich nicht zum ersten Mal: Vor fünf Jahren hieß "Galileo Mystery" bei N24 offensichtlich "Legenden der Vergangenheit", wurde vom stellvertretenden Chefredakteur Andrej Grabowski moderiert und musste ebenfalls ohne Abdallah auskommen. Künftig kümmert sich also Wetterfee Miriam Pede um die Frage, ob es intelligentes Leben im All gibt. Vielleicht fängt sie mit dem Suchen erstmal im eigenen Sender an.

Das Vorurteil: stimmt nicht.