Vorurteil der Woche: US-Serien sind im deutschen Fernsehen manchmal bloß Störfaktoren.

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Wenn Kinder partout nicht hören wollen und den Ball in einer Tour gegen die Wand donnern, obwohl die Mama es verboten hat, dann kriegen sie den Ball weggenommen. Warum sollte sich das mit Fernsehsendern und Serien anders verhalten? Am kommenden Donnerstag wird endgültig der Punkt erreicht sein, an dem RTL II seine ausgeliehenen US-Serien einmal zu oft an die Wand gedonnert haben wird. Und sie deshalb von der Mama weggenommen bekommen kriegen muss.

An diesem 2. Oktober zeigt RTL II die sechste Staffel der David-Duchovny-Serie "Californication" als "deutsche Free-TV-Premiere" – und zwar so, wie beim Metzger der gute Schinken bestellt wird: am Stück. Das wäre, um den allgemeinen Trend des Hintereinanderwegguckens ganzer Staffeln aufzugreifen, dem viele Zuschauer verfallen sind, nicht weiter schlimm. Allerdings ist die Marathonprogrammierung weniger als Service zu verstehen, sondern als Entsorgungsstrategie. Hauptprotagonist Hank Moody darf seine neuen Eskapaden nämlich jugendschutzbedingt erst um 23.15 Uhr beginnen. Das Staffelfinale läuft dann bis 4.40 Uhr – zu spät, um noch ins Bett zu gehen und zu früh für den ersten Kaffee.

Californication© Jordin Althaus/Showtime

"Californication"-Fans sind diesen Kummer freilich gewöhnt. Staffel fünf lief gerade erst im August bei RTL II, damals noch auf zwei Nächte verteilt, aber auch jeweils bis kurz vor 4 Uhr am Morgen. Dass man so einfach nicht mit dem Eigentum anderer umgeht, müsste eigentlich auch ein Rotzlöffelsender wie RTL II endlich mal lernen.

Leider ist das Gegenteil der Fall.

Angefangen hat das ganze Unglück vor zwei Jahren, als dem kleinen Stinkstiefel Stiefbruder von RTL und Vox die hervorragende HBO-Serie "Game of Thrones" in die Hände fiel, bei der die Produktion einer Episode schätzungsweise soviel kostet wie das komplette RTL-II-Jahresprogramm. Da in der Serie weder Tauschmütter noch coole Berlin-WGs und auch keine Kochprofis mitspielen, räumten die Verantwortlichen in Ermangelung eines passenden Umfelds kurzerhand ein komplettes Wochenende frei, um die erste Staffel zu zeigen – und die Zuschauer taten etwas Unerwartetes: Sie schalteten ein.

Seitdem behandelt RTL II US-Serien mit fortlaufender Handlung fast ausschließlich als "TV-Event" – was inzwischen längst das Codewort für "Muss schnell weg, sonst reißt uns das einen Quotenkrater in unser schönes Trash-Programm" ist.

Dabei hat's "Californication" noch vergleichsweise gut getroffen, immerhin ist nach der Ausstrahlung Tag der Deutschen Einheit. Die Serienkillerkiller-Serie "Dexter" zum Beispiel, die seit der ersten Staffel nie ein Hit für RTL II war, ist in den USA längst beendet, die deutschen Zuschauer beglückte der Sender im Frühjahr erstmal mit der fünften Staffel, und zwar zur interessanten Sendezeit am Sonntagabend ab 22.15 Uhr, jeweils drei Folgen am Stück – ein Programmierkunststück für Zuschauer, die gewillt waren, montagmorgens völlig übermüdet zur Arbeit zu wanken, um die Kohle für die DVD-Box zu sparen. Vier Wochen nacheinander. Ohne Feiertagsbonus.

In den Genuss eines anderen Müdigkeitsmusters kommen Fans der Zombieserie "The Walking Dead", deren vierte Staffel ab 27. Oktober um 23.15 Uhr bei RTL II läuft – und zwar am Montag (zwei Folgen), am Dienstag (zwei Folgen), am Mittwoch (zwei Folgen), am Donnerstag (zwei Folgen), am Freitag (drei Folgen), am Samstag (drei Folgen) und am Sonntag (zwei Folgen). Sagen Sie Ihren Freunden also besser vorher, dass Ihnen nichts zugestoßen sein wird, wenn sie in dieser Woche abends nicht ans Telefon gehen.

The Walking Dead© AMC Networks

Es ist eine Mischung aus Lieb- und Ratlosigkeit, mit der deutsche Sender vielgelobte Serien aus dem Ausland behandeln. RTL II ist da keine Ausnahme. Seit der Erstausstrahlung vor fast drei Jahren beweist beispielsweise das ZDF, wie wenig es mit dem ITV-Hit "Downton Abbey" umzugehen weiß. Der Sendeplatz über die Weihnachtsfeiertage war offensichtlich nicht ideal, aber anstatt einen weiteren Versuch zu wagen, das Publikum auf prominentem Platz doch noch dafür zu gewinnen, bekam die Serie einen kurzen Prozess. Neue Folgen laufen derzeit samstagmittags ab halb zwei, zwischen "Landarzt"-Wiederholung und "Inga Lindström"-Wiederholung.

Manchmal hat man den Eindruck, jede blöde Telenovela erhält im deutschen Fernsehen mehr Sendeplatzpflege als Serien, die auf der ganzen Welt ihre Fans haben.

Das ist eine törichte Programmstrategie, weil die Sender auf diese Weise dafür sorgen, dass die Zuschauer sich Serien, die sie wirklich interessieren, auf anderen Wegen besorgen – und den Flop-Effekt dadurch noch verstärken. Weil kaum noch jemand auf die Ausstrahlung im Fernsehen warten mag, wenn man sich eigentlich Urlaub dafür nehmen müsste, und die Quoten dann noch schlechter sind. Lange wird das Spielchen so nicht mehr weitergehen. Irgendwann hat sich das Fernsehen fiktionale Geschichten mit episodenübergreifenden Handlungssträngen endgültig abgewöhnt. Und die Zuschauer, die sich dafür interessieren, gleich mit.

Aber der nächste "Frauentausch" läuft bestimmt wieder prima.

Das Vorurteil: stimmt.