Ach, ich weiß es doch auch nicht. Es fällt mir wirklich schwer, über die neue "Sherlock"-Folge "The Six Thatchers" zu schreiben. Ich habe mehrere Tage lang versucht, meine Gedanken zu sortieren, gelesen, was die anderen so schreiben, mit anderen Guckern diskutiert. Und trotzdem: In meinem Kopf herrscht ein "Sherlock"-Durcheinander. Ja, Begeisterung sieht anders aus. Aber Enttäuschung auch. Es ist irgend etwas dazwischen, und ich kann nicht auf den Punkt bringen, was es ist und warum es so ist. Um mir eine klarere Meinung zu bilden, oder besser: Um zu versuchen, mir eine klarere Meinung zu bilden, werde ich drei Aspekte durchgehen, die mich beschäftigen.

Leider komme ich - anders als bei meinem Text über das "Sherlock"-Special "The Abominable Bride" vor einem Jahr - nicht umhin, wichtige Teile der Handlung zu verraten. Daher jetzt: SPOILERWARNUNG für die erste Folge der vierten Staffel und für das Ende der dritten Staffel.



Mary
Als die Figur Mary Marston (Amanda Abbington) in Staffel 3 eingeführt wurde, war ich erst skeptisch, dann interessiert und schließlich fasziniert. Ich hatte mich darauf gefreut, in Staffel 4 endlich mehr über ihren Hintergrund zu erfahren. (Obwohl ich ahnte, dass sie nicht lange würde leben dürfen, da die Serie sich sehr auf das Pärchen Sherlock/Watson konzentriert, eine Frau für Watson würde da stören. Und obwohl ich auch wusste, dass sie in der Originalvorlage irgendwann keine Rolle mehr spielt.) Leider hat sich bewahrheitet, was ich befürchtet hatte: Die Figur war nur ein, wie man im Englischen so schön sagt, Plot Device. Also nur ein Mittel zum Zweck. In diesem Fall: ein Mittel, den Handlungsstrang der Beziehung Sherlock/Watson voranzubringen. Das ist sehr schade. Und nein, damit meine ich nicht den Fakt, dass sie am Ende stirbt. Sondern, wie ihre Geschichte vorher erzählt wird und wie die Szene aufgebaut ist, in der sie stirbt. Ich hatte ständig den Eindruck, es geht in der Ein-sich-betrogen-fühlender-Ex-Kollege-nimmt-Rache-Geschichte im Grunde nicht um sie, sondern darum, wie Sherlock (Benedict Cumberbatch) auf ihr Handeln reagiert, und bei der Sterbeszene im Aquarium (beeindruckende Location, übrigens) darum, wie sich Watsons (Martin Freeman) Gefühle für Sherlock durch Marys Tod verändern.

Die Balance
Die letzte Folge von Staffel 3 war düster. Und schon Wochen, ach, Monate vor der Ausstrahlung haben gefühlt alle Beteiligten nicht zu betonen versäumt, dass Staffel 4 noch düsterer wird. Ich war also vorbereitet. Doch dann kam eine humorvolle Szene nach der anderen, bevor man in die Düsternis geworfen wurde. Für mich zerfiel die Folge in zwei Teile: in einen Hach- und in einen Oh!-Teil. Der Hach-Teil endet etwa bei Minute 36, als Sherlock mit dem Auftragskiller auf Rachefeldzug einen Kampf in einem Swimmingpool hinlegt, der seinem Landsmann James Bond alle Ehre machen würde. Unvermittelt verliert da die Folge für mich ihre Leichtigkeit, ihren Witz und geht ohne Vorwarnung in den düsteren, schweren Oh!-Teil über. 
Das wirkt unausgeglichen, mir fehlt die gewisse Balance, fast Eleganz, die sonst so typisch war für "Sherlock"-Folgen. 

Moriarty - WTF?!
Die unglaubliche Gefahr Moriarty (Andrew Scott) ist zurück! Schnell, holen wir Sherlock aus dem Flugzeug und fälschen wir (der MI6 in Gestalt von Sherlocks Bruder Mycroft) ein Beweisvideo, damit niemand weiß, dass Sherlock jemanden erschossen hat - und das alles tun wir nur, damit er die Welt vor Moriaty retten kann. Und dann? Dann vergehen Monate in der Geschichte und nix passiert. Man sieht niemanden vor Angst zittern, niemanden, der versucht, Moriarty oder Komplizen aufzuspüren oder herauszufinden, was er - der ja eigentlich tot ist - plant. Einzig Sherlock ist enttäuscht, dass sich sein geliebter Erzfeind nicht meldet. Stattdessen wird eine Geschichte erzählt, die für sich alleine steht. Sie ist zwar spannend und unterhaltsam. Aber sie kann nicht die Erwartungen auffangen, die bei mir mit dem Ende von Staffel 3 vor drei Jahren und den Andeutungen im Special vor einem Jahr geschürt wurden.  

So, jetzt bin ich etwas klarer im Kopf. Und freue mich natürlich trotzdem auf die Folgen 2 und 3. Ein bisschen Angst habe ich vor dem Finale, muss ich zugeben. Was kann ich dagegen tun? Vielleicht entspannt aufs Sofa setzen und einen Tee trinken. Earl Grey, mit Milch natürlich.

Und zum Schluss noch drei Gucktipps: 

Mehrfach preisgekrönt und hochgelobt: "The People vs. O.J. Simpson: American Crime Story" ist am 6. Januar bei Sky Atlantic HD gestartet.

Ebenfalls hochgelobt: Die siebte Staffel "The Good Wife" ist endlich auch in Deutschland zu sehen, ab 10. Januar bei Fox Channel.

Von NPH-Fans sehnlichst erwartet: "Eine Reihe betrüblicher Ereignisse" mit Neil Patrick Harris ist ab 13. Januar bei Netflix verfügbar. 

Jetzt zum wirklich Wichtigen: Wo kann man das gucken, über das ich schreibe?

"Sherlock", Staffel 4: Die neuen Folgen sind ein paar Stunden nach der BBC-Ausstrahlung bei iTunes und Amazon Video verfügbar. Irgendwann im ersten Halbjahr 2017 soll die vierte Staffel auch im Ersten zu sehen sein, ein Sendetermin ist noch nicht bekannt.  

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