Vor wenigen Tagen endete das Warten auf das größte Sportevent der Welt. Russland lädt zur 21. Fußball-Weltmeisterschaft und versammelt von Kasan bis Moskau die größten Ballkünstler, die es augenscheinlich gibt. Mit diesem Gedanken beginnt auch die Hoffnung auf vier Wochen voller Verzauberung und Szenen, über die man sich mit seinen Kollegen in der Kantine unbedingt unterhalten muss. "Die hätten mehr über die Außen spielen müssen!", "Kleine Mannschaften gibt es nicht mehr!" und "Der Fußball hat seine eigenen Gesetze!", sind da nur einige Floskeln, die jedes Phrasenschwein füllen. In Russland sehen diese Gesetze einmal mehr so aus, dass Schauspielerei zur Tagesordnung gehört, genauso wie Zeitspiel und Diskussionen mit dem Schiedsrichter. Es fehlt der Vibe, den einst "Captain Tsubasa" in unsere Wohnzimmer brachte.

Als kleiner, zwölfjähriger Grundschüler hatte Tsubasa Ohozora nur ein Ziel vor Augen. Er wollte mit seinem Heimatland Japan eine Fußball-Weltmeisterschaft gewinnen. Jedes Kind, dass in den 90ern oder zur Jahrtausendwende aufgewachsen ist und ab und an vor dem Fernseher saß, um zu schauen, welche Zeichentrickserien im Moment laufen, kennt seinen Traum. In "Die tollen Fußballstars" hat er in 128 Episoden gezeigt, wie aufregend dieser Sport sein kann und wie gesund portionierter Ehrgeiz einen jungen Menschen reifen lässt. Nie hat er sich von seinem Motto "Der Ball ist mein Freund" getrennt, was dafür gesorgt hat, dass ein Schuss auf‘s Tor auch mal zwei ganze Folgen dauern konnte. 

"Gut Kick!", würde Klaas Heufer-Umlauf dieses Motto heutzutage umformulieren. Doch sowohl Ohozoras als auch Heufer-Umfaufs Worte mag sich bei der diesjährigen Weltmeisterschaft kaum jemand zu Herzen nehmen. Gestandene Männer verlieren jedwede Kontrolle über ihre Muskeln, sobald sie nur an der Schulter gestreichelt werden. Bei einer 1:0 Führung wird der Ball ab der 60. Minute solange in den eigenen Reihen hin- und her gepasst, bis der Zuschauer gelangweilt in den Twitter-Feed schaut, wer sonst noch keinen Bock mehr hat und in den Twitter-Feed schaut, um zu gucken, wer sonst noch keinen Bock mehr hat. Und wenn der Ball gerade nicht in Bewegung ist, wird mit dem Schiedsrichter intensiv und einseitig darüber diskutiert, was für eine bescheuerte Entscheidung er gerade getroffen habe. Irgendwann wird er zuhören, da sind sich die Spieler ganz sicher.

Tsubasa und der Rest seiner Truppe hatten diesen ganzen Blödsinn nie nötig. Klar, er war auf der einen Seite sowieso viel zu sehr damit beschäftigt, seinen berühmt berüchtigten Top-Spin-Schuss einzuleiten oder im 754 Meter langen Sprint zum Tor tiefschürfend mit zwei Teamkollegen zu besprechen, wie sie gleich zusammen den Abschluss durchführen. Doch abseits des Surrealismus, den eine Anime-Serie wie diese eben mit sich bringt, wurden wichtige Werte vermittelt.

"Die tollen Fußballstars" und auch die zwei Nachfolger-Serien mit Tsubasa "Captain Tsubasa J" und "Super Kickers 2006" tun etwas, was viele Kinderserien heutiger Zeit vergessen, zu tun. Den Kids vor den Bildschirmen das Gedankenbild mit auf den Weg zu geben, alles schaffen zu können. Unvergessen bleibt Tsubasas erstes Training in Europa, als er nach Spanien wechseln möchte. Seine Aufnahmeprüfung besteht daraus, gegen die drei härtesten Spieler seines neuen Teams anzutreten. "Einer gegen drei...", denkt er sich zunächst negativ gestimmt, ehe er sein Mindset auf Sieg einstellt: "Nein falsch, drei gegen drei. Der Ball, das Spielfeld und ich."

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Kitsch hoch zehn, absolut. Doch hat Tsubasa mit seiner motivierten und freundlichen Art immer dafür gesorgt, dass auch der kleine Junge oder das kleine Mädchen zu Hause Bock bekommt, rauszugehen und gegen den Ball zu treten. Profis wie Lionel Messi, Cristiano Ronaldo oder Toni Kroos, die gerade allesamt um den Weltmeistertitel kämpfen, versprühen diese Lust momentan eher weniger. Vielmehr begeistern derzeit Mannschaften wie Island, die einen Teamgeist versprühen, von dem sich jedes andere Ensemble eine Scheibe abschneiden kann.

Tatsächlich erinnert die isländische Nationalmannschaft etwas an "Die Kickers". Ein Team aus zwölf japanischen Schülern, die ihr letztes Spiel mit 0:21 verloren haben. Mit Moral und Engagement mausern sie sich in den insgesamt 26 Episoden jedoch zu einer ordentlichen Mannschaft. Eine kompakte Serie also im Gegensatz zu "Captain Tsubasa", der alleine für sein letztes Fußball-Spiel über 20 Folgen benötigt.

Pardon, sein vorläufig letztes Fußball-Spiel. Wie Anfang des Jahres bekannt gegeben wurde, kehrt er nach 16 Jahren Exil zurück. In Japan tat er dies bereits mit 52 neuen Folgen, die ihn passenderweise zur Weltmeisterschaft 2018 in Russland bringen. Dabei sind nicht nur Stars wie Ronald oder Messi, sondern auch Manuel Neuer. Für Europa hat sich Viz Media die Rechte gesichert. Im Zuge dessen wird die Fortsetzung der Anime-Serie momentan auf dem Pay-Portal Anime-On-Demand ausgestrahlt. 

Ob nicht nur das animierte Team aus dem Land der aufgehenden Sonne bei der diesjährigen WM auftrumpfen kann, sondern auch das Echte um Dortmunder Shinji Kagawa, bleibt noch abzuwarten. Genauso, ob es noch zu wirklich schönen Spielen kommt, bei denen man beim Zuschauen nicht nur darauf hofft, dass der eigene Tippspiel-Tipp aufgeht. Für das entscheidende Gruppenspiel heute Abend gegen Schweden kann sich Deutschland also ruhig nochmal Tsubasas Freude zum Spiel abschauen, dann klappt‘s auch mit dem nächsten 7:1.

"Die tollen Fußballstars" und "Super Kickers 2006" stehen auf Amazon in kompletter Länge zum Streaming zur Verfügung. Die "Super Kickers 2006" laufen zudem momentan auf ProSieben Maxx. Auf Anime-On-Demand sind derzeit die aktuellen Folgen zu sehen.