Dieser Text sollte sich eigentlich darum drehen, dass es eben doch ohne Fremdeln funktionieren kann, eine in zwei Staffeln eingeführte Hauptfigur in der dritten Staffel mit einer anderen Schauspielerin zu besetzen. Was ich meine: Claire Foy spielte in den Staffeln 1 und 2 in "The Crown" Queen Elizabeth II., in Staffel 3 wurde die Rolle allerdings von Olivia Colman übernommen. Und der Übergang ist reibungslos, weil er mit einem Trick eingeleitet wird: die Queen - nur die Silhouette ist sichtbar - steht vor dem neuen Bild für die britische Briefmarke, daneben aufgebaut ist ihr altes Konterfei für die britische Briefmarke. Erstere zeigt Olivia Colman als Queen, zweitere Claire Foy als Queen. Schließlich ist die Frau, die vor beiden Bildern steht, zu sehen - und es ist, natürlich: Olivia Colman als Queen, die sich abfällig übers Altern äußert. Für mich war ab da alles klar. Und diese Klarheit bezog sich auch auf alle anderen Figuren, die in den ersten beiden Staffeln von anderen Schauspielerinnen und Schauspielern gespielt worden waren - ohne dass es nötig war, für alle wichtigen einen ähnlichen Übergang zu inszenieren. Genau wie die Queen älter geworden ist, sind auch alle anderen älter geworden. Ist smart und schnell gelöst, habe ich verstanden, danke. 

Was mich tatsächlich viel mehr fasziniert hat als der gelungene Übergang vom jungen Queen-Gesicht zum älteren Queen-Gesicht: Olivia Colman, die Frau, die die Rolle der Queen Elizabeth in ihren 40ern übernommen hat. Ich wusste, dass sie eine wunderbare Schauspielerin ist. Aber ich hatte nicht erwartet, dass sie auf das hervorragende Minenspiel von Claire Foy in den ersten beiden Staffeln noch eins draufsetzen würde. Wie Olivia Colman es schafft, in vielen Szenen ohne Worte die Gefühle einer Figur herüberzubringen, die dafür bekannt ist, nur in absoluten Ausnahmefällen Gefühle zu zeigen, ist meisterhaft. Colman arbeitet mit Minimalgesten - und schafft es so, ihrem besonderen Charakter und der jeweiligen Situation gerecht zu werden und gleichzeitig das Publikum am Innenleben der Figur teilhaben zu lassen. Und: Sie lässt Elizabeth regelrecht aufblühen, wenn sie das machen darf, was sie liebt - sich um ihre Rennpferde kümmern. Der Rest des Lebens ist: Pflicht, die es nicht zu hinterfragen gilt. Und das gilt nicht nur für ihre öffentlichen Aufgaben als Königin, sondern auch für das Familienleben. Selbst im Privaten ist sie nämlich die Königin, die die Familie zusammenhalten und dafür sorgen muss, dass sich alle royal verhalten. 

Leider - und das hat man schon an Staffel 1 und 2 gesehen - ist die Queen nicht die interessanteste Figur in dieser Serie. In Staffel 3 fällt das allerdings noch mehr auf, weil bei Elizabeth II., die nun schon seit fast 20 Jahren auf dem Thron sitzt, Alltag und Stillstand eingekehrt sind. In Staffel 1 und 2 dagegen waren bei ihr die Amtsübernahme, die Eingewöhnung ins von ihr als Last empfundene Königin-Leben und die Veränderungen, die das mit sich bringt, ein großes Thema. So sehr mich das Spiel von Olivia Colman begeistert - im Kopf bleiben bei Staffel 3, mit Ausnahme von "Aberfan", die Folgen, in denen es um die anderen Mitglieder der Königsfamilie geht. Die Midlife-Crisis von Prinz Philip (Tobias Menzies), das Wales-Jahr von Prinz Charles (Josh O'Connor), die Camilla-Affäre von Prinz Charles, die Eskapaden von Prinzessin Margaret (Helena Bonham Carter) - all das sind wunderbare Geschichten interessanter Figuren, über die man viel erzählen kann. Und ja, in jeder der Folgen kommt die Queen natürlich vor. Entweder als treibender Faktor, als Beobachterin oder als Problemlöserin. Aber sie eben nur die Queen, die darauf bedacht ist, dass sie alles richtig macht und dass um sie herum alle alles richtig machen. Das ist im Fall von Olivia Colman schade. Denn dadurch sehe ich weniger von ihr, als ich mir gewünscht hätte. 

Glücklicherweise ist Olivia Colman ja schon viele Jahre im Seriengeschäft. Weshalb ich mir den Wunsch, mehr von ihr zu sehen, ganz leicht selbst erfüllen konnte. Ich habe mich zuerst für "Broadchurch" entschieden. Die erste Staffel hatte ich zwar vor ein paar Jahren schon gesehen, aber das störte mich nicht: Ich habe einfach wieder vorne angefangen und mich drei Staffeln lang an Olivia Colmans Schauspiel als Detective Sergeant Ellis Miller erfreut - eine Figur, die so ganz andere Charakterzüge hat als Queen Elizabeth in "The Crown". (Was das Guckvergnügen bei "Broadchurch" natürlich zusätzlich vergrößert: Dass die anderen Rollen zum Beispiel mit Jodie Whittaker oder David Tennant ebenfalls sehr gut besetzt und Staffel 1 und Staffel 3 hervorragend geschrieben sind. Diese Krimiserie ist einfach sehr gut - und ich bin froh, sie endlich zu Ende geschaut zu haben.) Und um die Bandbreite von Colmans Können noch ein bisschen zu bewundern, habe ich danach noch ein paar ihrer Szenen in "Fleabag" erneut angeschaut und sogar in die surreale britische Krankenhaus-Comedy "Green Wing" reingeguckt. In beiden spielt sie komische Rollen, allerdings ganz unterschiedliche: Während sie in "Fleabag" 2016 und 2019 die (nicht unbedingt wohlmeinende) Stiefmutter mit einem schwierigen Verhältnis zur Hauptfigur Fleabag (Phoebe Waller-Bridge) mimt, spielt sie in "Green Wing" 2004 und 2006 eine von Beruf und Familienleben gestresste Krankenhausverwaltungsangestellte, die nicht weiß, wo ihr der Kopf steht.   

Egal, ob Drama, Krimi, Comedy - diese Frau ist in allem grandios. Auch als Geheimdienstmitarbeiterin in "The Night Manager" fand ich sie sehr beeindruckend, weil sie der Rolle etwas Ungewöhnliches, Unglamouröses, Bodenständiges verliehen hat, das ich so in einer Figur dieser Art noch nicht gesehen hatte. Seit ich sie 2016 in dieser Serie gesehen habe, ist ihre Besetzung - und sei es nur für eine kleine Nebenrolle - für mich ein Einschaltgrund, ach was, sogar ein Einschaltmuss.

Olivia Colman hat die bewundernswerte Fähigkeit, in den Figuren, die sie spielt, aufzugehen. In den meisten Fällen erkennt man sie beim ersten Auftritt in einer Serie (oder natürlich einem Film) - "Ah! Olivia Colman! Wow!" -, aber nach dem ersten Moment spielt ihre Bekanntheit, ihre Person keine Rolle mehr, weil es nur noch um die Figur geht, die sie verkörpert. Und dabei ist es egal, welche Art von Figur das ist. Das gelingt nur den ganz großen Schauspielerinnen und Schauspielern. Nicole Kidman ist neben Colman ein Beispiel dafür. Oder Dame Judi Dench. Viele andere Schauspielstars sind mit ihrem Können auf bestimmte Bereiche oder gar Genres festgelegt und sobald sie die verlassen, leidet die Figur, die sie spielen - auch darunter, dass der Schauspieler oder die Schauspielerin als Person sichtbar bleibt. 

Wie ich bei meiner Wo-kann-ich-Olivia-Colman-sehen-Recherche übrigens festgestellt habe, hat sie 2010 auch bei "Doctor Who" mitgespielt und war 2004  in "Black Books" dabei. An ihren "Black Books"-Auftritt kann ich mich nicht erinnern - das werde ich mir mal raussuchen und die Folgen nochmal anschauen. Die "Doctor Who"-Episode ebenfalls. Und natürlich werde ich einschalten, wenn sie in Staffel 4 von "The Crown" wieder Queen Elizabeth II. spielt - und ich freue mich schon darauf, sie in der HBO/Sky-Produktion "Landscapers" als Mörderin zu sehen (Infos dazu hier).

"The Crown" ist bei Netflix verfügbar.

Alle drei Staffeln von "Broadchurch" gibt's zum Beispiel bei Amazon, iTunes oder Netflix.

"The Night Manager" findet sich zum Beispiel bei Amazon (Prime), iTunes, Joyn oder TVNow.

"Fleabag" ist nur bei Amazon (Prime) verfügbar.

"Green Wing" ist in Deutschland bei keinem Streaminganbieter zu finden, allerdings gibt's einige Folgen auf Youtube.