"Karate Kid" ist eines dieser popkulturellen Phänomene aus den 80er-Jahren, die mir völlig egal sind. Klar habe ich den Film irgendwann im Fernsehen gesehen. Aber er hat mich weder nachhaltig beeindruckt noch mein Interesse an Karate geweckt. Und wäre da nicht Barney Stinson in der Sitcom "How I Met Your Mother" gewesen, hätte ich in die Fortsetzung "Cobra Kai" vermutlich nie reingeschaut.
Barney Stinson konnte weder richtig Karate, noch hatte der Schauspieler der Figur - Neil Patrick Harris - irgendetwas mit dem Original "Karate Kid" zu tun. Aber Barney Stinson hat die gutbekannte Außenseiter-gewinnt-gegen-unfairen-Gegner-im-Karate-Geschichte mit anderen Augen gesehen - und zum Antagonisten Johnny Lawrence (William Zabka) gehalten, der dem Protagonisten Daniel LaRusso (Ralph Macchio) mit fiesen Methoden ordentlich zusetzt. Für ihn war Johnny Lawrence der eigentliche Held (wie er in Staffel 4, Folge 15 erklärt - die Szene gibt's hier auf YouTube). Ein Running Gag, der sich über mehrere Staffeln der Sitcom hinzog und schließlich in Staffel 8 darin gipfelte, dass beide Schauspieler auf dem Junggesellenabschied von Barney auftauchen (Staffel 8, Folge 22). Barney ist so begeistert vom Treffen mit William Zabka - in Barneys Augen das einzig wahre Karate Kid -, dass er Zabka in Staffel 9 sogar kurzzeitig zu seinem Trauzeugen ernennt. 

"Cobra Kai" nun erzählt die "Karate Kid"-Geschichte weiter - mehr als 30 Jahre später treffen wir die Figuren wieder. Allerdings wird die Handlung nun aus Sicht von Johnny Lawrence (immer noch gespielt von William Zabka, aber nun eben älter) geschildert. Er, der im Film der Böse war, der den armen Danny in der Schule geärgert und verprügelt hat und schließlich im entscheidenden Karatefinale unfair gekämpft hat, steht im Mittelpunkt der Serie. Ein weiterer wichtiger Unterschied: Die Serie ist nicht als Drama wie der Film, sondern als Comedy-Drama angelegt.

Beides, die Hauptfigur und die neue Tonalität, funktionieren gleich von Anfang gut. Johnny ist zwar eigentlich ein Arschloch, aber ein bemitleidenswertes Arschloch: Er ist der Loser geblieben, zu dem ihn der Film gemacht hat. Er verliert zu Beginn der Serie seinen - ungeliebten und schlechtbezahlten - Job, trinkt zu viel, jemand fährt in sein - geliebtes - Auto. Er ist zwar unfreundlich zu allen und jedem, aber es scheint durch, dass da irgendetwas Gutes in ihm steckt. Kurz: So wie sich Johnny entwickelt hat, würde Barney Stinson nicht mehr zu ihm halten.

Der frührere Protagonist Daniel LaRusso (ebenfalls immer noch Ralph Macchio) ist nun der Antagonist. Er ist immer noch freundlich und eigentlich sympathisch. Und auch insgesamt im Leben ist er ein Gewinner: Er hat Erfolg im Job, hat eine nette und intakte Familie, mit der er in einem luxuriösen Haus lebt. Doch trotz seines Triumphes im Wettkampffinale vor mehr als drei Jahrzehnten wohnt in ihm ein Hass auf seinen früheren Rivalen, der ihn zu unsympathischen Handlungen treibt.

Ein interessantes Spiel mit Sympathien und Antipathien findet hier statt, das sich durch alle Figuren zieht. In 80er-Jahre-Filmen im Highschool-Milieu waren Figuren meist entweder gut oder böse, die Rollen waren von Anfang an klar verteilt. "Cobra Kai" - das durch die Figuren der Karateschüler und -schülerinnen ebenfalls im Highschool-Milieu spielt - greift diese Schwarz-Weiß-Malerei zwar auf, verabschiedet sich nach und nach von (den meisten) Stereotypen. Fast alle Figuren sind ambivalent, und selbst die vermeintlich Guten treffen im Laufe der Folgen Entscheidungen, die sie unsympathisch erscheinen lassen. Unterstützt wird der Eindruck der Ambivalenz dadurch, dass immer mal wieder Szenen aus dem Film gezeigt werden, die bestimmte Entwicklungen in einem anderen Licht erscheinen lassen. Schade ist allerdings, dass das Spiel mit den Stereotypen und Erzählklischees bei den Highschool-Figuren weniger stark ausgeprägt ist. Hier ist für künftige Staffeln noch Potenzial, besonders wenn es um das Verhältnis zwischen Jungs und Mädchen geht.

Die Serie nimmt sich nicht so ernst. Und das tut ihr gut. Während "Karate Kid" vor ernstgemeinten Klischees und Kitsch strotzte, sind die Übertreibungen und Verkitschungen hier so gut gesetzt und wohldosiert, dass sie witzig sind. Humor wird auch genutzt, um vermeintlich bekannte Situationen in andere Richtungen zu treiben, als das Publikum erwarten würde.

Aber: All das zusammengenommen erklärt mir noch nicht, warum ich die zehn Folgen der ersten Staffel gerne geschaut habe und mich darauf freue, am Wochenende mit der zweiten Staffel weiter zu machen. Denn "Cobra Kai" ist eigentlich so gar nicht mein Ding. Gescheiterte männliche Existenzen, die amüsant der Vergangenheit hinterherjammern, dazu Karate-Kämpfe und 80er-Jahre-Bezüge entsprechen nicht meinen Vorlieben von guter Unterhaltung. Doch obwohl der Haupthandlungsstrang um Johnny in seinen Grundzügen keine Überraschungen bereit hält, schafft die Serie es, meine Aufmerksamkeit zu fesseln und mich zu unterhalten. Wie sie das genau hinbekommt, kann ich gar nicht im Detail sagen. Es ist eine Mischung aus Faszination, wie hier mit bekannten 80er-Jahre-Highschool-Erzählmustern umgegangen wird, und wirklichem Interesse an den Figuren. Besonders an der Hauptfigur Johnny.

Übrigens: super Cliffhanger am Ende der ersten Staffel, der für Staffel zwei auf interessante Entwicklungen hoffen lässt. Und vielleicht finde ich in Staffel zwei die Antwort auf die Frage, warum ausgerechnet mir diese Serie so gut gefällt. Dass es eine Staffel drei geben wird, steht bereits fest - sie soll 2021 veröffentlicht werden.

Die Staffeln 1 und 2 von "Cobra Kai" sind bei Netflix verfügbar, bei Google Play gibt's nur Staffel 1.