„Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern und hüte mich mit ihm zu brechen. Es ist gar hübsch von einem großen Herrn so menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.“ Ich muss hier einfach mal mit einem Goethe-Zitat einsteigen. Es geschieht schließlich zu Ehren eines ganz Großen, der selbst gern bildungsbürgerliche Bedeutungshuberei praktiziert und deshalb seinen „Faust“ wohl auch in- und auswendig kennt. Manche haben ihn ja schon Gott genannt, weshalb es passt, dass ich durch die Zunge des Mephistopheles über ihn spreche. Ich bin der Kritiker, das Böse in Gestalt, und er ist die heilige Dreieinigkeit aus Timing, Haltung und Unabhängigkeit.

Ich habe Harald Schmidt schon eine Weile nicht mehr gesehen. Ich bin kein Sky-Abonnent, und deshalb blieb mir weitgehend verschlossen, was er in den letzten Monaten so getrieben hat. Ich wusste trotzdem immer, was er tat, weil er schon vor Jahren auf dem Zenit seines Schaffens angekommen ist. Seitdem ging es für ihn nicht mehr aufwärts. Manche, auch ich, haben ihm übel genommen, dass er sich nicht weiter nach oben gereckt, dass er sich eher seitwärts bewegt hat, dass er sich einrichtete in seinem Können, dass er das tat, was er beherrscht wie kein anderer. Wie dumm wir waren, wir, die wir im Staube unseres ewigen Bemühens im Kreise kriechen und niemals nur einen Zipfel seines Schattens zu fassen kriegen.

 

Ich gestehe, dass ich immer schon Schmidt-Fan war und es so lange bleiben werde, bis endlich mal jemand auftaucht, der diesem Manne das Wasser reichen kann. Das heißt, so ganz stimmt das mit dem immer nicht. Ich habe Schmidt in den 80er-Jahren gesehen. In Düsseldorf, im Spektakulum. Nur er, ein Klavier und seine lästerliche Zunge. Er war nicht schlecht, fand ich. Aber sonst? Nicht weiter bemerkenswert. Es dauerte dann ein paar Jahre, bis mich meine verehrte Zeitungskollegin, die selige Brigitte Söhngen, auf etwas sehr Besonderes aufmerksam machte. Da sende einer im WDR, der sei doch mal eine Betrachtung wert. Sie meinte Schmidt in „Schmidteinander“.

Ich sah mir ein paar Sendungen an und wurde Fan. Fortan versuchte ich, bei fast jeder Show im Kölner Studio dabei zu sein, im Publikum zu hocken. Mein persönlicher Höhepunkt war, als Schmidt mich während einer Livesendung schlug. Er spielte gerade eine Klassenarbeitssimulation durch, bei der alle im Publikum einen Zettel zu beschreiben hatten. Dann ging er durch die Ränge, blieb neben mir stehen und hieb plötzlich mit einem Lineal auf mich ein. „Das ist Hoff von der Rheinischen Post“, brüllte er, um ebenso schnell von mir abzulassen wie er angefangen hatte.

Als ich nach Hause kam, war mein Anrufbeantworter voll. Schmidt hatte mich geschlagen, und alle meine Freunde hatten es gesehen. Ich war ein Held und trug fortan mein graues N-Shirt aus der „Schmidteinander“-Kollektion mit großem Stolz. Um ehrlich zu sein, trage ich es heute noch.

Ich habe Schmidt dann häufiger interviewt. Er war immer nett – weil er etwas wollte. Ich habe nie angenommen, dass er mich mochte. Er wollte halt hoch hinaus, und ich war sein Mittel zum Zweck. Das funktionierte. Ich schrieb mein Blatt derart mit Lobeshymnen voll, dass mir ein Kollege mal zuraunte, es gebe da im Fernsehen noch etwas anderes als diesen Harald Schmidt. Nein, gab es nicht.

Irgendwann hatte Schmidt geschafft, was er wollte. Er durfte „Verstehen Sie Spaß?“ moderieren. Samstagabend. ARD. Große Show. Schmidt richtete die Show schneller zugrunde als Cherno Jobatey das jemals gekonnt hätte. Ich war entsetzt. Ich verstand das nicht. Wie konnte er? Jahre später wurde mir klar, dass das große Kunst war, diese Dekonstruktion des Vertrauten, diese Zerstörung des Erwartbaren. Schmidt hatte den 20.15 Uhr-Tempel geschändet. Heute sage ich: Wow!

Danach gab ich ihm keine Chance mehr. Ich sagte allen, die es nicht hören wollten, dass Schmidts einzige verbleibende Karrieremöglichkeit ein veritabler Selbstmord sei. Das wäre kein großer Schritt gewesen, da Schmidt in meinen Augen quasi schon tot war.

Dementsprechend skeptisch saß ich am 5. Dezember 1995 im Kölner Capitol und schaute mir die erste Ausgabe seiner Late Show an. Ich fand es mau. Wenn ich mich recht erinnere waren Paul Kuhn und Bryan Ferry und noch ein paar andere da. Von Sat.1 gab es damals eine Tasse als Gastgeschenk. „The Official Late Night Cup“ stand drauf. Limitierte Ausgabe. Ich habe gestern im Keller nachgeschaut. Ich besitze das Exemplar „No 49“. Ich hoffe, die Tasse ist was wert.

Was Schmidt fürs deutsche Fernsehen wert war, dämmerte mir dann erst ein halbes Jahr später, als ich mich erwischte, wie ich nicht mehr ohne seine Show konnte, wie seine Show die Maßstäbe setzte, wie die Sprüche aus seiner Show kursierten. Irgendwann wurde mir klar, dass Schmidt der Maßstab ist. Was er kann, kann sonst keiner. Niemand hat je sein Format erreicht, niemand wird es je wieder erreichen. Schmidt ist gekommen und gegangen und dann wieder gekommen und dann wieder gegangen. Sender hin, Sender her.

Im Prinzip hat er nun bei Sky die größtmögliche Form der Unabhängigkeit erreicht. Er macht, was er will, er macht, was er kann, und es interessiert ihn einen Scheißdreck, ob das irgendwer schaut. Leider ist er damit eine ganz große Ausnahme. Neben ihm herrscht gähnende Leere. Und über ihm ohnehin.

Vielleicht war so manche Randbegabung froh, dass Schmidt im Sky-Abseits sendete. So fiel nicht allzu sehr auf, welche Diskrepanz zwischen einem wie Schmidt und den anderen lag, wie über die Jahre das Niveau derart gesunken ist, dass man schon gar nicht mehr den Maßstab anlegen mag.

Und Schmidt? Der geht nun. Geld hat er genug, aber auch die Gewissheit, dass seine Show in den Köpfen all derer, die ihn jemals in Hochform erlebt haben, immer weitergehen wird. Es ist wurscht, ob er auf Sendung ist oder nicht, jeder macht sich den Schmidt, den er selbst sehen will. Kopfkino, gebühren- und werbefrei.

Schmidt sagt, er mache jetzt nichts mehr. Nach Late Night sei Schluss. Ich glaube ihm. Wenn ich mich da mal nicht erneut täusche. Vorsichtshalber bleibe  ich dabei: „Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern und hüte mich mit ihm zu brechen. Es ist gar hübsch von einem großen Herrn so menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.“