Der Höhenflug der Scripted Realitys am RTL-Nachmittag war gewaltig: Weit mehr als 30 Prozent Marktanteil verzeichnete der Sender vor wenigen Jahren mit Formaten wie "Verdachtsfälle" oder "Familien im Brennpunkt". Der Absturz folgte allerdings ungewöhnlich schnell: Verzeichneten beispielsweise die "Verdachtsfälle" im Jahr 2011 einen durchschnittlichen Marktanteil von mehr als 27 Prozent, so wurde dieser Wert innerhalb von nur drei Jahren nahezu halbiert - ein massiver Abwärtstrend, der sich freilich auch spürbar auf die Tagesmarktanteile des Kölner Senders auswirkte, der immerhin viele Stunden seiner Daytime mit Scripted Realitys bespielt.

Es mussten also Lösungen gefunden werden - auch, weil RTL zuletzt bereits vereinzelt einstellige Marktanteile am Nachmittag hinnehmen musste, und sich die Kollegen von Sat.1 nach ihrer Daytime-Krise inzwischen wieder spürbar erholt zeigen. Die bisherigen Versuche des Kölner Senders, der Lage wieder Herr zu werten, scheiterten jedoch teils spektakulär. So zog RTL im Herbst nach gerade mal zwei Folgen die Notbremse und nahm seinen Neustart "My Life in..." wieder aus dem Programm und nur etwa zwei Wochen später gehörte auch die Kuppelshow "Bei Anruf Liebe" der Vergangenheit an. Miese Quoten gab's zudem für den Versuch, mit "Berlin Models" eine weitere Dailysoap zu etablieren. Diese traf allenfalls den Geschmack der ganz jungen Zuschauer und sendete schlicht an der typischen RTL-Zielgruppe vorbei.

Seit diesem Rückschlag hatte RTL erst mal genug von seinen Experimenten - zumindest oberflächlich betrachtet. Zwar behilft man sich inzwischen gleich drei Stunden lang mit seinen "Verdachtsfällen", doch unter diesem Deckmäntelchen befindet sich derzeit eine Art Testlabor. Und das scheint erste Früchte zu tragen: So strahlt RTL seit Montag im Anschluss an "Punkt 12" im Rahmen von "Verdachtsfälle Spezial" mit dem "Blaulichtreport" und "Anwälte und Detektive - Sie kämpfen für Dich" zwei neue Spielarten des Scripted-Reality-Genres aus, in denen es bisweilen etwas dramatischer zugeht als man das in der Vergangenheit kannte. Der Erfolg kann sich sehen lassen: So lag der Marktanteil bereits am ersten Tag bei mehr als 20 Prozent und am Dienstag wurden sogar bis zu 22,2 Prozent erzielt - Werte, die für RTL inzwischen längst nicht nur im Nachmittagsprogramm Seltenheitswert besitzen. Auch am Mittwoch lagen die Spezial-Folgen mit Marktanteilen um 19 Prozent wieder deutlich über den gewohnten Werten. Aktuell ist es für "Verdachtsfälle" die stärkste Woche seit zweieinhalb Jahren.

Langzeittrend: Verdachtsfälle
Verdachtsfälle

Entsprechend erleichtert gibt man sich beim zuletzt arg gebeutelten Marktführer. "Wir haben angekündigt, am Nachmittag unter der Marke 'Verdachtsfälle' verschiedene neue Themen zu testen. Genau das tun wir. Mit den Themenschwerpunkten Recht und Polizei treffen wir den Nerv der Zuschauer seit Wochenbeginn ganz gut", sagt RTL-Sprecher Christian Körner gegenüber dem Medienmagazin DWDL.de und stellt bereits Nachschub in Aussicht: "Wenn sich die Entwicklung fortsetzt, werden wir weitere Folgen in Auftrag geben. Bis auf Weiteres sind wir gut versorgt." Doch nicht nur bei RTL wird man die Quoten der vergangenen Tage mit Zufriedenheit betrachten - auch die Produktionsfirma Filmpool kann sich glücklich schätzen. Sie zeichnet nämlich für die beiden Testläufe verantwortlich, die momentan zwei der drei "Verdachtsfälle"-Stunden füllt.

Gewissermaßen erlebt RTL dank seiner bislang noch recht heimlich gezeigten Neustarts ein Déjà-Vu: Als sich die Kölner zuletzt vor sechs Jahren am Nachmittag in der Sinnkrise befanden, wurden im Rahmen der zunächst mutmaßlich "echten" Doku-Reihe "Mitten im Leben" Geschichten nach Drehbuch eingeführt, die auf Anhieb für Spitzen-Quoten sorgten. Das scheint sich dank der thematischen Verlagerung jetzt zu wiederholen. Gut möglich also, dass RTL zumindest auf absehbare Zeit eine Sorge weniger hat.