Die großen Umbrüche deuten sich oft auf einem eher kleinen Stück Papier an – dafür bedarf es gar nicht des Spickzettels, von dem Jens Lehmann im WM-Viertelfinale 2006 das Schussverhalten argentinischer Elfmeterschützen erfuhr, geschweige denn der Emser Depesche, deren Inhalt 136 Jahre zuvor den deutsch-französischen Krieg entfacht hatte. Es reicht ein Din-A-4-Blatt des Zweiten Deutschen Fernsehens. Zumindest, sofern sie vom Ersten verteilt wird.

Es ist Mitte November, da gibt die ARD eine Pressekonferenz nahe dem Brandenburger Tor, um nun auch offiziell zu verkünden, was schon Anfang des Jahres publik wurde: Das quotenstarke Mittagsmagazin wird ab 2018 nicht mehr vom BR in München produziert, sondern beim Berliner RBB. Allerdings nicht in dessen Charlottenburger Zentrale, sondern mittig, Unter den Linden, dort also, wo politisch, gesellschaftlich, kulturell Deutschlands Musik spielt. Vor allem aber: wo das ZDF sein Hauptstadtstudio hat.

Im Wechsel mit den Hausherren präsentiert die Sportschau-Moderation Jessy Wellmer künftig hier mit dem Lokaljournalisten Sascha Hingst das MiMa, wie es nur zärtlich genannt wird. Und während RBB-Intendantin Patricia Schlesinger an einem strahlend schönen Herbsttag tief unterm welthistorisch bedeutenden Boulevard von Synergie und Senderhoheit spricht, verteilt ihr Sprecher eine Pressemitteilung der Konkurrenz. „Wir freuen uns, dass der RBB künftig regelmäßig aus unserem Hauptstadtstudio produziert“, lässt ZDF-Intendant Thomas Bellut wissen, lobt „gemeinsame Sparpotenziale“ und stellt Andreas Wunn als Teamleiter des eigenen MiMa vor, das im April vom Rhein an die Spree ziehen soll.

Die ARD als Kommunikationsdienstleister des Zweiten, das ihr Personal, Räume, Infrastruktur leiht: mehr Allianz war nie auf dem umkämpften Schlachtfeld des Nachrichtenwesens. Und weist somit in eine gar nicht ferne Zukunft jenseits der kostspieligen Doppelversorgung im gebührenfinanzierten Fernsehen. RBB-Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus jedenfalls erklärte bei der Präsentation des neuen Moderatoren-Duos im neuen Studio eines neuen Partners, die neue Kooperation könne, solle, ja müsse weiter Schule machen. Schließlich steht das duale System im dualen System nicht nur finanziell unter Druck.

Kritik kommt naturgemäß von den Privatsendern, die seit ihrer verfassungsrichterlich erwirkten Zulassung vor 36 Jahren den Wettbewerbsvorteil zweier Platzhirsche mit nur einem Staatsauftrag beklagen. Weniger naturgemäß, doch ebenso reflexhaft sind die Angriffe auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von rechts, dem man besonders in Bayern unverdrossen vorhält, ein „Rotfunk“ zu sein. Schon als sich die damals noch alleinunterhaltende ARD 1960 zusehends erdreistete, Adenauers Politik in Frage zu stellen, initiierte der Zentralist im Kanzleramt eine Art Bonner Staatskanal von Konrads Gnaden. Auch hier griff Karlsruhe zwar ein; auf den Trümmern der Deutschland-Fernsehen-GmbH entstand jedoch zwei Jahre später das ZDF.

Weil es freilich nie zum Regierungskanal wurde, den sich Konservative in der Hoffnung auf ewige Macht erträumt hatten, forderten sie bald das Gegenteil ihrer eigenen Initiative: eine Fusion des getrennten Zwillings ARZDF. Das ist trotz aller Versuche, die ARD zum Regionalfenster herabzustufen, zurzeit kaum durchsetzbar. Doch der Zwang zur Kostenreduktion wächst. Knapp 1,3 Milliarden Euro wollen beide Sender bis 2028 in Verwaltung, Betrieb oder Technik einsparen. Bei Ereignissen von Fußball-WM bis Olympia teilen sie ihre Infrastruktur bereits so konsequent, dass sich praktisch nur die Moderation noch spürbar unterscheidet. Im 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrag soll obendrein verankert werden, dass künftige Kooperationen nicht gegen Wettbewerbsrecht verstoßen. Nur eines blieb und bleibt unangetastet: Die Inhalte der 87 Fernseh- und Radioprogramme nebst 120 Online-Angeboten.

Und das gilt besonders beim letzten Alleinstellungsmerkmal der öffentlich-rechtlichen Daseinsberechtigung: der Informationskompetenz. Patricia Schlesingers MiMa mag ab sofort auf fremdem Terrain senden und ihren Etat so um einen „deutlichen sechsstelligen Betrag pro Jahr“ entlasten; optisch, ästhetisch, dramaturgisch vor allem bleibt vielleicht nicht alles beim Alten, aber strikt getrennt. Und wenn das ZDF-Studio U4102 alle zwei Wochen tagesschaublau, statt heuteorange leuchtet, wirkt es zwar farblich leicht deplatziert; atmosphärisch ist das Infotainment-Format, dessen Ursprung in die Wirren des Mauerfalls zurückreicht, künftig am perfekten Ort.

„Was stärker zur Geltung kommen dürfte als in München und Mainz“, erklärt der gestandene RBB-Reporter Sascha Hingst den Wechsel beider Mittagsmagazine in seine Heimatstadt, „ist der Fokus auf Berlin als politischer, gesellschaftlicher, kultureller Kristallisationspunkt“. In diese „Nachrichtenmaschine“ gehöre es hin, sekundiert seine Co-Moderatorin Jessy Wellmer und kontert den Verdacht des leichten Sofageplauders mit der klaren Kante vom „harten Kern, dem wir durch den Ortswechsel nochmals näher kommen“.

Anders als im Morgenmagazin wolle man ja nicht entspannt plaudern, sondern „verschiedene Standpunkte diskutieren“ und wenn es sein muss, „Politiker zu zweit in die Mangel nehmen“. Dafür bietet das ZDF den Nachrichtenprofis mit Ostbiografie das, was ihre Intendantin „Unterschlupf“ nennt. Schließlich sei das eigene Hauptstadtstudio heillos überfüllt und anzubauen ökonomisch unvermittelbar. In Zeiten des Spardiktats. Und der Synergien.

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