Seit einigen Jahren denken Landespolitiker in Deutschland darüber nach, die Werbung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen abzuschaffen. So hat die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft im vergangenen Jahr in Aussicht gestellt, dass ab 2015 die Menge der ausgestrahlten Werbung auf ARD und ZDF reduziert werden könnte, bis sie 2017 schließlich ganz aus dem Programm verschwindet.

Ziel der Initiative ist eine Schärfung des öffentlich-rechtlichen Profils: Die Sender sollen nicht auf Quote und Werbeeinnahmen schauen (so gering letztere auch in Relation zu den Gebührengeldern auch ausfallen), um sich von ihrem Programmangebot her stärker von der privaten Konkurrenz abzugrenzen. Der Grundgedanke dahinter ist der fest verwurzelte Glaube, dass sich eine programmliche Qualität, wie sie vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk gefordert wird, und ein Streben nach Popularität und kommerziellem Erfolg gegenseitig ausschließen.

Dass man diesem grundsätzlichen Problem des öffentlich-rechtlichen Fernsehens auch ganz anders begegnen kann, stellt in Großbritannien seit 30 Jahren Channel 4 unter Beweis. Der Sender hat sich insbesondere um die britische, aber auch um die internationale Filmkultur verdient gemacht: Er brachte Arthouse-Filme – von Buñuel über Kurosawa bis Fassbinder – auf die britischen Bildschirme. Daneben hat sich Channel 4 aber auch maßgeblich als Ko-Produzent zahlreicher preisgekrönter Spielfilme engagiert: Der Sender war an Wim Wenders' „Paris, Texas“ (1984) ebenso beteiligt wie an „Salaam Bombay!“ (1988), „The Crying Game“ (1992), „Kleine Morde unter Freunden“ (1994), „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ (1994), „Trainspotting“ (1996), „Ganz oder gar nicht“ (1997), „Buena Vista Social Club“ (1999), „The Straight Story“ (1999), „Dancer in the Dark“ (2000) – oder zuletzt „Die Eiserne Lady“ (2011).

Channel 4 hat US-Serien – in Großbritannien nicht unbedingt Quotengaranten – wie „Emergency Room“, „Die Sopranos“, „Lost“ und „Homeland“ auf die Insel geholt. Zugleich hat sich der Sender aber auch selbst mit gewagten und international viel beachteten Dramaserien wie „Queer as Folks“, „Shameless“, „Skins“ und „Misfits“ hervorgetan. Ricky Gervais („The Office“, „Extras“) dreht seine neue Comedyserie „Derek“ für Channel 4. Die Serie handelt von einer Gruppe gesellschaftlicher Außenseiter; Gervais selbst verkörpert darin einen Lernbehinderten, was nach der Ausstrahlung eines Backdoor-Piloten durchaus auch für öffentliche Kritik gesorgt hat. Doch genau das zeichnet die Herangehensweise von Channel 4 aus: Man will etwas wagen, Grenzbereiche austesten. Nicht umsonst heißt das bislang langlebigste Doku-Format des Senders „Cutting Edge“.

Das alles scheint Channel 4 als öffentlich-rechtlichen Sender erster Güte auszuweisen. Tatsächlich handelt es sich bei dem Kanal jedoch, um eine höchst unkonventionelle Mischform. Der Sender befindet sich zwar in öffentlichem Besitz und muss einen Programmauftrag erfüllen, wie er zuletzt im Communications Act von 2003 festgelegt worden ist. Dazu gehört an allererster Stelle eine Verpflichtung auf Innovation, Experimentierfreude und Kreativität, sowie eine Ausrichtung des Programms, welche die kulturelle Vielfalt der britischen Gesellschaft im Blick haben soll. Dazu zählt beispielsweise auch, dass Channel 4 ab dem 29. August die Paralympics übertragen wird. Gleichzeitig ist der Sender jedoch nicht gebührenfinanziert, sondern muss sein Budget überwiegend aus Werbung bestreiten. Anders als die private Konkurrenz von ITV steht Channel 4 nicht unter dem Druck, einen Gewinn erwirtschaften zu müssen. Er muss jedoch für die eigenen Kosten aufkommen.