Als Sebastian Pufpaff im vergangenen Sommer nach anderthalb Jahren, drei Staffeln und 118 Sendungen "Danke für die saucoole Zeit" sagte und seine Homeoffice-Show "Noch nicht Schicht" auf 3sat beendete, war das nach all den Strapazen nicht nur nachvollziehbar – sondern schien auch der richtige Zeitpunkt zu sein, um dem Kabarettisten und Entertainer endlich eine größere Bühne zu geben.

Aber wenn man gewusst hätte, wie das ausgeht, wäre so ein bisschen Homeoffice-Verlängerung auch keine schlechte Idee gewesen.

Seit November ist Pufpaff das Gesicht des wiedergekehrten "TV total" bei Pro Sieben. Und anstatt im Sakko mit Krawatte hinterm Schreibtisch zu sitzen und auf Papier notierte Gags zu Corona-Maßnahmen, schleppender Impfoffensive, bröckelndem Bildungssystem, Kompetenzniveau der Bundesregierung, Klimaschutzgesetz, Zustand der großen Volksparteien und Corona-Statistik-Chaos abzufeuern, steht Pufpaff jetzt im Sakko mit T-Shirt vor einem (anderen) Schreibtisch und liest Witze über TV-Unfälle von hastig hingehuddelten Pappen ab, die ihm hingehalten werden.

Raab-Cyborg mit sanft ergrautem Haupthaar

Das Studio ist größer, der Sendeplatz spitze, es gibt eine eigene Band und ein begeisterungsbereites Publikum. Trotzdem wirkt nichts an diesem Wechsel wie eine Beförderung. Eher im Gegenteil. Dabei war es Ende des vergangenen Jahres durchaus eine gelungene Überraschung, als ProSieben eine seiner bekanntesten Shows nach sechsjähriger Pause wieder zurück ins Programm holte. Und schon die Premiere ließ kaum Zweifel daran, dass man mit Pufpaff den richtigen Mann dafür gefunden hatte: einen mit sichtbarer Lust, sich in den Klassiker reinzuknien, um die Fans von damals mitzunehmen und gleichzeitig neue Akz… – ach, nee, Moment mal.

Das mit der Hoffnung auf neue Ideen scheint sich nach 21 "TV total"-Ausgaben weitgehend erledigt zu haben. Und Pufpaff agiert zunehmend so als hätte sich Showerfinder Raab als schlaksigeren Cyborg mit sanft ergrautem Haupthaar nachbauen lassen.

"Meine Damen und Herren, wir müssen reden: Was war das denn bitte für eine Oscar-Verleihung?", fragt Pufpaff sein Publikum in allerbester Raab-Manier, und dann: "Das müssen Sie sich angucken, Wahnsinn." – "Was war denn da bitte los bei Bayern München? Haben Sie das mitgekriegt?" – "Dann hab ich bei RTL was ganz Tolles entdeckt und zwar bei 'Punkt 12'." – "Was war denn das bitte für ein Einstand von Barbara Schöneberger bei 'Verstehen Sie Spaß?' Wer hat's im Fernsehen gesehen, mal kurz Hand hoch!" – "Beim MDR gibt's auch 'ne tolle Sendung, 'MDR um 4'." – "Wer guckt alles 'Germany's Next Topmodel?'" – "Ich weiß nicht, ob Sie's wussten, aber…"

Wahnsinnig stumpfer Humor

… aber es ist gar nicht mehr 1999! Und das, was man dem späten, zur Raab'schen Crosspromotionfläche für seine Primetime-Abenteuer degradierten "TV total" in der werktäglichen Late-Night-Variante noch aus Gewohnheit hat durchgehen lassen, reicht heute nicht mal mehr notdürftig, um daraus einen launigen 60-Minuten-Ritt durch die vergangene Fernsehwoche zu zelebrieren.

Naja, außer: man riskiert's halt mal.

Zur Kunst der Raab'schen TV-Gießerei gehörte es schon immer, aus eher wenig Inhalt viel Programm zu machen. Das funktionierte, weil "TV total" lange von der bewundernswerten Ausprobierlaune und dem Erfinderehrgeiz seines Moderators getragen war. (Bevor beide in andere Formate umgelenkt wurden.) Aber nach all dem, was in der Zwischenzeit so an kreativen, aufwändigen, verrückten Späßen durchs deutsche Fernsehen (und vor allem: ProSieben) gerauscht ist, wirkt der Humor von damals in der Neuauflage jetzt vor allem: wahnsinnig stumpf.

Das Format mag nie die Speerspitze der feingliedrigen Fernsehkritik gewesen sein, hat das ja auch gar nicht für sich in Anspruch genommen – Show und Moderator trafen einfach den Nerv der Zeit. Rezept und Zutaten sind immer noch dieselben. Doch der Zaubertrank von früher schmeckt (um den "TV total"-Gag-Kosmos an dieser Stelle nicht zu verlassen) inzwischen eher nach abgestandener Wurstbrühe.

"Pad Britt", "Fotzn", höhöhöhö

Bei "Volle Kanne" sagt die Moderatorin: "Verschleiß an den Geschl… Gelenken!" – und Pufpaff schüttelt sich: "Höhöhöhö, Sie haben's auch gehört? Oder sind's meine Ohren?" – Irgendwer sagt irgendwo "Pad Britt" statt Brad Pitt – "höhöhöhö, wer kennt ihn nicht, den Erfinder des Britt-Stifts?" – Auf bayerisch heißt Ohrfeige "Fotzn" – "höhöhöhö, ich will bloß, dass so viele Leute wie möglich 'Fotzn' im Fernsehen sagen." – Und bei "Love Island" fragt Puffis Lieblingskandidat Adriano eine weinende Mitbewerberin: "Hast du getränt?" – "höhöhöhö, nimm das, Duden".

Geht aber auch gut ohne Abschluss-Witz: Die künftige saarländische Ministepräsidentin sieht aus wie Herr von Bödefeld aus der "Sesamstraße" – höhöhöhö. Die "DSDS"-Jurorin kommt zu dem ausdifferenzierten Urteil: "Ziemlichganzgutnichtgut" – höhöhöhö. Moderatorin und Korrespondentin bei der "Tagesschau" haben fast das gleiche an – höhöhöhö. Der Bachelor sagt am laufenden Band "cool" – höhöhöhö. Im "Moma" trägt eine Interviewparterin eine Kette mit einem zu großen Frosch um den Hals – höhöhöhö. Im WDR fasst ein Tierarzt Bockhoden an – höhöhöhö. Ingo Zamperoni begrüßt "einen der ganz Großen im Energiegeschäft", obwohl sein "Tagesthemen"-Gast viel kleiner ist als er – höhöhöhö. Sasha hat einen schlecht sitzenden Anzug an – höhöhöhö. Im "ZDF Spezial" wird ein Generalleutnant von der Moderatorin versehentlich zum Oberst befördert und rollt deshalb lustig mit den Augen – höhöhöhö. (Und dann nochmal in Slowmotion, und ein drittes Mal mit hinzu gefügtem Soundeffekt.)

Es sind Gags, die von den Redaktionen fast jeder anderen Sendung im deutschen Fernsehen verschämt in die Tonne geworfen würden, weil sie zu naheliegend, zu simpel, zu billig sind. Bei "TV total" wird daraus selbstbewusst ein Dreißigminuten-Stand-up.

Der Weg des geringsten Pointenwiderstands

Und demselben Mann, der seinem Publikum bei 3sat den ganzen Corona-Wahnsinn und dessen Begleiterscheinungen anderthalb Jahre mit unumwundener Schärfe und gleichzeitiger Heiterkeit eingeordnet hat, ist es plötzlich nicht zu blöd, sich bei ProSieben in die neugebaute Backsteinkulisse zu stellen und die allerplattesten China-Gags zu machen. Die "offiziellen Bilder von der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking" entpuppen sich als Youtube-Videoausschnitt des Tank Man, der sich 1989 beim Tian'anmen-Massaker alleine vor einen Konvoi von Panzern stellte. Wenn drei asiatisch aussehende Herrschaften in Anzügen als Aufpasser auf die "TV total"-Bühne kommen, wird zur Besänftigung die "chinesische Nationalhmyne" angestimmt: "Drei Chinesen mit dem Kontrabass." Und, Spezial-Tipp vom Moderator: Beim China-Urlaub "Finger weg vom Fledermaus-Sushi!"

Es ist, wie beim Original, fast immer der Weg des geringsten Pointenwiderstands, der als parodistische Kommentierung durchgehen muss.

Kandidatin Linda aus "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!" sagt, sie könne nicht Kanzlerin werden, weil sie mal im "Playboy" war? Was hat denn dann Olaf Scholz' schlecht montierter Kopf auf diesem nackten Frauenkörper zu suchen, höhöhöhö?

Auch die allerschiefesten Vergleiche werden noch für sendetauglich befunden, also ist Will Smith wegen seines Oscar-Aussetzers "der Putin Hollywoods", die SPD-Alleinregierung im Saarland "das Nordkorea Deutschlands" und die Olympischen Spiele "'Squid Game' auf Chinesisch".

Die Doofen auf der Straße

Selbst die zweieinhalb Sekunden Totenstille im Studio nach einem Rohkrepierer ("Für die einen ist es Botox – für die anderen der einzigste Gesichtsausdruck der Welt") sind noch dieselben wie früher. Ist Pufpaff geistesgegenwärtig genug, springt er schleunigst zum Nippel-Board und bettelt um einen Tarnlacher. Falls nicht, ist das Publikum "medikamentös nicht richtig eingestellt".

"TV total" mag nicht so lange vom Bildschirm verschwunden gewesen sein wie einige der Formate, die von den Sendern jetzt aus nostalgischer Verzweiflung wieder hervorgekramt werden – aber das Fernsehen ist heute trotzdem ein anderes als damals. Und da reicht es halt nicht, beim "Pressepsrecher" vom Boxpromoter von Felix Sturm anzurufen, weil der online seinen Jobtitel aus Versehen falsch buchstabiert hat. In der Redaktion von Raab TV scheint man sich entschlossen zu haben, das weitgehend zu ignorieren, den Finger in die Ohren zu stecken und "Nananananana" zu rufen, damit sich niemand unnötig zu verausgaben hat. Dankbarerweise stehen ja weiter allerlei einfache Gegner zur Verfügung.

"Es gibt immer noch Astro TV!", ruft Pufpaff verzückt, bevor im ausgesuchten Ausschnitt irgendein irrer Neuzeitschamane zur "anonymen Runde" aufruft und seine erste Anruferin mit "Hallo Monika" begrüßt.

Die Doofen auf der Straße werden gefühlt ja auch eher mehr als weniger, deshalb: "TV total Straßenumfrage"! Damit nachher alle wissen: "Beethoven war ein sehr berühmter Komponent." – "Mozart verwechsel' ich immer mit dem Amadeus." – Und das berühmte Bild vom Letzten Abendmahl hat doch dieser "Leonardo di Caprio" gemalt.

Archiv-Schnipsel bis zur nächsten Werbepause

Besonders schöhöhöne Sätze – im WDR sagt jemand: "Man heiratet ja nur einmal im Jahr" und Manni Ludolf erklärt in seinem YouTube-Koch-Channel: "Salz gibt das Pfeffer in die Speise rein" – werden auf Schilder geprägt und im Studio aufgehängt.

Und wenn die in Köln fürs Fernsehen bezahlten Studierenden alle schon im Osterurlaub sind, sendet man wie in der zurückliegenden Woche notfalls halt uralte Schnipsel aus der Vox-Datingshow "First Dates", die als Rubrik "TV total vergisst nicht" verkleidet werden.

Den lästigen Teil, in dem man schlecht vorbereitet Gäste empfängt, lässt man notfalls ganz weg – oder zieht ihn wirklich genauso durch wie einst Raab. Vom ins Studio geladenen Adriano aus "Love Island" hatte sich Pufpaff diese Woche den falschen Geburtstag und den falschen Wohnort gemerkt, bevor er wissen wollte, wie die Anreise war, warum er Single ist und dann keine Zeit mehr für das angekündigte Quiz blieb. Und Harald Glööckler kam neulich zum "GNTM"-gemäßen Puffi-Umstyling vorbei, wahsrcheinlich weil sich dann niemand auf ein mögliches Gespräch vorbereiten musste.

Es war einmal: Deutscher Bundesbewegtbildpreis

Selbst wenn "der König der Mittwochabendunterhaltung" (O-Ton lustige "TV total"-Stimme) mal nicht von Pappen ablesen muss, sondern nach draußen drängt, wirkt das oft so, als sei es noch hastig am Tag der Aufzeichnung ausgedacht und umgesetzt worden. Die Lebenshaltungskosten steigen? "Wir sorgen für gute Laune", verspricht der Moderator im Glitzersakko mit Blaskapelle, Konfettikanone und Glücksrad bei "Tanken total" an einer Kölner Tankstelle, wo die Mitspielenden ihre Tankfüllung oder ein Kilo Mehl gewinnen konnten. (Fertig.)

Und weil das so schön easy war, erklärte Pufpaff in der Woche drauf: "Schlechte Laune durch steigende Lebensmittelpreise? Nicht mit uns!" Dank "Einkaufen total" vor einem Kölner Supermarkt mit Schnickschnackschnuck, Dosenwerfen, Gurkenbalancieren.

Selbst der kurzzeitig als "Deutscher Bundesbewegtbildpreis" (bzw. natürlich: "D.B.B.B.P.") wieder auferstandene "Raab der Woche", der ja tatsächlich ein Highlight sein könnte, war offensichtlich mit zuviel Aufwand verbunden, um ihn regelmäßig in die Show einzubauen. Eine Nominierten-Auswahl gibt's schon länger nicht mehr – im Zweifel wird halt irgendwer eingeladen. Im Februar war mal Maja Weber von "heute Xpress" zu Gast, weil die beim Tschüß-Sagen immer die eine Augenbraue hochzieht (höhöhöhö), die Heavytones spielten zum Empfang – Sie haben's geahnt: – die "Biene Maja"-Titelmelodie und bevor Weber ihren Preis in die Hand gedrückt bekommen konnte, war schon wieder Werbung und Weber danach einfach nicht mehr da.

Blöd, aber: Isso

So sehr "TV total" auch Erinnerungen an eine Zeit zu wecken vermag, die aus heutiger Sicht unkomplizierter gewesen sein mag als die jetzige: Das reicht so alles nicht mehr. Vorne nicht. Und hinten, um den sprichwörtlichen Bock bei seinen Hohohoden zu packen, schon gar nicht.

Das tut mir in erster Linie ganz wahninnig leid für Sebastian Pufpaff, der (wahrscheinlich) so viel mehr könnte als in einer Tour Kuriositäten, Äußerlichkeiten und Versprecher wegzulachen, die zuvor mal mehr, und oft eher weniger mühsam aus dem Programm der zurückliegenden Tage herausgeklaubt wurden, damit sie irgendwann mal auf einer Best-of-DVD landen, die auch im Jahr 2022 noch das per Bauchbinde beworbene "TV total"-Trägermedium Nummer eins ist. Aber: Isso.

"Und jetzt machen wir den Sack einfach mal zu", hat Pufpaff vergangenes Jahr am Ende von "Noch nicht Schicht" gesagt. Und ich hoffe wirklich sehr, dass besagter Sack auf dem Mainzer Lerchenberg irgendwo im Archiv eingelagert ist, falls er demnächst nochmal gebraucht wird. Boomschakalakaufwiedersehen.

Und damit: zurück nach Köln.

"TV total" läuft mittwochs um 20.15 Uhr bei ProSieben und auf Joyn.