Deutsche Palliativmediziner sind sich sicher: Niemand muss Schmerzen erleiden. Man kann jeden Schmerz beseitigen oder wenigstens stark dämpfen. Wenn dem tatsächlich so sein sollte, frage ich mich, was mein persönlicher Palliativheini momentan freitags macht. So gegen 22.30 Uhr, wenn ich vor dem vom ZDF mit der Sendung „Durchgedreht“ gefütterten Flatscreen hocke und derart leide, dass ich rasch der Meinung bin, dass es in der Genfer Konvention dafür irgendeinen Paragraphen geben müsste. Für Golf ist es schon zu spät, um diese Zeit dämmert es bereits heftig, also muss mein Arzt irgendetwas anderes machen, auf jeden Fall ist er nicht bei mir.



Nun komme mir bitte keine jener Gestalten in die Quere, die mit ihren Kommentaren den Eindruck erwecken, sie würden morgens in der Keramik die Korinthen zählen. Ja, ich könnte abschalten. Weiß ich. Ich tue es aber nicht, weil auf dem Bildschirm eine Person meines Vertrauens anwesend ist: Jörg Thadeusz. Den kenne ich, seit er in der Kölner Kaderschmiede 1Live erste Sprechversuche veranstaltet hat. Ich habe sogar eines seiner Bücher gelesen und mich leidlich amüsiert. Ich habe ihn getroffen und seinen Humor schätzen gelernt. Ich kann sein Heiratsschwindlerlächeln deuten und seine Mobilfunkvertragsverkäuferverbindlichkeit als rhetorischen Trick dechiffrieren. Kurzum: Ich mag den Mann.

Und dann das. Hat der werte Herr Thadeusz niemanden, der ihm sagt, dass das, was er da seit ein paar Wochen im ZDF tut, seiner unwürdig ist? Steht es so schlecht um ihn, dass er alles annehmen muss? Ist die von mir an ihm so sehr geschätzte Spitzfindigkeit derart verkümmert, dass er nicht ahnen konnte, auf welch blödes Spiel er sich da einlässt?

Wer hat ihm gesagt, dass es eine gute Idee ist, wenn man fünf Komödianten zu aktuellen Nachrichten improvisieren lässt? Ja, ich weiß, es sind bei der Sendung viele dabei, die hinter den Kulissen auch bei der „Heute Show“ mitmischen. Das aber sollte niemanden von der Pflicht entheben, ein Konzept vorher durchzulesen und sich auszumalen, was in solch einer Sendung wohl passieren könnte. Spätestens nach drei Sekunden müsste es bei Herrn Thadeusz doch geklingelt haben, müsste er gemerkt haben, dass da genau jene Situationen herauskommen, die Partys nach mitternächtlicher Druckbetankung so unerträglich machen. Irgendwer albert herum, und alle lachen, weil sie meinen, das gehörte dazu. Sie haben Angst, dass sie sonst selbst in den Mittelpunkt geraten und zum Gespött werden. Da sollen sich doch lieber die anderen zum Horst machen, der Bernhard, der Max, der Sascha. 

Herr Thadeusz muss selbst nicht albern sein. Er steht nur an seinem Moderatorenpult und vergibt die Aufgaben. Leider muss er auch so tun, als finde er es lustig, wenn Philipp Rösler zum 367. Mal auf den kleinen Vietnamesen reduziert wird, wenn Thomas de Maizière in ein Pilcher-Cornwall-Ambiente gerät, wenn mal wieder der Sendung-mit-der-Maus-Stil als Lustig-Gefährt missbraucht wird.

Da hilft es dann auch nicht, wenn im Sendungstitel das erste e umgedreht wird, um zu signalisieren, dass hier lauter voll crazy People am Start sind. Aber „Durchgedreht“ hat nichts von Kuckucksnest, das ist allenfalls wirres Zeug auf dem Stand einer durchschnittlichen Rundfunkratssitzung. Ehrlich gesagt könnte ich niemals so viel trinken, dass ich auch nur einen Mundwinkel ansatzweise aus der Merkel-Position herausbrächte. Eher würde ich Matze Knop und Waldemar Hartmann lustig finden, aber ich will nicht zynisch werden und auf Randbegabungen herumhacken.

Zumal ich angesichts des Gesichtsausdrucks von Jörg Thadeusz in diesem Sendung gewordenen Machwerk etwas herausgefunden habe. Ich weiß jetzt, wo mein zuständiger Palliativmediziner steckt. Er arbeitet beim ZDF und sediert zwangsweise den Moderator von „Durchgedreht“. Anders ist das alles nicht zu erklären.

Ich habe aufgrund dieser Erkenntnis ganz genau hingeschaut und Herrn Thadeusz tief in die Augen geblickt, und ich meine, ich hätte da etwas gesehen, einen kurzen Blitzer der Verzweiflung, der einen Hilfeschrei an den gewittrigen Himmel warf. „Ich bin Gefangener des ZDF“ stand da zu lesen.

Halten Sie aus, Herr Thadeusz. Noch eine Sendung, und die lassen Sie wieder frei, weil die Zuschauer das Quoten-Lösegeld nicht bezahlt haben. Dann können Sie wieder Sie selbst sein. Und ich werde meine Schmerzen los.