Es gibt ja in der ARD-Mediathek neuerdings eine Rubrik, die trägt den Titel „Must see - Was die Redaktion schaut“. Das soll ganz offensichtlich menscheln, soll mir als User klarmachen, dass da keine Algorithmen am Werk sind, die mir was vorschlagen, sondern dass da Menschen sitzen, die von erhabenem Geist sind, die das Große im Blick haben und das Ganze dann gleich auch noch. „Hallo, hier wird nachgedacht“, lautet die Botschaft, die im nicht geschriebenen Subtext mitgeliefert wird. Das schafft Vertrauen, schüchtert aber auch ein wenig ein, denn die Auswahl der Redaktion ist eine derart düstere, dass ich zwischenzeitlich begonnen habe, mir Sorgen zu machen.

Ich frage mich dann, was da für Menschen sitzen, was die wohl privat so tun, wenn sie den ganzen Tag mit Fernsehen zu tun haben. Glotzen die manchmal auch privat einfach so vor sich hin? Oder sind sie immer superernsthaft unterwegs? Zappen sie mit der Fernbedienung lustvoll durch die Gegend und schalten gnadenlos weiter, wenn ihnen was nicht passt? Auch schon nach Sekunden? Oder bleiben sie bei jeder Sendung wach bis zum Abspann?

Ich weiß, es ist ungerecht, Menschen nur nach ihrer Arbeit einzuschätzen. Ich beispielsweise bin privat sehr nett. Sagt mir zwar keiner. Weiß ich aber.

Ich glaube auch, dass die Redaktion der ARD-Mediathek sehr nett ist. Bestimmt. Ich glaube, dass da sehr gute Menschen sitzen. So welche könnte ich mir als Nachbarn vorstellen. Oder vielleicht doch besser nicht?

Ich hätte ein bisschen Angst, dass ich mich eines Tages um sie kümmern muss, weil sie beruflich ständig in Abgründe schauen und dann Tabletten nehmen müssen, um ihren Alltag wenigstens ein bisschen aufzuhellen.

Nehmen wir nur mal die Auswahl vom Freitag. Da bietet die Redaktion 16 Beiträge als „Must see“ an. Tolle Sachen sind dabei wie etwa der sehr feine Christiane-Paul-Film „Unterm Radar“, für den sie einen Emmy bekommen hat. Ich glaube der Redaktion unbesehen, dass der wichtig ist, dass auch alle anderen Beiträge gut und wichtig sind.

Was mir ein bisschen Sorgen bereitet, ist indes das, was da an Kurztexten der Erklärung dienen soll. Die Texte lesen sich nämlich wie Beipackzettel, auf denen vor Nebenwirkungen gewarnt wird. Erschreckend, erschütternd, unfassbar, lebensgefährlich und dubios sind die Auszeichnungen, die mich in ihrer Massierung ein wenig einschüchtern. Will ich mir das alles antun, all das, was erschreckend, erschütternd, unfassbar, lebensgefährlich und dubios ist?

Es geht um Flucht, Demenz, Finanzgeschäfte, Eskalation, Gestrandete und Terror. Das alles sind wichtige Themen, zweifelsohne, aber in mir keimt ein wenig der Verdacht, dass es daneben noch eine andere Welt gibt, dass Fernsehen nicht nur dann gut ist, wenn es das ganz große Problemrad dreht.

Vielleicht bin ich aber auch nur vom Privatfernsehen verseucht und habe es daher gern, wenn mir zu einem Problem wenigstens ein Hauch von Lösung geliefert wird. Siehe „Club der roten Bänder“.

Auf jeden Fall nicht so wie beim Ken-Loach-Film „Ich, Daniel Blake“. Den habe ich am Sonntag im Kino gesehen und habe mitgelitten, als die Titelfigur unter die Räder der Arbeitsamtsmühle kam. Am Ende lag der arme Mann tot in der Toilette, das böse System hatte ihn dahingerafft.

Mich aber auch, denn mir blieb die Erlösung versperrt. Ich wusste vorher, dass die Verhältnisse so sind, dass manche Menschen in einem unmenschlichen Apparat unter die Räder kommen. Leider verweigerte mir der Regisseur jede Form von Befreiung. Er schickte mich aus dem Kino mit demselben Wissen, über das ich schon vorher verfügte, nur dass ich hinterher stundenlang schlechte Laune hatte. Ich fühlte mich in keiner Weise bemüßigt, mich irgendwo gegen seelenlose Arbeitsämter zu engagieren. Das wäre ja noch ein guter Effekt gewesen. Nein, ich hatte einfach nur schlechte Laune. Und ich hatte für diese schlechte Laune auch noch Geld bezahlt.

Daran habe ich mich erinnert, als ich am Freitag die Auswahl der ARD-Mediathek-Redaktion erblickte. Ich fühlte mich auf der Stelle solidarisch mit diesen Menschen und fragte mich, wie viel Leid sie über den Tag hinnehmen müssen, wenn sie mir so eine anspruchsvolle, aber letztlich doch tendenziell zur Depression verführende Auswahl vorlegen.

Gibt es denn im großen ARD-Kosmos nichts, was diese Redaktion mal zu einem Lächeln bewegen könnte und was gleichzeitig zu empfehlen wäre?

„Wir lieben spannende Filme, knallharte Dokumentationen und tiefgründige Reportagen“, schreibt die Auswahlkommission. Das respektiere ich mit vollem Herzen. Mist gibt es genug da draußen, aber lachen oder wenigstens mal grinsen oder lächeln darf man vielleicht doch schon mal, oder?

Ich meine das nur mal als Anstoß. Kann man nicht darauf achten, dass man unter „Must see“ auch mal was bietet, was mich nicht gleich in Seelenpein stürzt?

Oder ist es so, dass in der ARD die lustigen und die leichten Sachen nicht taugen zur Aufnahme in ein „Must see“-Sanatorium? Sollte dem so sein, könnte es ja ein Ansporn sein, mal so gut zu werden, dass man bei „Must see“ landet. „Must see“ wäre dann der neue ARD-interne Grimme Preis. Vielleicht mal drüber nachdenken.