Manchmal merken sie ja doch noch was im WDR. Dauert aber. Wie immer. Ich bin das gewohnt, dass die öffentlich-rechtlichen Apparate schwergängig sind und halt ihre Zeit brauchen, bis sie ins Mahlen kommen. Sehr schön kann man das demonstrieren am Beispiel der WDR-Kultursendung „WestArt live“.

Als die im April 2016 noch „Westart“ hieß und einmal die Woche ein relativ orientierungslos dahinwaberndes Kulturmischmasch auf den Sender kippte, gab es zu meiner Überraschung einen Moment von großer Klarheit. Auf einmal stand nämlich Siham El-Maimouni im Studio, wo sich sonst Matthias Bongard als Kulturschluffi vom Dienst stets einen Hauch zu lässig inszenierte.

Anstatt des WDR-Urgesteins sprach da plötzlich diese junge Frau aus Duisburg, die gerade ihren 31. Geburtstag gefeiert hatte. El-Maimouni sprach sehr klar und strahlte just jene Souveränität aus, die man braucht, wenn man sich dem Zuschauer andienen möchte als Führer durch den Kulturdschungel. Auf einmal machte mir „Westart“ Spaß, war die Sendung der Platz, an dem ich gerne versorgt werden wollte mit Neuem.

Danach geschah, was beim WDR so oft passiert: nichts. So überraschend wie Siham El-Maimouni auf dem Sender erschienen war, verschwand sie auch wieder. Das war sehr schade, weil da eine Chance vergeben wurde, aus einem Schnarchmagazin eine Hallo-Wach-Sendung zu machen.

Aber beim WDR war man sehr offensichtlich zu beschäftigt und vergaß, die im eigenen Haus vorhandenen Qualitäten zu nutzen. Schließlich galt es, Anfang Mai den Titel der Sendung mit dem Anhängsel „live“ zu veredeln und ein neues Konzept auszuprobieren.

Hoffnung für Siham El-Maimouni keimte dann bei mir, als ich hörte, dass die Sendung ab September 2016 nicht mehr von Bongard allein moderiert werden würde. Da dachte ich: Jau, sie haben es kapiert: Jetzt kommt Siham El-Maimouni. Sie kam nicht. Ich dachte: Ach, WDR!

Stattdessen kam Thomas Hermanns. Der ist ein netter Kerl, aber seine Kulturpräsentation zeichnet sich doch eher durch einen starken Hang zur Selbstinszenierung und den kleinen Hauch zuviel von Champagner-Kultur aus. Das muss man mögen. Mein Ding ist das nicht so sehr. 

Ich fand es schade, weil ich dachte: Und wieder funktioniert der WDR wie immer. Wieder bestätigt er alle Vorurteile.

Das änderte sich am Freitag. Da tickerte aus der Anstalt plötzlich die Meldung, dass Siham El-Maimouni nun doch auf Sendung darf. Zehnmal im Jahr darf sie „Westart live“ moderieren. Der Platzhirsch bleibt allerdings Thomas Hermanns.

Das ist keine perfekte Lösung, aber das signalisiert immerhin die Wende zum Besseren. Das wird. Davon bin ich fest überzeugt. 

Davon muss eigentlich jeder überzeugt sein, der Siham El-Maimouni einmal erlebt hat. Bei Cosmo, dem einstigen Funkhaus Europa, moderiert sie und ist auch in diversen anderen Bereichen beim WDR aktiv. 

Dass sie mal beim Fernsehen landen würde, war der jungen Siham nicht in die Wiege gelegt. Ihre Eltern, die aus Marokko stammen, achteten peinlich genau darauf, dass die Kinder etwas Ordentliches lernten. „Kein Kabelanschluss, bis alle Abi haben“, sagte der Vater und zwang die Tochter so, ihren Privatsender-Hunger bei Freunden zu stillen.

Es gab klare Regeln in der Familie. „Zuhause rumsitzen und sich selbst finden, war nicht“, berichtet Siham El-Maimouni von daheim. Das passt zu ihr, weil die Wahldüsseldorferin keine ist, die allzu lange umherirrt. Sie packt die Dinge an, sie will machen, und sie macht.

Sie hat sogar ein Volontariat beim Lokalsender Antenne Düsseldorf überstanden, ohne jemals den dusseligen Claim vom besten Mix auszusprechen. Sie hat klargemacht, dass sie Grenzen zieht, und dass man diese Grenzen besser nicht überschreitet. Im Gegenzug durfte sie einiges lernen übers Radio und landete, weil ihr die Opamusik beim Lokalfunk stank, rasch beim Baden-Badener Jugendprojekt „Das Ding“. 

Vor zwei Jahren wurde sie beim deutschen Radiopreis als beste Moderatorin Deutschlands ausgezeichnet und fiel schon wieder auf, weil sie in einem auffälligen „Refugees Welcome“-Pulli aus dem Fanshop der Band „Deichkind“ nach vorne kam. Wenn sie schon irgendwo hingeht, wo es ein bisschen steif zugeht, dann will sie wirken. Wenigstens.

Das ist das Schöne an Siham El-Maimouni. Sie will wirken, und sie wirkt. Sie formuliert frei nach Schnauze, und ihre Sätze stehen so nicht immer im Lehrbuch der Sender. Sie kommen vielmehr direkt aus ihr heraus, denn sie ist selbst Teil ihrer eigenen Zielgruppe. Sie bedient nicht, sie ist keine aus der Judith-Rakers-Klasse, und gerade das macht sie so herausragend. Sie ist keine, die sich vorstellt, was irgendwelche Redakteure gerne hören würden, und dann genau das sagt. Ihr sind die anderen letztlich egal. Die sollen gefälligst das nehmen, was sie aus sich heraus sagt. Und wenn sie das nicht wollen, dann kann sie auch wieder gehen.

Es ist die Unabhängigkeit, die diese Frau so stark und beeindruckend macht. Sie ist eine von jenen, die das Zeug haben, das deutsche Fernsehen besser werden zu lassen.

Ich weiß, dass das verdammt viele Vorschusslorbeeren sind, die ich hier auslege, aber ich war mir schon lange nicht mehr so sicher in der Bewertung einer Person.

Vielleicht scheitert Siham El-Maimouni, wenn sie am Montag zum ersten Mal „Westart live“ moderiert, vielleicht ist sie trotz all ihrer Souveränität zu aufgeregt und verstolpert sich. Mag sein. Ich würde trotzdem nichts von meiner Einschätzung zurücknehmen. Scheitert sie, scheitere ich mit und bin als hemmungsloser Übertreiber entlarvt. Mir doch egal. Die Frau ist es wert. Sie ist gut fürs deutsche Fernsehen.