Wir Fernsehkritiker sind komplett überflüssig. Niemand braucht uns. Niemand hört auf uns. Im Prinzip können wir uns die Kugel geben. Am besten kollektiv vor laufender Kamera. Dann hat es ein Ende, garniert mit den Worten „Wir scheiden aus diesem Kritikerleben, weil den Leuten komplett wurscht ist, was wir schreiben.“

Ja, das klingt weinerlich, aber auch ein Kritiker darf ab und an Gefühle haben. Und manchmal wird es einfach zu viel. Gerade in der vergangenen Woche wurde es uns mal wieder vor Augen geführt, wie nichtsnutzig wir sind. Ich beispielsweise schrieb einen Text über die ARD-Serie „Charité“, in dem ich aufzählte, was an dieser Produktion alles nicht stimmt. Es war ein längerer Text, und die Mängel waren etliche.

Ich war nicht allein mit dieser Meinung. Ich schaute mich auch bei ernstzunehmenden Kollegen um, was die denn so über die Serie verfasst hatten. Ich fand keine Jubelarien, stattdessen viele Texte, die genau wie ich das riesige Verbesserungspotential bemerkt hatten. Freundliche Anerkennung für den getriebenen Aufwand war das höchste an Begeisterung, das ich finden konnte. Um es mal auf den Punkt zu bringen: All zu viele Fans unter Kritikern hat die Serie nicht.

Dafür aber unter Zuschauern. Über acht Millionen sahen die ersten beiden Folgen und katapultierten die „Charité“ in „Tatort“-Dimensionen. An einem Dienstagabend. Chapeau! Das muss man erst einmal hinkriegen, von den Kritikern in die Pfanne gehauen zu werden und dann aus ebendieser wie ein Phoenix in den Quotenhimmel aufzusteigen.

Das hat mich für die Macher gefreut, mir aber trotzdem ein sehr schlechtes Gefühl bereitet. Ich stellte mir die Frage, ob ich denn keine Ahnung von gar nichts habe, wenn ich derart danebenliege.

Verstärkt wurde mein Schmerz noch, weil am selben Abend die Christian-Ulmen-Serie „Jerks“ zu Ende ging. Die hatte ich gemeinsam mit mehreren hochrangigen Kollegen in allerhöchste Höhen gelobt und schon im ersten Quartal quasi zur Serie des Jahres geadelt. Und nun liefen bei Pro Sieben die letzten Folgen, und die Zuschauer bestraften dieses Goldstück mit Verachtung. Auf nur noch 310.000 Zuschauer brachte es die letzte, die, wie ich nach wie vor finde, beste Folge. Natürlich hat ProSieben da mit der Programmierung Fehler gemacht. Ohnehin war es ein Fehler, eine Serie aus dem Bezahlkanal Maxdome so schnell ins Free-TV zu holen. Aber damit lassen sich die katastrophalen Werte nicht erklären.

Es muss da eine Verschwörung geben. Es gibt, da bin ich mir inzwischen sicher, geheime Kräfte, die einer Serie, die ich verreiße, die allerbesten Quoten zuschanzen und meine Lieblinge in den Abgrund stürzen. Wahrscheinlich die Illuminati, oder die Regierung per Chemtrail. Was weiß ich. Schönen Dank auch, Frau Merkel.

Oder nehmen wir die Amazon-Serie von Matthias Schweighöfer. Die hat von den meisten Kritikerkollegen richtig Kloppe gekriegt. Von mir nicht. Nicht weil ich sie gut fand. Ich hatte sie einfach nur nicht gesehen, hatte keinen Auftrag, mir über sie eine Meinung zu bilden. Man kann halt nicht über alles schreiben. Natürlich waren im breiten Spektrum der Vorabrezensionen auch ein paar anerkennende Kritiken dabei, aber es überwogen doch die Verrisse. Das machte mich neugierig, und ich wollte selbst sehen, was das für ein Mist ist. Um es kurz zu sagen: Ich bin schon während der ersten Folge eingeschlafen. Sooooooo langweilig und vorhersehbar. Da hatten die Kollegen aber 1000-prozentig recht.

Was passiert also? Nein, keine Mörderquote, ist ja Amazon. Aber dann kam tatsächlich die Meldung, dass die Serie fortgesetzt wird. Wegen der tollen Resonanz, oder so. Plötzlich blutete meine Lippe, weil ich so fest draufgebissen hatte. Ich zweifelte. Wie passte das zu meiner Verschwörungstheorie? Ich hatte doch noch gar nichts geschrieben. Sind die Chemtrails stärker als ich annahm?

Ich habe dann mit ein paar Kollegen telefoniert, und wir haben gemeinsam ein bisschen geweint. Wir Nichtsnutze. Im Gespräch mit den Kollegen erinnerte ich mich aber auch daran, dass das Phänomen nichts Neues ist. Vor Jahren schon bekam ich am Tag nach der Premiere einer von mir in Grund und Boden verdammten Produktion eine SMS von einem Sendergewaltigen. „Hoff verreißt, Quote Top“, hieß es da mit nicht nur klammheimlicher Freude. Ich verstand: Wenn ich etwas gut finde, schalten alle Signale auf Alarm. Ich überlegte kurz, ob ich daraus ein Geschäftsmodell entwickeln könnte. Ich verkaufe Sendern Verrisse, damit die Quote gut ist.

Die Kollegen und ich haben dann aber einfach nur trotzig beschlossen, uns nicht kleinkriegen zu lassen. Wir machen doch weiter. Wir erschießen uns nicht. Wäre doch noch schöner, wenn uns die profane Realität des Publikumsgeschmacks zu Boden würfe. Nicht mit uns. Wir ziehen uns zurück in den medialen Sherwood Forest und schießen von dort weiter unsere Pfeile. Und die Spitzen tauchen wir in ganz böses Gift. Der Kampf ist noch nicht zu Ende. Venceremos.