Herzlichen Glückwunsch zum doppelten Grimme-Preis. Fürs "Neo Magazin" ist es bereits der vierte. Kehrt da inzwischen so etwas wie Routine ein?

Philipp Käßbohrer: Wir haben ein festes Reiseunternehmen, das unser Team mit einem Partybus nach Marl und, viel wichtiger, auch wieder von Marl weg bringt. Außerdem hat die Erstellung der Dankesanzeige fürs Grimme-Magazin inzwischen eine eigene Projektnummer. Ansonsten freuen wir uns jedes Mal wie beim ersten Mal.

Auch "Kroymann" wird in diesem Jahr ausgezeichnet. Warum muss eigentlich erst eine junge Produktionsfirma kommen, um eine derart reife Sketchcomedy zu machen?

Matthias Murmann: Das liegt ja nicht alleine an uns. Kroymann ist ein fernsehgewordenes Mehrgenerationenhaus. Die Themen, Ideen und Formen entstehen in einem Autorenraum dessen Altersstruktur sich zwischen 21 und 69 Jahren bewegt. Im Idealfall entstehen so Inhalte die sowohl für junge als auch für alte Menschen relevant sind. Wie ein Ravensburger-Puzzle. Maren ist für uns inzwischen das liebgewonnene Oberhaupt einer etwas eigenartigen Patchwork-Familie.

Wie schwierig ist es, sich dauerhaft für den Zeitgeist zu interessieren?

Käßbohrer: Relevanz ist für uns ein entscheidender Faktor – egal ob es sich nun um unterhaltsame oder ernste Themen handelt. Zum Glück sind wir nach wie vor relativ nah dran am sogenannten Zeitgeist. Unsere Mitarbeiter sind im Schnitt knapp unter 30. Wir schöpfen also noch immer sehr viel aus uns selbst und dem eigenen Umfeld. Trotzdem muss man sich natürlich immer mehr anlesen. Übrigens nicht nur inhaltlich. Auch formell passieren ständig neue Sachen. Es reicht nicht, einmal auf einer Filmhochschule gewesen zu sein. Man muss die Augen nach neuen Erzählformen und Technologien offen halten. Die traditionelle Form des Ansagers zum Beispiel, die ja im Fernsehen zwischendurch mal völlig verschwunden war, hat durch das Internet eine Reinkarnation erhalten. Das ist jetzt der Shit. Hätte man auch nicht gedacht.

Wird im Fernsehen eigentlich zu wenig an die Form gedacht?

Käßbohrer: Die Form ist im Fernsehen noch immer eine Art Kür. Es scheint sich einfach nicht besonders zu lohnen, da besonders viel Mühe hinein zu stecken. Da gibt man viel Geld für einen schönen Vorspann aus und dann bricht trotzdem der Audience-Flow ab.

Eva Müller: Und es ist oft auch der Fluch einer riesigen Struktur, weil beispielsweise die Grafik für viele Fernsehmacher sehr weit weg ist.

Murmann: Früher war eine Grafik oder eine Farbkorrektur eben extrem aufwändig. Daher kommen auch diese großen, industriellen Strukturen. Heute könnte man dafür sehr viel schlankere und effizientere Abläufe schaffen.

Underdog seid ihr nicht mehr, oder?

Käßbohrer: Nee, keine Chance mehr auf Nachwuchspreise. Der Welpenschutz endete in dem Moment, in dem "Roche & Böhmermann" zu Ende war.

Die Nachfolge-Show "Schulz & Böhmermann" ist inzwischen auch Geschichte. Ist das nicht doppelt bitter?

Käßbohrer: Die Competition besteht in Zukunft darin, das Format so oft es geht zu beenden. (lacht)

Ein neues Projekt ist "docupy", das die btf bereits seit einigen Monaten online für den WDR umsetzt. Worum geht es?

Müller: Die Initiative ging vom WDR aus, weil die "Story"-Redaktion einen Weg finden wollte, ihre herausragenden inhaltlichen Recherchen besser in Szene zu setzen. Ausgangspunkt der Überlegung war daher, die Stoffe nicht nur in einer 45-minütigen Doku zu verbreiten, sondern über eine Strecke von mehreren Monaten. Das geht natürlich nicht mit allen Recherchen, aber vielleicht mit zwei, drei relevanten Themen pro Jahr.

Was bedeutet das konkret?

Müller: Es ist das erste Mal, dass die klassischen Doku-Autoren so eng und vor allem von Anfang an mit den Onlinern zusammenarbeiten. Das macht großen Spaß, weil beide Welten so unglaublich viel voneinander lernen können. Einerseits recherchieren die Film-Autoren ganz anders, andererseits gehen die Onliner mit einer viel größeren Leichtigkeit an Themen heran, was eine neue Form der Umsetzung zur Folge hat. Die aktuelle “docupy” Staffel heißt “Ungleichland” - über die Ungleichheit von Reichtum, von Chancen, von Macht in Deutschland. Relativ früh entstand zum Beispiel gemeinsam die Idee, die Vermögensforscher, die für die Dokumentationen interviewt wurden, in die Kamera und damit auch direkt zu den Nutzern sprechen zu lassen. Wenn man sich die Filme auf dem Smartphone ansieht, dann wirkt das viel natürlicher. Und auch auf dem Fernseher hat das eine tolle Wirkung. Das Schöne ist, dass wir schon sehr früh sehen können, was bei den Leuten funktioniert.

Zum Beispiel?

Müller: Wir haben für "docupy" etwa einen Online-Clip geschnitten aus einem Interview mit einem Vermögensforscher und einer Grafik. Ob das den Leuten hilft, besser zu verstehen, wie weit die Vermögenden von denen entfernt sind, die wenig Geld haben, sieht man an den Reaktionen im Netz. Das hat gut funktioniert, also kommt dieser Part auch in den Film. Oder auch unsere Rubrik "Money Talks", wo sich unter anderem Lars Eidinger und eine Komparsin über ihre Einkünfte unterhalten. Als die Leute den Clip online gesehen habe, haben sie plötzlich von sich aus angefangen, ihr eigenes Gehalt zu twittern – und das in Deutschland, wo man ja gar nicht gerne laut über Geld spricht. Daraus ist wiederum eine Filmsequenz entstanden. Ein ganz schönes Beispiel dafür, wie natürlich die Einbindung der Zuschauer funktionieren kann, ohne sie explizit zum Mitmachen aufzurufen.

"Der WDR musste seine Strukturen etwas öffnen."
Matthias Murmann

Und der WDR lässt sich darauf so einfach ein?

Müller: Beim WDR haben Menschen wie Sonia Mikich und Udo Grätz und viele andere einen solchen Freiraum erst möglich gemacht.

Käßbohrer: Es ist ja auch nicht so, dass wir dem WDR irgendwas unterjubeln. Wir sind uns bewusst, dass dort jahrzehntelang zum Teil ganz anders gearbeitet wurde. Da ist es ganz normal, dass man sich nicht bei allen Schritten sofort einig ist. Dann hilft Diplomatie. Immer im Sinne der Sache, des Inhalts. Solange das der Fokus ist, findet man auch stets zusammen.

Murmann: Unsere Vision bestand darin, dass sich aus Evas klassischer journalistischer Erfahrung und unseren progressiven narrativen und formellen Ansätzen, großartige Synergien bilden lassen. Dafür musste der WDR seine Strukturen etwas öffnen. Für "docupy" arbeiten nun Leute zusammen, die unter normalen Umständen nie zusammengekommen wären.

Was ist unter der Marke "docupy" noch möglich?

Müller: Wir sind gerade im Gespräch mit dem WDR über eine mögliche Fortführung von "docupy".

Murmann: Unser Ziel ist es, eine Marke aufzubauen, die Bestand hat.

Und das Fernsehen spielt dabei nur eine Nebenrolle?

Müller: Nein, das Fernsehen ist sogar ein entscheidender Faktor, da im Falle des Ungleichheits-Schwerpunkts alles am Ende in vier Filmen mündet: Einer wird am 7. Mai um 20:15 Uhr in der ARD zu sehen sein. Hinzu kommt “Ungleichland” drei Mal 45 Minuten als Serie auf dem Sendeplatz “der story” im WDR und in der Mediathek auf einen Schlag. Es ist toll, zunächst über sechs Monate hinweg online Themen und Ideen sammeln zu können, aus denen sich dann auch die großen Dokumentationen speisen. Anders herum profitieren die Onliner sehr von den Recherchen der Filmautoren. Ohne sie wäre das ganze Projekt nicht möglich. Neu ist aber auch der Ansatz, dass wir den Inhalt schon so früh teilen können. So hat der WDR kein Problem damit, wenn "docupy"-Videos sowohl innerhalb des Hauses, im Fernsehen, im Radio, als auch auf externen Plattformen, "Spiegel Online", "Zeit Online", "Vice" oder "Buzzfeed" und anderen abgespielt werden.

Klingt fast so, als könne die btf den Streit zwischen der ARD und den Verlegern beenden.

Käßbohrer: (lacht) Wir arbeiten dran. Der Streit zwischen Verlegern und Öffentlich-Rechtlichen ist ja vor allem ein Streit über Ausspielkanäle. Dabei wird oft übersehen, dass man sich inhaltlich an vielen Stellen ganz gut ergänzen kann. Inzwischen sind wir schon geübt darin, an diesen Reibungsflächen zu arbeiten und Brücken zu bauen. Im Falle von "docupy" begreift sich der WDR nicht als Sendeweg, sondern als Medienmarke. Somit hat er auch nichts zu verlieren, wenn sein Content über Drittplattformen verbreitet wird.

Nach welchen Mechanismen arbeitet die btf?

Käßbohrer: Durch die große Diversität der Projekte, gibt es auch bei uns inzwischen klar abgesteckte Bereiche. In der Gestaltung greifen alle Projekte zwar auf den selben Pool zu, die inhaltliche Arbeit ist pro Projekt jedoch getrennt aufgestellt. Wir versuchen allerdings, die Strukturen so lebendig wie möglich zu halten, sodass sich die Projekte gegenseitig befruchten können. Im besten Fall muss schließlich auch die Unterhaltung informieren und die Information unterhalten.

Murmann: Langweilen sollte jedenfalls weder das Eine noch das Andere.

Vielen Dank für das Gespräch.