Der erste Teil des DWDL-Fiction-Gipfels mit den Produzenten Astrid Quentell (Sony Pictures), Simon Amberger (NEUESUPER) und Benjamin Benedict (UFA Fiction) sowie den Drehbuchautoren Orkun Ertener und Volker A. Zahn ist am Montag erschienen – und hier nachzulesen. Weiter geht es mit Teil zwei...

Dass in unserem Gespräch bisher schon "Babylon Berlin", "Bad Banks" und "Hindafing" erwähnt wurden, ist sicher symptomatisch. Ärgert man sich als Produzentin der meistgesehenen deutschen TV-Serie im werberelevanten Publikum, "Der Lehrer", manchmal darüber, dass solche langlaufenden Erfolge weniger Beachtung finden als jede neue Miniserie?

Astrid Quentell: Ich würde lügen, wenn ich sage, dass das nicht manchmal frustrierend ist. Es gibt etliche Serien, die seit vielen Jahren erfolgreich und auf sehr hohem handwerklichem Niveau im linearen Fernsehen laufen, ohne dass dies bei Preisverleihungen oder im Feuilleton Niederschlag finden würde. Langfristiger Erfolg mit vielen Zuschauern scheint gute Kritiken per se auszuschließen. Das finde ich schade.

Orkun Ertener: Liegt das nicht ein bisschen in der Natur der Sache? Wer einen Artikel schreibt oder einen Preis vergibt, schaut nun mal in erster Linie auf das Neue, Innovative.

Volker A. Zahn: Also, bei "Zarah – Wilde Jahre" hätte ich mir neben all den guten Kritiken auch ein paar mehr Zuschauer gewünscht. (lacht)

Kam die Serie möglicherweise ein Jahr zu früh oder war es schlicht falsch, sie in einen wöchentlichen Serienabend einzubetten?

Zahn: Das ZDF gesteht ja mittlerweile ein, dass die Programmierung eher unglücklich war. Wir haben bis heute sehr gute Abrufzahlen in der Mediathek. Die Serie wird also durchaus gefunden und nachgefragt. Norbert Himmler hat kürzlich in der "Hörzu" gesagt, es sei ein Fehler gewesen, "Zarah" so schnell aus dem Hauptabendprogramm zu nehmen. Wenn er das sagt... Also, die zweite Staffel ist fast fertig geschrieben. Wir könnten schnell wieder in die Produktion einsteigen, falls der Sender es wünscht.

Welche Stoffe oder Genres sind denn momentan besonders gefragt bei den Sendern?

Simon Amberger: Im Serienbereich ist theoretisch alles möglich. Du kannst heutzutage sogar eine Science-Fiction-Serie pitchen und wirst damit Gehör bei deutschen TV-Sendern finden...

Benjamin Benedict: ... was sicher auch an der weltweiten Konkurrenz der Ideen liegt. Früher wäre das fürs deutsche Fernsehen komplett abwegig gewesen. Heute muss man bei globaler Betrachtung der Serienstoffe ja schon fast eine Science-Fiction-Inflation feststellen. Ich würde aber auch den guten, alten Krimi noch lange nicht abschreiben. Beim Publikum erfreut er sich ohnehin ungebrochener Beliebtheit. Und für das Krimigenre spricht meiner Meinung nach auch, dass es unglaublich flexibel und vielfältig ist. Man kann innerhalb des Krimis durchaus sehr innovativ sein.

DWDL.de Fiction-Gipfel

Benjamin Benedict (UFA Fiction) und Astrid Quentell (Sony Pictures)

Zahn: Wir spüren definitiv mehr Offenheit für neue Themen und auch für Stoffe, die früher nicht angefasst wurden. Vor drei Jahren hatten meine Frau Eva und ich dem ZDF eine Medical-Serie angeboten, die mit den klassischen Klischees vom mild lächelnden Halbgott in Weiß brechen und die Odyssee eines Patienten durch den Wahnsinn unseres Gesundheitssystems erzählen sollte. Daraufhin erhielten wir einen Ablehnungsbrief, in dem wortwörtlich stand: "Ihre Serie bedient leider keines der Klischees, die wir in den vergangenen Jahren mit unseren Arztserien gesetzt haben. Deshalb verspricht sie kein Publikumserfolg zu werden." (Gelächter in der Runde) Ich bin überzeugt, dass das ZDF so einen Brief heute nicht mehr schreiben würde. Und auch kein anderer Sender.

Hat es eine junge Firma wie die NEUESUPER leichter, mit unkonventionellen Stoffen durch die Tür zu kommen, als eine Produktionsfirma, die schon jahrelange Vorabendserien auf dem Buckel hat?

Amberger: Bei uns melden sich die Sender nicht, wenn sie etwas haben wollen, das sie so oder so ähnlich schon seit langem im Programm haben. Dafür gibt es andere Produzenten, die das besser können. Von uns erwarten sie in der Tat das Besondere – und das meine ich nicht als qualitative Abgrenzung, sondern im Sinne von anders, neu, gewagter. Das spüren wir in den Gesprächen ganz deutlich und das kommt auch durchaus unseren Neigungen entgegen. Gleichwohl ist es in wirtschaftlicher Hinsicht für jeden Produzenten reizvoll, eine langlaufende Vorabendserie im Portfolio zu haben, weil die natürlich manches finanzielle Risiko abfedern kann.

Bei aller Begeisterung für Serien wollen wir auch die TV-Movies nicht vergessen, von denen es im deutschen Fernsehen ja immer noch viele gibt. Welche Zukunft sehen Sie für die 90-Minüter?

Zahn: Eine komplett neue Serie zu platzieren, ist wie ein Lottogewinn. Daher schreiben wir nach wie vor auch gerne 90-Minüter. Als Erzähler bietet dir dieses Format viele kreative Optionen, vom gesellschaftlich relevanten Drama bis zur Komödie. Und wir finden es immer wieder eine schöne Herausforderung, einen ungewöhnlichen Zugang für mitunter formatierte Erzählweisen wie etwa den Themenfilm am Mittwochabend im Ersten zu finden. Es gibt so viele spannende Geschichten, die man gut und gerne in 90 oder 100 Minuten erzählen kann.

Quentell: Sehe ich genauso. Eine Serie zu entwickeln, ist nun mal in aller Regel ein endlos langer Prozess. Der 90-Minüter gibt einem die Gelegenheit, seine Figuren nur über einen begrenzten Zeitraum zu erzählen. Da muss man sich nicht drum scheren, ob die Charaktere potenziell auch noch in der dritten Staffel funktionieren könnten. Somit hat man mehr Freiraum, kann näher am Zeitgeschehen erzählen und sich schneller auf eine bestimmte Geschichte konzentrieren. Wir freuen uns immer, wenn wir mal einen 90-Minüter verkaufen können. Das sage ich hier auch gern nochmal öffentlich, liebe Sender und Streaming-Plattformen! (lacht)

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Astrid Quentell, Thomas Lückerath, Volker Zahn und Orkun Ertener

Benedict: Als Zuschauer geht es mir persönlich so, dass ich manchmal auch einfach das Bedürfnis habe, eine komplette Geschichte in 90 oder 120 Minuten erzählt zu bekommen. Als Macher fällt mir eine Fülle von Themen ein, die am besten in ein Einzelstück passen. Da würde man einen erzählerischen Fehler begehen, wenn man sie auf achtmal 60 Minuten aufblasen würde.

Amberger: Die spannende Frage ist doch, ob die Innovationskraft der Serie nicht bald auch aufs Einzelstück überschwappen wird. Vieles spricht dafür. Netflix hat ja eine große Filminitiative angekündigt. Die wollen auch in Deutschland Einzelstücke in Auftrag geben und gezielt Genres bedienen, die im Fernsehen und im Kino zu kurz kommen. Ich schätze mal, die ersten Projekte werden sehr viel Aufmerksamkeit bekommen, ähnlich wie es bei den Serien der Fall war. Und plötzlich werden die traditionellen Player auch auf diesem Feld unter dem kreativen Druck stehen nachzulegen. Wer weiß? Vielleicht sitzen wir in drei Jahren hier und sprechen über die große neue Blüte des Einzelstücks.