Frau Schausten, Sie waren bis Anfang des Jahres Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios, sind inzwischen nach Mainz zurückgekehrt. Wie schwer ist Ihnen der Abschied aus Berlin gefallen?

Der Abschied war nicht leicht, aber ich habe die Tätigkeit fast neun Jahre ausgeübt. Daher war es ein guter Zeitpunkt, neue Aufgaben zu übernehmen. Generell ist es im Journalismus nicht verkehrt, alle paar Jahre den Blickwinkel ein wenig zu verändern.

Sie kennen den Lerchenberg gut. Hat das die Eingewöhnung erleichtert?

Ja, definitiv. Ich habe den Wechsel von Berlin nach Mainz schon zwei Mal hinter mir. Dadurch fühlt es sich an, wie nach Hause zu kommen, was es letztlich auch einfacher macht, in die neuen Aufgaben einzusteigen.

Was hat sich in den neun Jahren, in denen Sie in Berlin waren, beim ZDF in Mainz verändert?

Gerade mit Blick auf den digitalen Wandel ist viel geschehen. Ich habe das Gefühl, dass unter dem Druck der Veränderungsnotwendigkeit viele Kämpfe, die früher zwischen verschiedenen Bereichen oder Redaktionen ausgetragen wurden, in dieser Schärfe nicht mehr stattfinden, weil jeder merkt, dass angesichts der Größe der Aufgabe alle an einem Strang ziehen müssen. Meine Aufgabe ist es, dabei zu helfen, das fortzusetzen. Es ist doch unstrittig, dass wir ein Anbieter von Qualitätsfernsehen sind. Aber genau diese Qualität an Information und Hintergründigkeit müssen wir ins Netz übertragen, wo unsere Zuschauer von heute und morgen sind. Und das gelingt uns noch nicht in gleicher Weise gut.

Kann das denn überhaupt noch aufgeholt werden?

Es gab in der Vergangenheit Jahre, in denen das ZDF unter einem immensen Spardruck, verbunden mit einem Stellenabbau, stand – ausgerechnet in Zeiten, in denen man sich gewünscht hätte, aus dem Vollen schöpfen zu können, um neue digitale Welten zu entdecken. Zum Glück haben wir jetzt die Möglichkeit, aufzuholen und werden bis Frühjahr nächsten Jahres ein neues Nachrichtenangebot im Netz präsentieren. Vor Kurzem sagte mir eine Person, die sich in der Branche ganz gut auskennt, vielleicht sei der eine oder andere Zug schon abgefahren - aber das Gute sei, dass auch wieder ein neuer Zug vorbeikommt, auf den man aufspringen kann. Dafür nehmen wir jetzt Anlauf.

Als Sie nach Berlin gegangen sind, war das neue ZDF-Nachrichtenstudio kein Jahr alt, nun feiert es zehnten Geburtstag. Wie neu fühlt sich das Studio eigentlich noch und hat es den erhofften Rückenwind gebracht?

Das war damals Pionierarbeit, technisch, aber auch gestalterisch. Ich glaube, dass es sich am Ende gelohnt hat. Es hat sich doch gezeigt, dass der Wunsch nach großer Flexibilität eingelöst wurde mit den verschiedenen Formaten, die aus demselben Studio senden. Und gerade was Hintergründe und Erklärfernsehen angeht, konnten wir über die Jahre hinweg sehr gut mit den Möglichkeiten der Virtualität spielen. Ohne Zweifel hatte das virtuelle Studio in der Anfangszeit einige Kinderkrankheiten, aber die sind dann relativ schnell überwunden worden.

Welche virtuelle Darstellung hat Ihnen in letzter Zeit gut gefallen?

Ich bin ein großer Fan von großen, haptisch wirkenden Erklärräumen, die wir etwa zu verschiedenen Wahlen hatten. Zuletzt haben wir beim Brand von Notre Dame nicht nur auf die Stärke der realen Bilder gesetzt, sondern konnten mit Hilfe der Grafiken auch sehr genau darstellen, weshalb der Turm so schnell einstürzen konnte. Das haben wir mit optischer Opulenz, aber eben auch mit hintergründiger Information vermittelt. Nur um seiner selbst Willen muss man so etwas freilich nicht machen.

"Unser Ziel ist es, in eineinhalb bis zwei Jahren mit einem frischen Erscheinungsbild bei 'heute' und 'heute-journal' auf Sendung gehen zu können."
Bettina Schausten

Dennoch hat sich anfangs im Alltag gezeigt, dass sich diese Erklärräume oft nicht so schnell realisieren lassen, wie das im schnellen Nachrichtengeschäft eigentlich notwendig ist.

Auch da wurden schnell Fortschritte gemacht, indem abgestufte Möglichkeiten eingeführt wurden. Da gibt es einerseits Grafiken, die sich bei hoher Aktualität schnell umsetzen lassen, andererseits aber nach wie vor auch jene Erklärräume, für die man einen Tag Vorlauf benötigt. Gerade das Beispiel Notre Dame hat eindrucksvollgezeigt, was innerhalb von 24 Stunden alles möglich ist.

Grundsätzlich hat sich das Erscheinungsbild der ZDF-Nachrichten in den vergangenen zehn Jahren sehr wenig verändert. Wäre es jetzt nicht an der Zeit, einen neuen Schritt zu gehen?

Auch wenn Sie nicht so viele Veränderungen wahrgenommen haben, ist doch immer ein bisschen was passiert, indem neue Elemente hinzugefügt wurden. Aber Sie treffen da schon ins Schwarze, denn nach zehn Jahren geht es auch um eine notwendige technische Erneuerung – und die wollen wir zum Anlass nehmen, um einen Relaunch für unsere Nachrichtensendungen zu starten. Unser Ziel ist es, in eineinhalb bis zwei Jahren mit einem frischen Erscheinungsbild bei "heute" und "heute-journal" auf Sendung gehen zu können.

Und die "grüne Hölle" bleibt?

Wir setzen weiter auf die Virtualität. Natürlich wurde das noch einmal intensiv diskutiert, aber wir haben uns auf diesem Gebiet in den vergangenen zehn Jahren Kompetenz aufgebaut und wollen das, was wir uns an Know-how erarbeitet haben, in Zukunft noch besser machen.

Wie müssen Fernsehnachrichten heute überhaupt aufgestellt sein?

Als öffentlich-rechtlicher Anbieter müssen wir in der Nachrichten-Flut eine Adresse für Glaubwürdigkeit und Qualität sein. In einer Zeit, in der Gewissheiten verloren gehen, ist es unsere Aufgabe, Orientierung zu bieten. Genau das müssen wir allerdings noch viel stärker ins Netz übersetzenals wir das bislang getan haben. Glücklicherweise ist die ganz scharfe Kritik an ARD und ZDF, wie wir sie zwischen 2016 und 2018 erlebt haben, inzwischen etwas leiser geworden. Offenbar wird unser Wert wieder stärker erkannt. 

Liegt das auch daran, dass die Öffentlich-Rechtlichen inzwischen einen selbstverständlicheren Umgang mit der AfD pflegen?

Das mag sein, weil wir über die Jahre hinweg natürlich viele Erfahrungen im Umgang mit der AfD gesammelt haben. Auf der anderen Seite haben wir die Situation zum Anlass genommen, um unser eeigene Rolle selbstkritisch zu hinterfragen. Dabei sind wir auf Dinge gekommen, die verbesserungswürdig waren; dass wir beispielsweise transparenter machen müssen, wie wir arbeiten. Dass wir zum Beispiel morgens eben keine Anweisungen aus dem Kanzleramt erhalten. Derartige abstrusen Vorwürfe, die sehr weit verbreitet waren und von einer bestimmten Seite perpetuiert wurden, muss man klar und deutlich ausräumen. 

Kurz nach Ihrem Amtsantritt in Mainz gab es die erste Bewährungsprobe, weil die Türkei Ihrem Studioleiter in Istanbul die Akkreditierung verweigerte. Wie viele Telefonate mussten Sie in diesen Tagen führen?

Das war direkt an meinem ersten Tag und ich war deshalb damit befasst, weil ich gleich zu Beginn den Chefredakteur vertrat. In der Tat wurden da sehr viele Telefonate geführt. Entsprechend dankbar war ich, dass wir in guter Abstimmung zwischen dem Studio in Istanbul, der Chefredaktion, der Intendanz, dem Justiziariat und der unserer Abteilung internationaler Angelegenheiten sehr deutlich machen konnten, dass dieses Vorgehen nicht zu akzeptieren ist. Daraufhin hat sich die Türkei tatsächlich bewegt. Das war eine Herausforderung, zum Glück ist sie gut ausgegangen.

Wenige Wochen später brannte Notre Dame und es gab plötzlich eine Diskussion über das Für und Wider eines öffentlich-rechtlichen Nachrichtensenders. Wie stehen Sie dazu?

Das ist eine notwendige Diskussion, auch weil sie dazu führte, dass wir intern noch einmal darüber gesprochen haben, wie wir in solchen Situationen künftig noch schneller und flexibler reagieren - im Fernsehen, aber auch online. Das Informationsbedürfnis war im Falle von Notre Dame auch deswegen so groß, weil es starke Bilder waren, die Emotionen freigesetzt haben. Allerdings sind wir kein Nachrichtensender und vermutlich wären einige Mitbewerber auch nicht damit einverstanden, würden wir uns als solcher verstehen. Unabhängig vom Ausspielweg ist mir jedoch vor allem wichtig, dass die Qualität stimmt, und das umfasst nicht nur die Abbildung eines Ereignisses, sondern auch die Einordnung. 

Haben Sie denn das Gefühl, dass die Qualität der Berichterstattung generell nachgelassen hat?

Wenn alle alles machen sollen, wird es schwierig, die Qualität zu halten. Der Wunsch nach der eierlegenden Wollmilchsau, also nach Journalisten, die recherchieren, die Kamera halten, einen Fernsehbericht schneiden und idealerweise auch noch Twitter und Instagram bedienen, ist nicht in die Realität umzusetzen. Es geht darum, im Rahmen des Möglichen Freiräume zu schaffen, um qualitatives Arbeiten zu ermöglichen.

Frau Schausten, vielen Dank für das Gespräch.