Frau Zechner, gemeinsam mit dem ZDF und der BBC haben Sie den Dreiteiler "Vienna Blood" produziert. Gedreht wurde auf englisch. Wie viel Österreich steckt trotzdem in der österreichisch-deutsch-britischen Ko-Produktion?

Kathrin Zechner: Ganz viel! In dem Dreiteiler steckt die gesamte Kreativität sowie die Regie aus Österreich drin. Hinzu kommt ein schöner und großer Teil des Schauspiels und mit Andreas Kamm und Oliver Auspitz zwei wunderbarere Produzenten, die dafür verantwortlich sind, dass "Vienna Blood" eine so große internationale Produktion geworden ist. Sie waren es, die die Engländer mit reingeholt haben.

War die Beteiligung der BBC notwendig, um das Projekt zu stemmen?

Ja. Einerseits notwendig, andererseits auch ein ehrgeiziges Ziel. Die größte Herausforderung ist für mich immer, eine Geschichte so zu entwickeln, dass sie universell trägt. Dass sie dennoch aber auch eine Handschrift hat, die in Österreich verankert ist. Das haben wir geschafft. Wien um die Jahrhundertwende und die Psychologie sind schon sehr gut verbunden mit diesem Land. Die Geschichte so zu erzählen, dass sie auch international interessiert, ist immer eine Herausforderung. Normalerweise machen wir das mit deutschen Partnern, in diesem Fall ist es das ZDF gewesen, aber auch oft mit der ARD Degeto. Die Briten in diesem Fall erstmals mit dabei haben zu können, war eine große Anstrengung.

Wie haben Sie bzw. wie hat Red Arrow Studios International die BBC mit an Bord geholt?

Die BBC war seit längerer Zeit an den Romanen von Frank Tallis interessiert und hat auch versucht, Drehbücher zu entwickeln. Dafür war damals offenbar die Zeit noch nicht reif. Als die Projektentwicklung mit unseren Ko-Partner ohne eine Mitwirkung der BBC erfolgreich war, hat BBC2 aufgrund er außerordentlichen Qualität der drei Filme zugegriffen und damit den größten Erfolg des Jahres am Sendeplatz erzielt. 

Bei der BBC waren schon alle Teile zu sehen, der ORF zeigt den ersten Teil am 20. Dezember und die anderen beiden Filme erst 2020. Warum müssen die Zuschauer hier und in Deutschland länger warten?

Weil wir nicht einen Kaufpreis realisieren wie die BBC, sondern einen stattlichen Koproduktions-Anteil haben. Das hat also Finanzierungsgründe. Wir haben immer geplant, in Verbindung mit dem ZDF, Ende 2020 ausstrahlen. Wir standen auf einmal vor der Situation, dass die BBC schon vor Weihnachten alle Teile gesendet hat. Durch eine Umfinanzierung können wir jetzt auch noch den ersten Teil in 2019 ausstrahlen. 

"Ich finde, dass man sich in der Entwicklung von Stoffen und in deren Aufsetzung irren dürfen muss."

Da reden wir jetzt vom sogenannten Abspielbudget, das ja bei ORF manchmal kuriose Blüten treibt. Teilweise liegen mehrere neue Staffeln im Archiv und werden nicht gesendet, dann liegen zwischen den Staffeln mehrere Jahre wie bei "CopStories". Bei "Schnell ermittelt" gab es erst vier Staffeln, dann diverse Filme und dann wieder eine Staffel. Wieso ist das oft so kompliziert?

Das hat immer ganz verschiedene Gründe. Das eine ist: Wir haben ein Vorproduktionsbudget, ein Lager und ein Abspielbudget. Mit den Beiträgen, die wir einnehmen, müssen wir sorgsam umgehen. Wenn wir ein starkes Sportjahr haben, gibt es immer auch eine Bewegung zwischen Sport- und Fictionbudget. Diesen Ausgleich müssen wir schaffen. Gut die Hälfte unserer Produktionen sind zudem ko-produziert, das heißt wir müssen uns hier mit den jeweiligen Partnern abstimmen. Es gibt auch strategische Entscheidungen, die noch komplexer abzustimmen sind, jetzt machen wir ja zusammen mit Netflix eine Serie. Teilweise müssen wir uns auch mit vier Partnern absprechen und versuchen, eine kluge Abfolge von Verwertungszyklen zu schaffen. Das ist eine extrem komplexe Welt geworden. Und dann gibt es natürlich auch immer Unvorhergesehenes. Katastrophen, Wahlen oder auch die Wiederholung von Wahlen (lacht). Sowas müssen wir abbilden, da verschieben sich auch Budgets. All das müssen wir beachten. Es ist auch so, dass sich nicht immer Jedem die Wichtigkeit von Fiction, gerade im Preis-Leistungsverhältnis, erschließt.

Damit meinen Sie wohl Mitglieder in den ORF-Gremien. Was kritisieren Sie genau?

Auf den ersten Blick sind Highend-Sportrechte am teuersten, sie bieten aber auch ein unverzichtbares Live-Erlebnisse. Dann kommt meist schon hochwertige Fiction, egal ob das jetzt Serien, Einteiler, Mehrteiler oder Kinoproduktionen sind. Und da braucht es ab und an in einem Budgetrahmen, in dem wir uns bewegen müssen, richtige Prioritäten. Die Fiction ist einfach eine der wichtigsten Säulen des ORF.

Finden Sie, dass die ORF-Gremien wie der Stiftungsrat die Fiction nicht genügend wertschätzt?

Ich bin so beseelt von Fiction, dass es mir immer zu wenig ist. Das muss ich vorausschicken. Denn ich finde, dass Fiction eine der künstlerisch wertvollsten Darstellungsformen ist. Zweitens ist die Fiction Gesicht und Stimme eines Landes. Nachweislich gibt es über dieses Genre auch eine große Publikumsbindung. Außerdem können wir die Inhalte auf allen Sendeplätzen des ORF wiederverwerten und international vermarkten. Fiction ist also auch wirtschaftlich wertvoll.

"Ich bin keine Trend-Tante."

Noch einmal kurz zurück zu den manchmal sehr unregelmäßigen Ausstrahlungen von Serien. Schadet man sich damit nicht auch selbst?

Ich würde mal sagen, es schöpft nicht das gesamte Potenzial der Produktionen aus. Ich finde aber auch, dass man sich in der Entwicklung von Stoffen und in deren Aufsetzung irren dürfen muss. Wenn wir uns mit den mächtigen Profis überm Teich vergleichen: Da werden tausende Stunden entwickelt, ein Teil davon realisiert und nur ein kleiner Teil davon erhält eine zweite Staffel. Das können wir uns nicht leisten. Natürlich ist es uns schon passiert, dass etwas nicht so gut sitzt. Das löst bei Kritikern intern und extern schnell mal Fragen aus. Man muss aber der Entwicklung und auch dem Irrtum eine Chance geben. Nur aus dem Irrtum heraus entsteht Erfolg. Scheitern gehört zum Erfolgsprozess dazu. Und deshalb haben wir mit zwei Drittel unserer Produktionen Erfolg, einen solchen Schnitt finden Sie nur selten.

Es gibt derzeit ja einen starken Trend hin zu Serien, gerade Netflix macht auch immer wieder Miniserien, die früher wohl einfach als Fernsehfilme durchgegangen wären. Wieso ist "Vienna Blood" ein Dreiteiler und keine Miniserie?

Ich bin keine Trend-Tante. Ich überlege mir mit meinen Top Leuten, was der Dramaturgie des Stoffes am besten entspricht. Netflix hat vor fünf Jahren damit begonnen, mit einem unfassbaren Marketing-Budget seine Eigenproduktionen zu realisieren. Wir produzieren einen 45-Minüter zwischen 450.000 und 650.000 Euro. Bei Netflix sind 10 bis 14 Millionen üblich. Aus diesem Marketingbudget ist ein sehr kreativer Wettbewerb entstanden, mit originären Stoffen zu punkten. Netflix will damit natürlich Abos generieren, aber in einem globalen Vertrieb. Das ist ein Modell, das wir nicht bieten können. Das, was wir mittlerweile stolz, aber auch ein wenig angespannt beobachten: Wir können Geschichten erzählen, das merkt auch Netflix. Wir entwickeln Talente in allen Gewerken und immer früher, in denen die Handschrift von einem bestimmten Künstler zu erkennen ist, ist er weg und macht acht Teile für Netflix.

Das ist in Österreich auch schon so?

Ja, natürlich. Schauen Sie nur auf u.a. Barbara Eder oder Andreas Prochaska. Mit denen bin ich erwachsen geworden. Barbara Eder macht eine Netflix-Serie, Andreas Prochaska arbeitet für Sky. Und da gibt es noch ganz viel mehr Beispiele an Top Profis. Das Investieren in Suchen, Scouten, Entdecken, Wachsen und irren lassen - das ist ein hoher Aufwand, den wir bewusst machen, weil wir die Verbindung zu den Leuten halten wollen. Ich arbeite gerne mit jungen Talenten zusammen. Aber wir müssen schon auch schauen, dass wir auch die Arrivierten bei uns halten. Der Nachwuchs lernt von den Etablierten, fordert sie aber auch immer wieder heraus.

Jetzt machen Sie sich kleiner, als Sie sind. Der ORF ist mit Abstand das größte Medienunternehmen in Österreich. Wenn Sie jemanden, ob vor oder hinter der Kamera, haben wollen für einen Film oder eine Serie, könnten Sie ihn oder sie auch bekommen.

Nein, das ist leider nicht so. Mein Gesamtbudget, wo alles außer die Information drin steckt, deckt nicht einmal das Filmbudget des ZDF ab. Das fordert von uns mehr Kreativität und Innovationen, sowie Verhandlungsgeschick mit Partnern. Ich will mich gar nicht beschweren, aber es ist eben doch eine Herausforderung.

Auf Seite zwei spricht Kathrin Zechner über die Serienkooperation mit Netflix, Fehler bei der "Vorstadtweiber"-Programmierung und "The Masked Singer".