Die Adventszeit ist immer auch eine Zeit der Jahresrückblicke. Welche Headline bekommt das Filmpool-Jahr 2022?

Valente: Es war ein Transformationsjahr. Wir bedienen nun neben Scripted das Genre Factual Entertainment und sind zudem im Reality-Bereich unterwegs. Mit jährlich über 50.000 ausgestrahlten Fernsehstunden dominieren wir – mit Blick auf die reine Masse – weiterhin den Markt. Wir wollen weiter so hochvolumig unterwegs sein.

Wenn wir alles Stück für Stück durchgehen und mit den positiven Aspekten des Jahres starten: 2022 war das Jahr des Courtshow-Comebacks, Filmpool produziert "Barbara Salesch – Das Strafgericht" wieder für RTL. Eigentlich muss man sich fast schon wundern, wieso das erst 2022 so weit war…

Wesseler: Die Programme, die wir viele Jahre lang produziert haben, sind sehr erfolgreich bei RTL Up und Sat.1 Gold unterwegs gewesen. Die Wiederholungen laufen dort wirklich stark, daher kam der Impuls, Courtshows zurückzubringen, in der Tat konkret von Vito. RTL hat den Ball von uns direkt gut aufgenommen und mitgespielt. 

Valente: Barbara Salesch ist heute einfach noch besser als damals, weil sie freier agiert. Wir erreichen damit teilweise fast eine Million Zuschauerinnen und Zuschauer. Das zeigt mir, dass dieses Programm die Menschen noch viele Jahre lang interessieren kann. Die Juristen, allen voran Frau Salesch, sind unterhaltsam, streng, zugleich aber haben wir auch einen kleinen Krimi am Nachmittag. Wir haben viel Neues mit hereingebracht – Social Media etwa.

Wesseler: DWDL hat von der "Königin des Retrotrends" gesprochen. Und das trifft es sehr. Es ist das gute Gefühl von jüngeren wie älteren Zuschauern, das wir mit dem Format erzeugen. Und das war auch unsere Aufgabe. Wir haben diese Serie in die heutige Zeit übersetzt, zugleich erinnert die Sendung aber auch an eine Zeit, in der die Welt noch etwas mehr in Ordnung war. Die Presseresonanz ist obendrein phänomenal – kürzlich hatten wir in der 'Bunten' ganze drei Seiten mit Barbara Salesch. Übrigens sprechen wir ja hier von Diversity: Institutionen wir die Malisa Stiftung haben untersuchen lassen, wie unterrepräsentiert Frauen im Fernsehen sind – geschweige denn, Über-50-jährige Frauen, geschweige denn Expertinnen. Barbara Salesch ist nun 72, Rechtsexpertin/Richterin und täglich bei RTL auf Sendung. Bemerkenswert!

Wie viel Courtshow verträgt das Fernsehen?

Wesseler: Schauen wir kurz ins Ausland. In den USA ist diese Programmfarbe dauerhaft im Programm. Auch in Polen hat es übrigens immer eine Courtshow gegeben. Nicht in der Masse, aber in guter Dosis. Zwei, drei von diesen Sendungen werden goutiert.

Sie produzieren gerade die zweite Staffel. Gibt’s ein Learning?

Wesseler: Wir freuen uns, dass die zweite Staffel 100 Episoden umfasst. Originale wie Bernd Römer oder Ulrike Tasic sind natürlich wieder dabei. Nicht geändert hat sich auch, dass Barbara Salesch jeden Fall sehr exakt auf seine Logik untersuchen lässt – und pointiert ihre Urteile fällt.

Mit Magic Connection haben Sie eine Full-Service-Agentur gegründet. Auch das steht sicher auf der Plus-Seite der Jahresbetrachtung. Lief alles gut an?

Wesseler: In der aktuellen Wirtschaftslage eine neue Firma zu gründen ist nicht einfach, aber die ersten vier Monate sind gut gelaufen. Sie wissen, dass wir bei unseren Soaps immer wieder Protagonisten hatten, die sich durch uns enorme Reichweiten erarbeitet haben – teilweise an eine Million. Die konnten wir aber nicht mehr richtig fördern, wenn sie unsere Serien verlassen haben. Das hat sich mit Magic Connection nun geändert. Wir haben einst die erfolgreiche Social-Media-Strategie für "Berlin – Tag & Nacht" entwickelt, die dazu geführt hat, dass die zunächst desolat gestartete Serie überhaupt überlebt hat. Diese Expertise, also Social Media Marketing, sowie PR- und Talent Management, nun also auch extern anzubieten, war die Grundidee für diese Unternehmung. Magic Connection arbeitet bereits direkt für erste Sender und soll zukünftig explizit auch für Konkurrenten der filmpool arbeiten, weil es keine Tochterfirma, sondern ein Schwesterunternehmen ist, aber auch Firmen anderer Branchen unterstützen. Was aktuell schon wirklich Spaß macht, war etwa die Entwicklung und Umsetzung der Social Media Strategie des RTL+-Formats  "The Real Life" mit diversen Reality-Stars; mit "Komma Klar" haben wir gerade die erste Webserie gelaunched, die wir für einen neuen Klienten, die Bundeszentrale für Politische Bildung, entwickelt und produziert haben. Das alles stemmen wir mit Mona Lehmann und Lisa Christeleit, zwei ganz tollen Heads, die uns tatkräftig unterstützen und bereichern und die ein kreatives Team von mittlerweile schon über 20 Kolleginnen, darunter Content Creatoren und PR Manager, führen.

 

Filmpool ist Marktführer für Daily-Scripted. Daily-Factual und Daily-Drama wird hinzukommen.  Vittorio Valente, Geschäftsführer Filmpool Entertainment


Sie waren in diesem Jahr auch mit der Firma The Fiction Syndicate sehr aktiv. Die Firma ist vielleicht noch bekannt, weil sie einst die nicht sehr langlebige RTL-Soap "Herz über Kopf" umgesetzt hat. Jetzt kann man das Signal aussenden, dass von dem Unternehmen noch mehr zu erwarten ist?

Valente: Absolut richtig. Wir haben da tolle Ideen – bei einem ganz konkreten Projekt könnte es eine äußerst spannende Konstellation auch geben zwischen Filmpool fürs Dokumentarische und TFS für das Fiktionale. Wenn alles hinhaut, wird das ein riesiger Gong. Sehen Sie: Filmpool ist Marktführer für Daily-Scripted. Daily-Factual und Daily-Drama wird hinzukommen. Bei The Fiction Syndicate sind wir umgeswitched und wollen dort klar im Bereich klassischer Fiction mit namhaften Autor:innen und Regisseur:innen arbeiten, wir sprechen also von einer Manufaktur – additiv zur Filmpool.

Sie haben es gerade angesprochen. Daily-Drama, im Volksmund Seifenoper genannt, soll bei Ihnen hinzukommen. Da gab es auch von Filmpool schon mal einige Versuche, aber alles jüngst probierte scheiterte. Warum soll ein Privatsender bei Ihnen ein Daily Drama bestellen?

Valente: Weil wir eine richtig gute Idee entwickelt haben. Bei der Filmpool werden wir aus dem Scripted-Genre Fiktion machen. Wir arbeiten hier mit Drehbuchautor:innen und Regisseur:innen – mit richtigen Schauspielerinnen und Schauspielern. Wir haben vor wenigen Tagen den Piloten für eine tägliche fiktionale Serie abgedreht, der absolut hochkarätig besetzt ist.

Wo stehen denn zur Zeit die Städtesoaps von RTLzwei? Einerseits sind sie bei YouTube, im Streaming-Bereich bei RTL+, aber auch in sozialen Netzwerken weiter ein Renner. Im linearen Fernsehen sinken und sinken die Werte aber.

Valente: "BTN" ist weiterhin ein absoluter Digital-Hit. Es gibt aber eine Zuschauerschaft, die so jung ist, dass für sie das lineare Fernsehen nicht mehr existiert. Zudem ist meiner Meinung nach "BTN" das einzige Format überhaupt, das dem Fernsehen neue und junge Zuschauer zuführt. Das gibt es sonst nicht mehr. Bei YouTube wachsen wir; im Schnitt schauen da 1,44 Millionen zu. Die Zahlen, die wir von RTL+ hören, sind sehr gut.

Wesseler: "BTN" und "Köln 50667" liegen bei RTL+ immer in den Top10, häufig den Top 5.

"BTN", also "Berlin - Tag & Nacht", hatte bei RTLzwei vor fünf Jahren mehr als neun Prozent in der Zielgruppe, 2022 sind es viereinhalb. "Köln 50667" landet teils gar unter Senderschnitt. Kann eine Serie, die im Netz sehr erfolgreich ist, die aber linear schwächer und schwächer wird, noch überleben?

Valente: Beides sind unglaublich starke Marken. Die werden RTLzwei und wir auf keinen Fall einfach wegschmeißen, nur weil die jungen Leute die Serie auf anderen Geräten schauen. Es sind Marken, die für Streamer sehr spannend sind.

 

Wir müssen hier eine deutliche Verschiebung der Zuschauer konstatieren. Die genannten Formate haben nicht weniger Fans oder Zuschauer:innen als vor zehn Jahren. Felix Wesseler, COO bei Filmpool, über "Berlin - Tag & Nacht" und "Köln 50667"


Wesseler: Wir müssen hier eine deutliche Verschiebung der Zuschauer konstatieren. Die genannten Formate haben nicht weniger Fans oder Zuschauer:innen als vor zehn Jahren. Sie schauen nur woanders – nämlich bei YouTube, bei RTL+. Wenn wir wir bei TikTok in den Top10 der erfolgreichsten Entertainment-Marken sind, zeigt das, dass diese Programme die jungen Zuschauer erreichen, die alle haben wollen.

Was planen Sie mit "Köln 50667"? Der 10. Geburtstag steht an.

Valente: Da müssen wir etwas tun, um die linearen Werte zu steigern. Wir arbeiten massiv an dem Programm. Zum zehnjährigen Jubiläum werden wir "Köln 50667" wirklich komplett verändern. Der größte Relaunch aller Zeiten steht an. Die Handlung wird in einen anderen Kölner Stadtteil umziehen, um etwas näher bei der klassischen Zielgruppe ansässig zu sein. Insgesamt werden wir erwachsener.

Ein Erfolg war für Sie der Auftakt zu "The Real Life" für RTL+…

Valente: Das ist ein Riesen-Hit, der auch unsere Ambitionen zeigt, in der Reality-Welt eine große Rolle zu spielen. Eine zweite Staffel ist frisch bestätigt.

Wesseler: Das ist eine sehr aktuelle Produktion: Am ersten Tag gedreht, am zweiten geschnitten, am dritten gesendet. Wir arbeiten hier mit ganz besonderen Protagonisten, auch dafür stand Filmpool schon immer. Wir sind sehr nah dran an Leuten, die aus Reality-Sendungen bekannt sind, das Programm ist sozusagen eine Meta-Reality – das ist sehr unterhaltsam geworden. Ein anderes Plus war die Nominierung unserer Adaptaption des all3media Formats "The Undateables", der Factual-Reihe "Besonders verliebt" für Vox, beim Deutschen Entertainment Award.

Definitiv ein Rückschlag für Sie 2022 war, dass Sat.1 sich von langjährigen Filmpool-Marken wie "Auf Streife" und "Klinik am Südring" getrennt hat. Das ist quasi auf der Minus-Seite zu führen. Wie sehr hat das geschmerzt?

Valente: Wir sprechen hier von seit Jahren sehr erfolgreichen Programmmarken. Aber am Ende des Tages sind wir Produzenten und Erfinder und nicht der Sender, der das zu entscheiden hat. Sat.1 ist unser langjährigster Kunde.

 

Die Entscheidung hat uns erstmal schwer getroffen. Filmpool-COO Felix Wesseler über das Produktionsende der Sat.1-Scripted Realitys


Wesseler: Wir produzieren seit 1999 durchgehend für Sat.1. Ein solcher Abbruch, aktuell machen wir ja gar kein laufendes Format für Sat.1, ist natürlich nichts, womit wir uns zufrieden geben. Aber ohne Frage: Die Entscheidung hat uns erstmal schwer getroffen. Zumal wir mit den genannten Formaten zu guten Preisen nach wie vor gute Quoten generieren.

Die Entscheidung hatte auch Auswirkungen auf Mitarbeitende. Sie mussten sich von einigen trennen…

Wesseler: Ja, auf jeden Fall.

Nun will Sat.1 mehr Geld in Sendeschienen ab etwa 16 Uhr investieren. Was macht das mit dem Produzentenmarkt?

Wesseler: Zunächst mal ist es auch so, dass Sat.1 eine Inhouse-Firma das neue "Volles Haus" produzieren lässt, drei Stunden. Das entzieht dem freien Produzentenmarkt erst einmal Geld. Ich bin überzeugt, dass es dem Markt gut tut, dass es eine Vielzahl an freien Produzenten gibt. Bis zu einem gewissen Grad ist der Schritt, Programmstunden inhouse produzieren zu lassen, betriebswirtschaftlich sicher nachvollziehbar, aber mit Augenmaß. Und zugegeben, es war ja schon immer so, dass wir die besseren Ideen haben mussten, um zum Zug zu kommen. Ich muss aber auch sagen, dass wir mit Daniel Rosemann nach dem sehr interessanten DWDL-Producers Club ein richtig gutes Gespräch hatten. Wir hatten bereits Überlegungen, die sehr genau dem entsprachen, was er sich beim Producers Club gewünscht hat. Das war quasi ein Perfect Match. Ich hoffe also, dass wir nach 22 Jahren nicht dauerhaft getrennter Wege gehen, zumal wir Sat.1 sehr gut kennen und den Sat.1-Zuschauer sehr gut verstehen.



Sie haben auch von einem Factual-Daily-Format gesprochen.

Valente: Wir werden unsere erste Factual-Daily bei einem super Sender präsentieren. Wir werden also auch in der Factual-Welt hochvolumig präsent sein.

Was steht noch an für 2023?

Valente: Nur so viel: Eine starke deutsche Daily-Programmmarke aus einem nochmals ganz anderen Bereich könnte ihren Weg ins deutsche Fernsehen zurückfinden.

Danke für das Gespräch.