Wenn ATV am Montag sein neues Vorabendprogramm startet, sind die Erwartungen groß: Über 10 Prozent Marktanteil erhofft sich der österreichische Privatsender bei den 12- bis 49-jährigen Zuschauern – mal eben eine Verdoppelung der bisherigen Werte. Gelingen soll das mit dem Export eines der erfolgreichsten deutschen Vorabend-Formate der vergangenen Jahre: "Berlin Tag & Nacht". Nur dass die Adaption der geskripteten WG-Soap natürlich in der österreichischen Hauptstadt spielt und deshalb "Wien - Tag & Nacht" heißt.

100 Folgen sind bei der Kölner Produktionsfirma Filmpool beauftragt, die dafür eigens die Tochter Filmpool Media Entertainment mit Sitz in Wien gegründet hat. Bisherige Umsetzungen sind klassische Lizenzverkäufe gewesen, bei denen die Produktion von Partnern im jeweiligen Land übernommen wird und Filmpool nur berät. "Scripted Entertainment ist bislang in Österreich noch nicht produziert worden, die Briefings anderer Produzenten wären also sehr aufwändig gewesen", erklärt Felix Wesseler, Director Business Development & Communications bei Filmpool und zuständig für Adaptionsberatung im Ausland, warum man die Produktion diesmal selbst in die Hände nimmt.

Der neueste "Tag & Nacht"-Ableger ist nun eine besondere Herausforderung. Im nicht-deutschsprachigen Ausland kann sonst mit vorhandenen Büchern gearbeitet werden. "In Österreich war von vornherein klar, dass wir nicht einfach 'Berlin - Tag & Nacht' transferieren können", erklärt Wesseler, "weil die Serie genau wie 'Köln 50667' natürlich auch dorthin ausgestrahlt wird."

Das bedeutet: Das Team aus Österreichern und Deutschen musste komplett neue Geschichten mit eigenständigen Charakteren entwickeln. Rund 5000 Laiendarsteller kamen zu den Castings. Die Dreharbeiten liefen im Oktober an. Und seit Silvester erzählen die Protagonisten auf Facebook bereits erste Details ihrer Geschichte.

Damit die nicht als Abklatsch der deutschen empfunden wird, sondern tatsächlich das Lebensgefühl junger Österreicher transportiert, ist es wichtig, auf kulturelle Unterschiede und Feinheiten zu achten. "Die Österreicher haben eine ganz andere Streitkultur, sind unserer Erfahrung nach nicht so direkt wie die Deutschen, eher charmanter. Es gibt auch eine größere Gelassenheit, eine andere Ruhe", schildert Wesseler die Erkenntnisse. Außerdem sei es schwieriger, in Wohnungen zu drehen: "Die Wiener sind sehr viel zögerlicher als die Deutschen, wenn es darum geht, ihr Zuhause für Dreharbeiten zu vermieten."

Auch die Unterschiede zwischen den Bundesländern seien wichtiger. Bei allen Protagonisten ist deshalb die Herkunft ein entscheidender Teil der Identität: "Kaspar, 26, aus Oberösterreich", "Willi, 24, aus der Steiermark", "Vicky, 22, aus Kärnten".

Für ATV ist die Millioneninvestition in eine täglich laufende Serie enorm. Dass die Eigentümer, unter anderem Herbert Kloibers Tele München Gruppe, das Risiko trotzdem eingehen, ist mit der Hoffnung auf einen ähnlichen Effekt wie bei RTL II verbunden. Dort wirkte sich der Erfolg der Real-Life-Soap aufs komplette Programm aus. Wesseler sagt: "Der Sender, ATV-Geschäftsführer Martin Gastinger und sein Team vertrauen uns da sehr."

Wegen des Erfolgs im Heimatland gewinnt "Tag & Nacht" für Filmpool im Ausland stetig an Bedeutung. Das slowakische Fernsehen hat zwei Staffeln produziert ("Bratislava – Deň a noc"). In Ungarn heißt die Reihe "Éjjel–Nappal Budapest" ("Tag & Nacht Budapest") und läuft seit Februar 2013 beim größten Privatsender des Landes, RTL Klub. "In der Primetime sind wir derzeit Marktführer", sagt Wesseler und erklärt: "Das Wichtigste ist, in die jeweilige Kultur einzutauchen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu verstehen."

Die grundlegenden Erzählbögen – also: die große Liebe, die geplatzte Hochzeit, die Neuorientierung im Job – sind aber auch in der Budapester WG dieselben. Weil das Format stark über die Protagonisten erzählt wird, die ihre eigene Lebenserfahrung einbringen, lassen sich die Bücher aber nicht so leicht adaptieren wie bei anderen geskripteten Formaten. Ein großer Vorteil bei der Entwicklung von "Éjjel–Nappal Budapest" war hingegen, dass RTL Klub zuvor bereits die Filmpool-Produktion "Verdachtsfälle" adaptiert und dafür eine Datenbank mit Darstellern angelegt hatte.

Nicht überall hat sich "Tag & Nacht" durchsetzen können: Die Paris-Variante der WG-Soap ist im vergangenen Jahr nach wenigen Wochen wegen schwacher Quoten vom M6-Ableger W9 wieder eingestellt worden – zu früh, glaubt Wesseler.

Der Grund dafür – und wieso Filmpool mit "Wien - Tag & Nacht" gegen sich selbst antritt – steht im zweiten Teil des Textes.