Mehr als 10.000 Besucher fanden in dieser Woche wieder den Weg nach Cannes, doch anders als man das in den vergangenen Jahren häufig gesehen hat, waren diesmal sogar noch kurz vor Beginn der MIPTV Hotelzimmer an der Croisette zu haben. Aber auch wenn der Trubel zumindest gefühlt ein wenig nachgelassen hat, so war die Stimmung unter den deutschen Fernsehmachern durchaus positiv. Mit Blick auf die Zukunft herrscht derzeit wohl so etwas wie eine positive Gespanntheit und bei aller - zum Teil auch berechtigten - Kritik an zu viel Zurückhaltung in der Vergangenheit, lässt sich bisweilen eine größer werdende Experimentierfreude feststellen.

Man traut sich wieder was. Nicht immer und überall, aber doch mehr als man das in den vergangenen Jahren gewohnt war. Dabei musste man in diesen Tagen noch nicht mal durch die Stände auf der MIPTV schlendern, um diesen Eindruck zu gewinnen. Denn während die Branche in Cannes Ausschau hielt nach den künftigen Hits, kündigte die ARD vor wenigen Tagen mit dem "Quizduell" eine Show zur beliebten App an. Überraschend kurz war die Entwicklungszeit für das Format, das ITV Studios Germany ab Mai zunächst drei Wochen lang am arg gebeutelten Vorabend des Ersten beisteuern wird.

Ob's der große Wurf sein wird, muss sich natürlich erst noch zeigen, doch das Tempo, mit dem das "Quizduell" auf den Schirm gebracht wird, ist schon deshalb erstaunlich, weil die ARD doch für gemeinhin als schwer zu lenkender Tanker gilt, der noch dazu nicht gerade dafür bekannt ist, Trends zu setzen. Die interaktiven Elemente sind allerdings Grund genug, sich das "Quizduell" in wenigen Wochen mal genauer anzusehen, denn auch wenn die ARD am Vorabend nach all den Misserfolgen der zurückliegenden Jahre nicht mehr viel zu verlieren hat, so ist die Show in jedem Fall als spannendes Experiment zu werten.

Doch nicht nur die ARD gibt sich in diesen Tagen mutig. Mit RTL und Sat.1 haben sich darüber hinaus zwei große Privatsender die Rechte an Formaten gesichert, deren Erfolgsaussichten zum jetzigen Zeitpunkt noch außerordentlich schwer zu bewerten sind - auch wenn die Macher aus Israel und den Niederlanden auf der MIPTV alles daran setzten, in "Rising Star" und "Utopia" die künftigen Straßenfeger zu sehen. Von "Rising Star" kommen in dieser Woche jedoch erst mal keine guten Nachrichten. In Brasilien ist die neue Castingshow vor wenigen Tagen unter Senderschnitt gestartet. Der erste Versuch, das Format außerhalb Israels an den Start zu schicken, ist damit also misslungen.

Entspannter wird das Arbeiten an der deutschen Umsetzung dadurch sicher nicht, zumal auch die Entwicklung der App noch reichlich Arbeit mit sich bringen wird. Die ist nämlich elementarer Bestand der Show, weil die Zuschauer durch sie über das Weiterkommen der Kandidaten entscheiden können, und sollte - anders als bei der Premiere in Brasilien - dann auch wirklich funktionieren. Während RTL also mit "Rising Star" auf einen Neustart setzt, der seine internationale Tauglichkeit noch nicht unter Beweis gestellt hat, wagt sich Sat.1 mit "Utopia" an ein nicht minder riskantes Unterfangen, an dem im Übrigen auch die Kölner Konkurrenz Interesse zeigte. 

Riskant ist das Spektakel aus der Produktionsschmiede von John de Mol vor allem deshalb, weil es bisher nur in Holland läuft - dort aber zumindest mit großem Erfolg für den kleinen Sender SBS6. Das reicht Talpa übrigens, um "Utopia" auf der MIPTV bereits auf eine Stufe mit dem Welt-Erfolg "The Voice" zu stellen. Zunächst einmal ist "Utopia" aber vor allem: teuer. Je länger es im Programm ist, desto mehr lohne sich der vom Sender betriebene Aufwand, rechnete am Wochenende in Cannes ein Talpa-Manager vor. Im Umkehrschluss heißt das allerdings auch, dass man im Falle eines Misserfolgs viel Geld versenken kann. Ein Risiko, das die Verantwortlichen um Nicolas Paalzow in Unterföhring offensichtlich gerne eingehen möchten.

Hier ist sie also wieder zu spüren, die Lust am Ausprobieren. Die Lust, aufs Ganze zu gehen und nicht nur den Weg des vermeintlich geringsten Widerstands. Es ist ein Weg, den auch Vox mit seiner "Höhle der Löwen" einschlägt, einer Adaption der britischen Show "Dragons' Den", die in Amerika als "Shark Tank" große Erfolge feierte. Ob sich das Format für den deutschen Markt eignet, ist allerdings schon deshalb nicht sicher, weil Sendungen, in denen es um Job und Karriere geht, in den vergangenen Jahren hierzulande keine Selbstläufer waren. Erste Eindrücke der Dreharbeiten zeigen allerdings, dass "Die Höhle der Löwen" vielversprechend zu werden verspricht. Erfreulich also, dass es das Format im Laufe des Jahres endlich zu uns schaffen wird.

Keine Frage: Es herrschte im deutschen Fernsehen schon deutlich weniger Experimentierfreude als aktuell. Ein Gefühl, das vielleicht auch ein Stück weit aus der Not heraus geboren ist, weil es zuletzt immer seltener gelang, echte Events zu setzen. Dass es trotzdem noch Luft nach oben gibt, zeigte sich beispielsweise auf dem International Pitch der MIP Fotmats. Dort traf "Big Brother" auf "The Walking Dead" - und herauskam die australische Show-Idee "Zombie Boot Camp", mit der die Produktionsfirma The Feds sehr eindeutig den Wettbewerb für sich entschied. Aber auch die Veranstaltung "Fresh TV" der Schweizer Firma The Wit bot zu Wochenbeginn einen unterhaltsamen Einblick in neue Fernsehideen aus aller Welt. Da wäre etwa die niederländische Eyeworks-Kuppelshow "Adam sucht Eva" zu nennen, in der sich die Singles so begegnen, wie Gott sie schuf.

Deutlich mehr ans Herz geht da schon eine Show, in der taube Menschen plötzlich hören können. Wer's tierisch mag, hat dagegen die Qual der Wahl zwischen "Superstar Dogs" und "Dolphins with the Stars". Und sofern RTL mit "Rising Star" Schiffbruch erleiden sollte, wäre womöglich "The Shower" etwas für die Kölner: In dieser Castingshow aus Spanien müssen Sänger ihr Talent unter der Dusche beweisen, während die Juroren die Temperatur des Wassers bestimmen. Hier geht zur Abwechslung also mal nicht nur der Sender baden.