Draußen tränkte der Regen die kanadischen Rocky Mountains und die Wolken hingen tief am Montagvormittag in Banff. Doch davon bekommt man im Cascade Ballroom des Fairmont Banff Springs Hotels ohnehin nichts mit. Im festlichen, aber fensterlosen Saal ist Kevin Beggs, Chairman der Lionsgate Television Group, für eitel Sonnenschein verantwortlich: Im Gespräch mit der US-Nachrichtenlegende Dan Rather stand eine Zukunftsvision für die TV-Branche auf dem Programm. Und als Produzent der Netflix-Serie „Orange is the new black“ war von Beggs zu erwarten, dass er das Bild einer schönen neuen Fernsehwelt zeichnen würde.

Das tat er auch, aber hatte mit Dan Rather einen erfrischend kritischen Interviewer gegenüber, der die sonst höflich-harmlosen Podiumsgespräche solcher Festivals mit den richtigen Fragen brach. Aber fangen wir erst einmal mit der schönen neuen Fernsehwelt an. „Alles läuft auf on demand hinaus. Ausgenommen sind Dinge, die man live sehen muss wie beispielsweise Sport. Alles andere aber wollen die Zuschauer inzwischen sehen, wann sie es sehen wollen“, fasste Lionsgate-TV-Chef Beggs recht schnell zusammen. Als reiner TV-Produzent ohne angehängtes Broadcasting-Geschäft und mit einem Netflix-Hit ist das eine leicht zu treffende Aussage.



Er machte aber auch anderen Marktteilnehmern Mut. Die Bereitschaft des Publikums für Inhalte zu zahlen, sei ein Grund für seinen Optimismus. „Wir werden künftig für das, was uns interessiert, zahlen und gleichzeitig aber nicht länger für Dinge zahlen, die wir nicht wirklich brauchen“, glaubt Beggs. „Gutes Fernsehen wird dabei gewinnen.“ Er mahnte an, dass trotz all der neuen Plattformen bedacht werden sollte, dass am Ende immer der Content gewinne. „Neue Sender und Plattformen haben nur dann eine Chance, wenn sie einen Signature Hit haben. Sonst muss man fragen: Wozu braucht man sie?“

Unweigerlich muss man an die neue Schwemme von kleinen linearen Fernsehsendern in Deutschland denken, die eher als linear versendetes Archiv statt Chance für neue Inhalte dienen. In den USA haben die Kabelsender vor mehreren Jahren hingegen schon die Notwendigkeit von Prestige-Projekten zur Markenbildung entdeckt und damit dem Fernsehen das Gegenteil dessen geschenkt, was sich im Kinogeschäft beobachten lässt. „Im Film-Geschäft stellen wir die Konzentration auf große Blockbuster und Franchises fest, aber im Fernsehgeschäft gab es nie mehr Vielfalt als heute, weil immer mehr Fernsehsender für verschiedene Geschmäcker programmieren.“

Doch für diese Aussagen gilt das gleiche wie für die herausragende Rede von Kevin Spacey beim Edinburgh International Television Festival im vergangenen Jahr: Diese Zukunftsvision betrifft die fiktionale Seite des Fernsehens. Doch wie sieht es darüber hinaus aus? Eine Frage, die im stärker fiktional geprägten US-Fernsehmarkt nicht oft gestellt wird. Doch Dan Rather stellte sie. Rather, der 24 Jahre lang die Abend-Nachrichten bei CBS präsentierte, wollte aus eigenem Interesse wissen, wie es um den TV-Journalismus in dieser neuen On Demand-Welt bestellt ist - und wie der sich künftig finanzieren sollen.

„Das Verlesen von Nachrichten hat keinen Platz in der neuen Fernsehwelt.“

Kevin Beggs, Lionsgate


Eine Antwort auf die Finanzierungsfrage lieferte Lionsgate-TV-Chef Kevin Beggs nicht; zögerte bei der Beantwortung dieser unerwarteten Frage. Das Bild der schönen neuen Fernsehwelt bekam einen Riss. „Nun“, so führte Beggs aus: „Die traditionellen Abend-Nachrichten sind auf dem abstiegenden Ast, weil Menschen nicht mehr bereits sind, dafür zu einer gewissen Zeit vor dem Fernseher zu sitzen, wenn sie Informationen auch on demand bekommen können.“ Dan Rather blieb hart: Wie soll sich TV-Journalismus nun in einer On-Demand-Welt finanzieren? Beggs verwies auf die HBO-Kooperation mit Vice. Doch das decke nur einen Teil des Informationsbedarfs ab, kontert Nachrichtenmann Rather forsch.

Was folgt ist bemerkenswert. Lionsgate-TV-Chef Beggs verwies zunächst kurz auf den Boom von intensiven, starken Dokumentationen für die das Publikum ebenso wie für großartige fiktionale Serien bereit sei zu bezahlen, um Dan Rather danach unmissverständlich klar zu machen, dass er der letzte einer bedrohten Art ist: „Das Verlesen von Nachrichten hat keinen Platz in der neuen Fernsehwelt.“ Es folgte Stille. Einen Moment zu lange, um unbemerkt zu bleiben. Dan Rather widersprach allerdings nicht. Ob die Antwort von Beggs nun zutrifft oder nicht - dank Dan Rathers Fragen bekam die Diskussion zur Eröffnung des Banff World Media Festivals eine zusätzliche Ebene, die verdeutlichte, dass so manche schöne Zukunftsvision nicht alle Beteiligten des TV-Geschäfts berücksichtigt.

„Wer heute Fernsehen produziert, muss wie ein Politiker denken."

Kevin Beggs, Lionsgate

Mögen auch vielen Zuschauern gute Fernsehserien genügen, so stehen aus Branchensicht auch ganz andere TV-Genres vor den Herausforderungen der veränderten Fernsehnutzung. Für die wird es schwieriger als für eine Hitserie wie „House of Cards“. In gewisser Weise sei das Fernsehgeschäft wie die Politik von Francis Underwood, sagt Kevin Beggs: „Wer heute Fernsehen produziert, muss wie ein Politiker denken. Es geht nicht darum der Beste zu sein, aber man muss die Tricks kennen, um bei den Entscheidungsträgern das zu erreichen, was man erreichen will.“ Er wünscht sich, dass bei Entscheidungsträger bei Sendern wie Plattformen allein eine gute Idee wieder Gehör findet - ohne all die taktischen Spielereien, die ein neuer, junger Produzent nicht kennen kann, der beim Banff World Media Festival darauf hofft, mit seiner TV-Idee endlich Gehör zu finden.