Jahrelang wird sie von der AGF nun schon in Aussicht gestellt, die sogenannte "audiovisuelle Gesamtreichweite". Sie soll künftig angeben, wieviele Zuschauer eine Sendung eigentlich erreicht hat, und zwar egal ob im linearen TV, zeitversetzt oder via Online-Streaming in den Mediatheken. Bislang werden hier oft Äpfel mit Birnen verglichen: Während im TV die Angabe einer Durchschnitts-Zuschauerzahl üblich ist, sind im Online-Bereich die Zahl der Abrufe die Regel - und die ist bereits mit dem Start eines Videos generiert, selbst wenn dieses nach wenigen Sekunden abgebrochen wird. Zudem möchte man wie beim Fernsehen auch soziodemographische Daten über die Zuschauer liefern - also: Alter, Bildungsgrad etc. und darüber hinaus wissen, wieviele verschiedene Nutzer die Streams eigentlich aufrufen. Dazu wurde also schon 2014 ein Online-Panel aufgebaut.

Gehapert hat es bislang noch an der Zusammenführung der TV- und Online-Daten, da Personen, die sowohl online als auch im Fernsehen zugesehen haben, nur einmal gezählt werden sollen. Nun ist diese "Fusion" aber vollbracht, meldet die AGF und stellte auf ihrer Roadshow erstmals Daten zu dieser "audiovisuellen Gesamtreichweite" vor. Und die AGF kommt dabei genau genommen zu der Erkenntnis: Online-Streaming in den Mediatheken? Bei den meisten Formaten fast vernachlässigbar.

Die beispielhaft nun von der AGF für den Monat September 2015 veröffentlichten Daten sehen so aus (alle Angaben sind Nettoreichweite in Millionen; Zuschauer ab 14 Jahren):

  TV only TV & Streaming Streaming only Gesamt
Lindenstraße 12,758 0,094 0,038 12,889
Sturm der Liebe 17,933 0,076 0,024 18,033
Köln 50667 15,089 0,237 0,089 15,414
Shopping Queen 17,807 0,081 0,030 17,918
Circus Halligalli 7,681 0,051 0,016 7,747
Forever 18,696 0,054 0,014 18,764
SOKO 34,382 0,039 0,010 34,432
heute-show 14,175 0,093 0,027 14,295

Was auf den ersten Blick auffällt: Sehr hohe TV-Zahlen, sehr niedrige Streaming-Zahlen. Doch was sollen sie bedeuten? In der Spalte "TV Only" wird die Zahl unterschiedlicher Personen angegeben, die innerhalb des Monats September mindestens eine Minute irgendeiner Folge des Formats im Fernsehen gesehen haben. In der Spalte "Streaming Only" finden sich jene wieder, die mindestens eine Minute irgendeiner Folge dieses Formats in einer Mediathek gesehen haben. "TV & Streaming" umfasst diejenigen, die sowohl online als auch im klassischen TV jeweils mindestens eine Minute gesehen haben.

Das ergibt fürs Fernsehen geradezu absurd hoch erscheinende Zahlen. Die Erhebung der AGF hat demnach ergeben, dass erstaunliche 18,7 Millionen Zuschauer mindestens eine Minute "Forever" bei Sat.1 gesehen haben sollen - also angeblich fast jeder Vierte. Zum Vergleich: Sat.1 strahlte im September 2015 acht Folgen der Serie aus, die im Schnitt 1,8 Millionen Zuschauer erreichten. Das ließe sich zum Einen nur durch eine sehr hohe Zahl an Zappern erklären, die mehr oder weniger versehentlich wenige Minuten einer Folge gesehen haben, ehe sie weiter schalteten. Zum anderen müsste die Serie recht wenige Stammzuschauer haben, sondern jede Woche einen guten Teil ihrer Zuschauer ausgetauscht haben. Beides spräche weniger für die Stärke von Fernsehen als für die Schwäche der Serie. Auf Nachfrage heißt es bei der AGF aber, dass solch hohen Werte bei der Ausgabe der Nettoreichweite auf Basis von mindestens 1-minütiger Nutzung nicht ungewöhnlich seien.

Demgegenüber stehen aber mindestens genauso erstaunliche Reichweiten der Streaming-Angebote - allerdings hier nun erstaunlich niedrig. Nimmt man beispielsweise die "heute-show" - eines der gefragtesten Angebote in der ZDF-Mediathek - dann waren es laut AGF gerade mal 120.000 unterschiedliche Nutzer, die im September mindestens eine Minute der "heute-show" über die ZDF-Mediathek geschaut haben, darunter nur 27.000, die mit der "heute-show" ausschließlich online und gar nicht im TV in Kontakt kamen. Wie passt das zusammen mit den über 270.000 Online-"Sichtungen" der "heute-show" pro Folge, über die das ZDF vor einigen Monaten noch jubelte? Die AGF erklärt das so: In die Zahl der Sichtungen gehen nicht nur die gesamten Sendungen, sondern auch einzelne Clips der "heute-show" ein. Eine Person kann somit also für viele "Sichtungen" sorgen. Bricht ein Clip nach kurzer Zeit ab und wird neu gestartet, ergibt das ebenfalls eine zweite Sichtung, obwohl die Nutzer-Zahl immer noch bei 1 bleibt.

Jedenfalls kommt die AGF nun zu dem Schluss, dass satte 99,2 Prozent der Gesamtreichweite auf TV-Only-Zuschauer zurück gehen, weniger als 0,2 Prozent auf reine Online-Nutzer (der Rest sind Nutzer, die sowohl TV als auch Streaming nutzten). Das gleiche Bild bei "Circus Halligalli" von ProSieben. Obwohl sich das Format bekanntlich ein sehr junges Publikum anspricht, sollen 99,14 Prozent der Reichweite auf Zuschauer entfallen, die allein im TV zugesehen haben. Bei den ZDF-"SOKOs" sind es sogar 99,85 Prozent.

Am höchsten ist der Online-Anteil an der Reichweite bei "Köln 50667", also dem jüngsten aller Formate (wobei hier zu bedenken ist, dass für die Auswertung nur Zuschauer ab 14 Jahren berücksichtigt wurden). Doch selbst hier sollen fast 98 Prozent der Nettoreichweite auf TV-Only-Zuschauer entfallen. Nun räumt die AGF ein, dass diese ersten Zahlen schon dadurch zu niedrig ausfallen, weil derzeit weder die Nutzung via Smartphones noch via Tablets berücksichtigt werden kann. Das soll sich mit dem Aufbau eines weiteren Mobile-Panels im Lauf dieses Jahres ändern, wodurch sich die Streaming-Reichweite nach geschätzten Zahlen etwa verdoppeln dürfte. Auch bei der Messung beispielsweise der Smart-TV-Nutzung soll es Verbesserungen geben.

Interessanter als diese nun veröffentlichten Nettoreichweiten, die insbesondere in Bezug auf die TV-Only-Werte angesichts der Zapper-Zahl kaum ein realistisches Bild der tatsächlichen Zuschauerzahlen ergibt, werden ohnehin Auswertungen der durchschnittlichen Zuschauerzahlen, kombiniert von TV und Online. Die sollen ab Herbst dann möglich werden, wenn die Regelausweisung startet. Doch angesichts des nun ermittelten geradezu homöopathischen Niveaus der Streaming-Reichweiten bei zugleich seltsam hohen TV-Nettoreichweiten ist das einstweilen von der AGF vermittelte Bild derzeit: Mediatheken? Überbewertet.