Heiligabend ist ein Fest tief verwurzelter Rituale, früher noch deutlich stärker als heute. Man fuhr nicht zum Abstandsuchen ans Mittelmeer, sondern allenfalls aufs Land zum Tannenbaumschlagen. Gegen Mittag gab’s Fondue oder Karpfen, danach Bescherung anschließendem Familienknatsch, und tags drauf lief etwas, das heutzutage nostalgischer klingt als Bing Crosbys White Christmas: der Weihnachtsmehrteiler. Lang ist’s her. Wie lang genau, zeigt sich Mittwochnachmittag, wenn das ZDF 39 Jahre zurück in die Zukunft seiner eigenen Fernsehgeschichte reist.

Am 2. Weihnachtstag 2018 zeigt das ZDF den opulenten Kostümfilm „Timm Thaler“, der sich trotz seiner Farbenpracht unverkennbar am gedeckten Original vom 1. Weihnachtstag 1979 orientiert. Tommi Ohrner, seinerzeit bereits gut bekannt aus der Gruselserie „Das Haus der Krokodile“, läuft darin mit einem derart herzlichen Gelächter durch Schlaghosenhamburg, dass es ihm der diabolische Baron Lefuet (Horst Frank) im Tausch gegen die Fähigkeit, jede Wette zu gewinnen, abkauft.

So beginnt ein Abenteuer um Macht, Glück und Werte, bis der tieftraurige Glückspilz 13 Teile später auf die Idee kommt, um sein altes Lachen zu wetten. Zuvor aber brachte es die Adaption von James Krüss‘ Jugendroman nicht nur zum Straßenfeger; lange bevor die Quote zur Leitwährung des Leitmediums wurde, begründete er eine Tradition mit Langzeitwirkung. Bis ins duale Zeitalter hagelte es fortan Nachfolger des Premierenhelden, die sich tief ins kollektive Gedächtnis gebrannt und manchmal gar Promis produziert haben. Allen voran Patrick Bach.

Zwischen Jonna Liljendahl als Astrid Lindgrens „Madita“ und Else Urys noch niedlicherem „Nesthäkchen“ (Kathrin Toboll), brachte es der Hamburger Jung mit der süßen Zahnlücke dank seiner Waisen „Silas“ und „Jack Holborn“ zu solcher Popularität, dass er 1987 gar den dritten Weihnachtseinsatz feierte: Als gehbehinderter Kumpel einer bezaubernden Nachwuchsballerina namens „Anna“. Nach zwei vergessenen Hauptdarstellern (wer sind noch mal Josef Gröbmayr und Guido Cella?) wurde die tanzbegabte Silvia Seidel zum ersten Superkinderstar des kommerziell aufgeblasenen Boulevards jener Tage. Zumindest für einen Winter. Kaum, dass ein Spinoff aus den Kinos war, verglühte der neue Stern des Jugendprogramms schon wieder – und mit ihm jenes Format, das ihn zum Strahlen gebracht hatte.

Obwohl es hinter „Anna“ acht weitere Weihnachtsmehrteiler gab, schafften es weder „Nonni und Manni“ noch „Ron und Tanja“, geschweige denn der allerletzte Titelheld „Frankie“ in die Ruhmeshalle zeitloser TV-Figuren. Doch das hat Gründe jenseits der Auswahl von Inhalt und Schauspielern. Strukturelle Gründe, die das Fernsehen von heute zu einem anderen, aus Sicht der mitverantwortlichen Irene Wellershoff „aber nicht schlechteren“ gemacht hat. Seit die Redaktionsleiterin 1984 im ZDF-Kinderprogramm gelandet ist, habe sich das Medium „extrem gewandelt“. Im Gleichschritt mit den Sehgewohnheiten. Von Heiligabend bis Silvester „fortgesetzte Weihnachtsserien zu erzählen“, so Wellershoff, „funktioniert nicht mehr“. Mit der Qualität damaliger Serien und ihrem Erzählfluss habe das nichts zu tun. Im Gegenteil. Meint auch Hartmut Rosa.

Wenn er die Fernsehlandschaft von heute betrachtet, spricht der Jenaer Soziologe von „erbarmungsloser Steigerungslogik“, die mit der Gesellschaft auch ihr Unterhaltungsangebot ergriffen hat. Nachdem sich Biene Maja im Kinderprogramm der Siebziger noch minutenlang auf ein Blatt setzen und die Wiese betrachten durfte, verwandelte ein ZDF-Remake die Ereignislosigkeit vor fünf Jahren in ein sensorisches Sperrfeuer, das an die „Ninja Turtles“ oder „Power Rangers“ erinnerte, mit dem SuperRTL ab 1995 die Effekthascherei maximiert hat. Seither steigen Impulsfrequenz, Taktzahl, Laustärke allerorten sprunghaft. Und wenn selbst der betuliche Indianer-Junge Yakari auf Ki.Ka – zwei Jahre später als öffentlich-rechtliche Antwort des werbefinanzierten Privatsenders gegründet – dauernd im Splitscreen Spuren sucht, ist es kein Wunder, dass langatmige Weihnachtsserien irgendwann anachronistisch geworden sind.

Dabei nennt Irene Wellershoff den Mehrteiler als Format „immer noch erfolgreich“ und als Beispiele „Bad Banks“ oder „Ku’damm 56“ bis „59“. Das ist allerdings meist vor allem fürs ältere Stammpublikum interessant, weniger für jene diesseits der 15, die mit den Weihnachts-Mehrteilern einst auch angesprochen wurden. Zuschauer, die zudem habituell vorgeprägt sind. Denn wer jetzt mit seinen Kindern ZDF schaut, hat das vor 40 Jahren vermutlich auch schon mit seinen Eltern gemacht. Kein Wunder, dass Wiederholungen der alten Klassiker nach Aussage von Redakteurin Wellershoff stabilen Zuspruch erzielen. Etwa, wenn Neo alle zwei Jahre „Timm Thaler“ zeigt oder dieses Jahr ab 25. Dezember mal wieder „Nesthäkchen“.

„Anna“ hingegen, der letzte Straßenfeger des Weihnachtsmehrteilers, wird seit 2014 nicht mehr gezeigt. Vielleicht aus Pietätsgründen, weil Silvia Seidel zwei Jahre zuvor mit 42 Suizid begangen hat. Vielleicht aber auch, weil die Dramaturgie am Übergang zur kommerziellen Fernsehepoche aus heutiger Sicht weder Fisch noch Fleisch ist, nicht nostalgisch genug für die Fans von damals, nicht modern genug für die Zuschauer von heute. Bleibt wie immer „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Das tschechische Märchen läuft allein an den drei Feiertagen elfmal. Hat ja auch nur Spielfilmlänge.

Das ZDF zeigt "Timm Thaler oder das verkaufte Lachen" am 2. Weihnachtstag um 15:05 Uhr