Die Redaktionen in der Heimat haben mitunter Zitate oder ein ganzes Gespräch mit X oder Y beauftragt. Dafür wird gekämpft. Freie Kolleginnen und Kollegen wiederum brauchen gutes Material, um es überhaupt jemandem anbieten zu können. Der Stress ist also mitunter groß im Kollegenkreis. Ein Raum, zwei Stars, sechs Presse-Vertreter und 15 Minuten Zeit. Wer kommt überhaupt dazu, zu fragen? Sind die Stars in Plauderlaune oder kurz angebunden? Natürlich geht es hier nur um Unterhaltungsjournalismus, aber der Kampf um gute Zitate - er ist auch in diesem Genre ein sehr ernstes Geschäft. Und so sehr man es belächeln mag: Das ist Basis-Arbeit. Eigene Fragen stellen können und nicht nur Zitate aus Pressemitteilungen zu bekommen, ist wichtig.


Wofür aber nutzt ein Branchendienst nun die Gelegenheit zu Promi-Interviews? Eine Herausforderung, vor der wir immer wieder stehen. Nachdem wir im Falle von "Good Omens" schon ein exklusives 1:1-Interview mit Showrunner Neil Gaiman geführt hatten, war es mein Ziel beim Press Junket zur Serie in London mehr zu erfahren über jene beschriebene Zeit zwischen dem Dreh einer Serie und ihrer Premiere, gerade weil das in mehrfachem Wortsinn fantastische "Good Omens" von so viel CGI lebt - und sich damit manche finale Optik sehr von der Drehsituation unterscheiden muss. Und wann kam für Showrunner Neil Gaiman eigentlich der Moment, an dem er sich sicher war, dass diese Verfilmung seiner Vorstellung entspricht?

„Aufgrund des Genres der Serie, der oft eingesetzten CGI-Technik und des für die gewünschte Atmosphäre auch sehr wichtigen Sounds, erst unglaublich spät“, erzählte Gaiman. „Das ist ja keine weitere Krimiserie, bei dem du nach dem Dreh einer Verhörszene sofort weißt, ob alles passt, weil man gerade gesehen und gehört hat, ob die Szene funktioniert. Ich habe mich sehr oft gefragt, wie gewisse Szenen wohl am Ende zusammenkommen würden. Es war erst Ende Januar als ich bei unseren Soundexperten die letzten beiden Episoden in der fast finalen Fassung gesehen und gehört habe - also mehr als ein Jahr nachdem wir am Set standen und entschieden haben, diese oder jene Fassung jetzt zu nehmen.“

Regisseur Douglas Mackinnon ergänzt: „Man hat als Regisseur im Vorfeld eine Vorstellung davon, was man drehen will, aber ob die Szene so funktioniert, wie man es geplant hat, ist bei dieser komplexen Serie - wie auch bei meiner Arbeit an „Doctor Who“ und „Sherlock“ - erst kurz vor Finalisierung klar. Bevor sich nicht alles zusammenfügt, könnte ich nicht sagen, ob ich mit meiner Arbeit zufrieden bin.“ Selbstredend ist er das jetzt. Es war mein erster Roundtable an diesem Tag und ich war meiner Fragestellung auf der Spur, dank angenehm ehrlicher Antworten von Showrunner und Regisseur. Zwischenzeitliche Zweifel an der Arbeit durchklingen lassen, diesen Einblick zu gewähren - fast schon grenzwertig für eine Veranstaltung die möglichst positive Energie verbreiten soll.

Es hätte so weiter gehen können, aber mit den beiden Hauptdarstellern Michael Sheen und David Tennant hatte unsere Gruppe leider kein Glück: Hier hatten wir nur knappe zehn Minuten Zeit mit einem bemerkenswert gut eingespielten Duo, dass eine gestellte Frage leider gleich minutenlang angeregt miteinander erörtert als wollten sie den Ball absichtlich nicht zurück zu den Journalisten spielen. Das ist weniger Vorwurf als Faszination. Zu dem Thema, das ich mir vorgenommen hatte, kam ich gar deshalb leider nicht. Nun, es gab noch ein weiteres Gespräch.

Good Omens Junket

Bett raus, Tische und Stühle rein: Pressejunkets finden meist in Hotelzimmern statt

15 Minuten später im Hotelzimmer nebenan, sitzen Jon Hamm und Adria Arjona auf einem großen Sofa. Hamm versuchte offenbar die Minute zwischen der Verabschiedung der vorherigen Gruppe und unserem Eintreffen einen Club-Sandwich zu essen. Für mehr als einen Bissen blieb aber keine Zeit. Die Nachdenkphase der Kollegen nutze ich, und frage: Wie ist das also, wenn man mehr als ein Jahr nach dem Dreh wieder zu einer gespielten Figur zurückkehrt und sie bzw. sich auf der Leinwand sieht? Hamm überlegt recht lange, legt das Sandwich weg.

„Also für mich wird es immer ein merkwürdiges Gefühl bleiben, sich selbst zu sehen bzw. genau genommen ja eine ganz bestimmte Version von sich selbst von vor einigen Monaten oder eben ein oder zwei Jahren zu sehen - wie lange der Dreh auch zurück liegt“, sagt Hamm. „Man reagiert zuerst einmal darauf, wie man selbst aussah. Zum Beispiel diese paar Kilo Unterschied zwischen der Version auf der Leinwand und der Version im Kinositz. Das ist der eine Aspekt. Und dann fängt man an zu überlegen, ob man dieses oder jenes anders hätte machen sollen. Wir sind ja alle selbst unsere härtesten Kritiker. “ Seine Kollegin Adria Arjona (spielt in „Good Omens“ Anathema Apparat), stimmt zu.

„Wenn ich mich zum ersten Mal sehe, dann gucke ich vor lauter Aufregung mit einer gewissen Eitelkeit. Erst beim zweiten Mal fallen mir dann Sachen an meinem Spiel auf, über die ich ärgere. Oft übrigens auch nur ich und sonst niemand. Beim dritten Mal achte ich überhaupt erst auf die anderen Kolleginnen und Kollegen. Und dann auf die Story. Bitte sag mir, dass es Dir ähnlich geht“, sagt sie zu Hamm. Der lacht und antwortet: „Ich bin ja nun schon etwas länger dabei. Irgendwann lernt man, sich damit abzufinden. Es ist wie es ist. Wenn Du bei der Premiere sitzt, kannst Du ja eh nichts mehr ändern. Man kann schlecht aufspringen und sagen ‚Leute, stoppt mal. Also wollte damals diesen einen Satz eigentlich anders betonen.“ Wann immer ein Screening der finalen Fassung möglich ist, habe er deshalb großen Respekt davor, es sich anzuschauen.

Deutlich wird mir im weiteren Gespräch angesichts des nachdenklichen Jon Hamms und der nachdenklichen Adria Arjona: Schauspielerinnen und Schauspieler sind zwar die Stars, die einer Serie oder einem Film das Gesicht geben. Sie stehen vor der Kamera, sie geben die Interviews und werden plakatiert. Sie geben aber bei immer komplexerer Postproduktion die Kontrolle über ihre Arbeit mehr denn je in andere Hände. Beim Fantasy-Genre sicher noch einmal mehr als beim von Neil Gaiman angesprochenen Krimi. Bei "Good Omens" weiß man jetzt: Dank Gaimans Gespür fürs Visuelle fügt sich Schauspielkunst in eine stimmige Inszenierung.

Aber gab es schon mal Serien oder Filme bei deren Ansicht, einem die eigene Arbeit regelrecht fremd war? Fühlt man sich als Schauspieler oder Schauspielerin dann beraubt oder betrogen? Für diese Frage fehlte leider die Zeit. Es hätte auch den Rahmen gesprengt vermutlich. Die nächste Gruppe Journalistinnen und Journalisten wartete schon vor der Tür des Hotelzimmers. Ich werde das Thema weitertragen, weil es mich mehr interessiert als die lustigste Anekdote vom Set. Außerdem wird irgendjemand schon diese Frage stellen, ganz sicher.