In der Erinnerung an die glorreiche Zeit des aufstrebenden Privatfernsehens in Deutschland hat sich die schrecklich nette Senderfamilie RTL in diesem Jahr mit geradezu archäologischer Präzision darauf besonnen, Showskelette im Keller der TV-Unterhaltung frei zu pinseln. Und einen internen Wettstreit darum entfacht, welches Familienmitglied die meisten alten Hits erfolgreich entmumifiziert.

RTLplus hat "Ruck Zuck", "Jeopardy" und "Glücksrad" neu aufgelegt, Peter Zwegat ist mit "Raus aus den Schulden" wieder rein ins RTL-Programm gerutscht, und bevor sich RTL Nitro demnächst mit der vom ZDF gemopsten "Ronnys Pop-Show" endgültig für die Umbenennung in RTL Retro bewirbt, setzt der Männersender dem TV-Exhumierungs-Trend zum Jahreswechsel noch flott das Sahnehäubchen auf. Mit Kirsche! Und mit Kiwi, Blaubeere, Zitrone, Mandarine und Erdbeere. Oder wie sich die zum Freischwimmer tanzenden Obstkörbchen-Besitzerinnen offiziell betiteln lassen: das "Cin Cin Playboy-Ballett".

Ja, ganz recht: "Tutti Frutti" ist wieder da. "Der Mythos hält sich bis heute", erklärt der Sender in seinem Spar-Revival der knallbunten Erotik-Revue – und zwingt den Off-Sprecher zu lügen: "Eigentlich haben wir alle nur darauf gewartet, dass es wieder weitergeht."

Das ist so vielleicht nicht ganz korrekt. Aber im Nicht-ganz-korrekt-Sein war "Tutti Frutti" ja auch Anfang der 90er ziemlich gut, als Hugo Egon Balder noch von sich behaupten konnte, einen echten TV-Aufreger zu moderieren. Wohingegen seine Nachfolger – der Ex-"Geh aufs Ganze"-Chef Jörg Draeger und der Next-Generation-Balder Alexander Wipprecht – schon froh sein können, dass ihnen am Ende der anderthalbstündigen Reminiszenz nicht der ganze Berliner Nachtclub weggepennt ist, in den RTL Nitro die Show verlegt hat, um sich die Kulissen zu sparen. (Vermutlich weil das ganze Budget schon für die nach vorne lüftbaren Glitzer-Fructinis der Ballett-Damen draufgegangen ist.)

Tutti Frutti© RTL / Christoph Assmann

"Wir versuchen den erotischen Mittelstand zu retten!", verspricht Wipprecht dem Publikum zu Beginn und führt aus, was Sensationelles zu erwarten ist: "Wir haben Früchte von früher! Wir haben ehemalige Kandidaten! Wir haben Einspieler! All das, was diese Sendung so groß gemacht hat."

Was die Sendung früher kürzer gemacht hat, war vor allem die fehlende Talk-Einlage, die Draeger in der Neuauflage nutzt, um früheren Teilnehmern zu entlocken, wie sie's damals fanden, fast nackt im Fernsehen zu sein (Gerd von 1990: "lustig irgendwo") und die Dame, die 1992 als Erdbeere engagiert war, zu fragen: "Gab's zwischen euch Rivalitäten?" (Antwort: "Da muss ich ehrlich sagen: nein.")

Wipprecht wiederum ist mit der Spielleitung der Sendung betraut und hat sich, um das angemessen aufregend zu finden, offensichtlich eine Ladung Flöhe in die Hose kippen lassen, aber nur mäßig Talent, Sätze ganz zu Ende zu

Tutti Frutti© RTL / Christoph Assmann

Damit zwischen den zahlreich eingeschobenen Archiv-Ausschnitten die Zeit rumgeht, kommentieren Promis, wie sie sich ganz persönlich an "Tutti Frutti" erinnerten – und Daniela Katzenberger bringt es auf den Punkt: "Wir sind damit groß geworden. Mit Brüsten. Und mit Hugo Egon Balder." Vor allem schickt RTL Retro aber die ersten frischen Strip-Kandidaten seit 23 Jahren in die Obstolympiade: Antje ("entspannt sich bei Yoga und Aikido") und Maik ("interessiert sich für Meerwasseraquaristik") aus Berlin, von denen Wipprecht augenblicklich wissen will: "Antje, wie hast du von 'Tutti Frutti' erfahren?" Woraufhin die Angesprochene ordnungsgemäß ironiefrei antwortet: "Das ist damals schon in den 90er Jahren im Fernsehen gelaufen."

Die darauf folgenden Spiele sind nicht nur genauso egal wie damals, sondern leider auch sehr viel trauriger. Wirklich niemand will Leuten mit verbundenen Augen im Fernsehen beim Mozzarellatomate-Geschmacksraten zusehen. Und um für die vorläufig einzige Revival-Sendung keinen neuen einarmigen Banditen bauen zu müssen, hat die Sender-Requisite für das alte Spiel "Slotmachine" offensichtlich eine Miniversion im Spielwarenfachhandel erstanden. Hinter Ex-Assistentin Monique Sluyter, die sich im schwarzen Abendkleid neben Wipprecht festgepattext hat, drückt derweil ein Praktikant abwechselnd die Knöpfe, die sie "Gut gemacht!" oder "Good choice!" sagen lassen.

"4800 entblößte Brüste" plus X

Auf die Show trifft das allerdings nur für Leute zu, die sich wirklich sehr danach sehnen, morgen wieder im Jahr 1990 aufzuwachen und mit Obstnamen betitelten Damen dabei zuzusehen, wie sie die meiste Zeit verhältnismäßig bekleidet im Hintergrund rumstehen. Den per Einspielfilm summierten "4800 entblößten Brüsten" der Vergangenheit fügen vor allem die mittels Länderpunkten zum Eurodance-Strip aktivierten "Euro Girls" weitere hinzu.

Wenn damit der "erotische Mittelstand" gerettet worden sein wollte, war's ja immerhin für einen guten Zweck. Und für Wipprecht hat seine Moderation immerhin den Nebeneffekt, womöglich die Gebühren für die von ihm absolvierte Frank-Elstner-Masterclass zurückverlangen zu können. Zum Aufreger taugt das alles jedenfalls nicht mehr. Jeder strippende Normalo hat inzwischen seinen eigenen Youtube-Kanal. Und als Unterhaltungssendung im Fernsehen ist "Tutti Frutti" so ungeeignet wie eh und je. Das heißt aber auch, dass nach Abzug all der Faktoren, die in den 90er Jahren den Hit ausgemacht haben, fast nichts mehr übrig bleibt.

Da hilft's auch nicht, wenn die Neuauflage zum Schluss ins Wohnzimmer eines alten Bekannten zappt, der vor der Glotze artig zu Protokoll gibt: "War doch toll. Und ich hab endlich die Regeln verstanden." Weil es in diesem Fall ja nun wirklich höchste Zeit wäre, den etwas zu euphorisch beschworenen Mythos endgültig in Frieden ruhen zu lassen.

RTL Nitro zeigt "Tutti Frutti" am Freitagabend um 22.05 Uhr, danach laufen "Tutti Frutti Classics".