Mit "Frauentausch" und anderen Krawall-Formaten ist RTL II bekannt und erfolgreich geworden. Aber die Zeiten haben sich eben auch in Grünwald geändert, zuletzt taten sich die Tauschmütter merklich schwer, noch ein großes Publikum zu finden. Stattdessen feiert der Sender große Erfolge mit Sozial-Dokus wie "Armes Deutschland" oder "Hartz und herzlich". Im Vergleich zu anderen RTL-II-Formaten kamen die schon relativ ernst daher, nun wagt sich der Sender aber an ein noch deutlich schwereres Thema. In "Voller Leben - Meine letzte Liste" begleitet Myriam von M. sterbenskranke Menschen in ihren letzten Tagen und Monaten - und das ist überhaupt nicht voyeuristisch.

RTL II nähert sich dem Thema angemessen und in einem ruhigen Ton, der Sender zeigt in dem neuen Format, dass er auch ganz anders kann als sonst. Myriam von M. selbst hat den Kampf gegen den Krebs schon mehrmals gewonnen und die "Fuck Cancer"-Bewegung gegründet, mit der sie anderen Krebs-Patienten Mut machen will. Sie ist daher eine authentische Person, wenn es darum geht, Menschen in ihren letzten Tagen und Wochen zu begleiten. Sie spielt sich nicht in den Vordergrund, wenn die Patienten in der Sendung ihre Geschichte erzählen oder ihre Wünsche erfüllt bekommen.

Die Geschichten, die der Sender gemeinsam mit der zuständigen Produktionsfirma Joker Productions erzählt, gehen wahrlich unter die Haut. Da wäre in der Auftaktfolge etwa die 22-jährige Nadja, die noch einmal unbedingt etwas gemeinsam mit ihrem Freunden und ihrer Schwester machen will, bevor sie stirbt. Weil sie eine Band hat, lädt Myriam von M. sie und ihre Freunde also in ein Tonstudio ein, um eine CD aufzunehmen. Mit der Schwester geht es wenig später nach Frankreich, um Wildpferde zu sehen.

Auf unnötige Show-Effekte verzichtet RTL II dankenswerterweise. Hier wird niemandem etwas vorgespielt, um nachher eine große Überraschung präsentieren zu können. Die Krebs-Patienten erstellen gemeinsam mit Myriam von M. eine Liste mit Wünschen, die dann abgearbeitet wird. Sie sind von Anfang an komplett eingebunden. Das klingt unspektakulär, geht aber unheimlich nah. Etwa dann, wenn Nadja erzählt, wie es ihr nach der Diagnose ergangen ist, wie sie sich fühlte und was ihre größten Wünsche danach waren. Auch die Geschichte der 54-jährigen Maren ist sehr bewegend, sie wurde nach der Krebs-Diagnose sogar noch von ihrem Mann verlassen. Mit ihr fährt Myriam von M. nach Norwegen, damit Maren einmal in ihrem Leben Polarlichter sehen kann.

"Voller Leben - Meine letzte Liste" ist wahrhaftig. Das zeigt sich, als die beiden Frauen in Norwegen bei klirrender Kälte ausharren, um die Polarlichter zu sehen, zunächst aber kein Glück haben. Die Natur interessiert es eben herzlich wenig, ob dort ein Kamerateam steht. Wie die Geschichte um Maren ausgeht, wird in der nächsten Woche weitererzählt. Auch das ist eher ungewöhnlich: RTL II erzählt pro Folge keine abgeschlossenen Geschichten, sondern erzählt sie wenn nötig einfach in der nächsten Ausgabe weiter.

Vor einigen Jahren hätte man ein solches Format bei RTL II wohl kaum für möglich gehalten. Es ist ernst, schwer und beschäftigt sich mit einem Thema, das viele Menschen am liebsten verdrängen: dem Tod. Vielleicht wäre "Voller Leben - Meine letzte Liste" ohne "Club der roten Bänder" gar nicht möglich gewesen, die Vox-Serie kann hier durchaus als eine Art Wegbereiter gesehen werden. Auch wenn RTL II zuletzt schon ernster geworden ist, mit dem neuen Format legt man noch einmal eine Schippe drauf - und macht das richtig gut. RTL II und Joker Productions haben hier Fernsehen erschaffen, das unter die Haut geht. Da kann "Frauentausch" einpacken.

"Voller Leben - Meine letzte Liste" ist immer donnerstags um 20:15 Uhr zu sehen.