Wir müssen mal reden über Serien. Kein anderes Genre prägte das Medium Fernsehen - egal ob linear oder non-linear - in den vergangenen zwei Jahren stärker. Die neue Vielfalt von Anbietern, egal ob innerhalb einzelner Märkte durch gezielte Fragmentierung oder international durch Anbieter wie Amazon und Netflix, brachte die gemeinhin vertretene Meinung mit sich: Endlich lassen sich Geschichten in einer Vielfalt erzählen, die bislang so nicht möglich war. Und in der Tat trifft das auf eine Produktionen wie „Transparent“ wohl zu. Doch die überwiegende Mehrheit aller Serien der neuen SVoD-Anbieter könnte auch von klassischen Fernsehsender kommen. Deren Problem ist nur: Ihr Publikum wurde nicht nur in Deutschland erfolgreich von einer Genre-Vielfalt entwöhnt.

Stattdessen gab und gibt es Krimis wohin man schaut. Auch auf der MIPTV 2016 ist der überwältigende Teil der vorgestellten Serienprojekte eine Kriminalgeschichte. Ein mysteriöser Fall erzählt über eine ganze Staffel. Da nützt es auch nichts, dass bei den MIP Drama Screenings am Sonntag mühsam eine Genre-Vielfalt zusammengesucht wurde, die diesen Eindruck verhindern soll. Schaut man sich die Messekataloge der Distributoren an, sprechen diese eine weniger vielfältige Sprache. Mal mysteriös, mal düster, mal mit Terror-Hintergrund, mal gestörter Serienkiller, mal gestörter Polizist. Findet man doch ausnahmsweise eine Serie ohne Kriminalgeschichte, dann ist man meist im Segment der Historien-Event-Serie gelandet. Auch so ein Klassiker. Die Einkäufer der MIPTV finden das ein Stück weit toller als mancher Beobachter oder Serienfan.

Sie suchen nach Ware die funktioniert. Fernsehen ist schließlich ein Milliardengeschäft, wie bei TV-Messen wie dieser sehr deutlich wird. Leider aber werden damit Geschichten zunächst danach beurteilt wie gut sie funktionieren könnten. Die schöne neue Serienwelt, in der alle alles erzählen und jede Nische plötzlich doch groß genug zu sein schien - sie droht zu ersticken. Die Konzentration auf das Krimi-Genre in all seinen Facetten wird auch nochmal verstärkt durch die werbefinanzierten Fernsehsender, die mal aus Lust, mal aus der Notwendigkeit ihre eigene Antwort auf das überwiegend im SVoD oder Pay-TV stattfindende New Golden Age of Television finden wollen oder müssen.

Und nichts scheinen die Sender und ihre jeweiligen Zuschauer mehr zu lieben als das Krimi-Genre. Nichts lässt sich einfacher verkaufen - bei der Fernsehmesse wie dem Fernsehzuschauer. Ein Fall, ein Täter, ein Opfer, eine Ermittlung und ein Happy End. Ein Drama erzählt in 45 Minuten, denn anders als SVoD oder Pay-TV wünscht sich das werbefinanzierte Fernsehen eine abgeschlossene Ermittlung pro Folge. Damit stehen in den Regalen der TV-Distributoren in Cannes neben den gefeierten High End-Thrillern und Krimis in epischer Länge zunehmend eher gewöhnlichere Krimiserien. Krimis hier, Krimis da. Krimis einfach überall.

Das New Golden Age of Television verliert an Bandbreite weil sich in die zwischenzeitlich so euphorisch gefeierte Lust auf Risiko längst das gemischt hat, was stets ein Feind von Kreativität und Offenheit war: Das Risiko-Management. Das fängt bei MIPTV schon in der Bewerbung der jeweiligen Formate an. Allein die unglaubliche Masse an neuen Serienproduktionen, die auch bei dieser Messe wieder präsentiert wird, macht es zunehmend schwieriger, überhaupt wahrgenommen zu werden. Eine gänzlich neue Story zu erklären geschweige denn zu verkaufen ist schwierig. Zu sagen, man habe „das neue ‚True Detective‘“ im Angebot, ist da so viel knackiger. Willkommen in Phase 2 der schönen neuen Serienwelt. DWDL.de wird die Augen offen halten nach vielversprechenden Serien - auch abseits der alles dominierenden Genres.